Auslegung eines Prozessvergleichs, der den Arbeitgeber zur ordnungsgemäßen Abrechnung des Arbeitsverhältnisses verpflichtet
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich mit der Auslegung eines Prozessvergleichs befasst (BAG, Urt. v. 27.05.2020 – 5 AZR 101/19 m. Anm. Butz/Dierk, DB 2020, 2245). In einem solchen Vergleich hatte sich der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer zur ordnungsgemäßen Abrechnung
des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist verpflichtet. Das in diesem Zusammenhang vom Arbeitgeber zu entrichtende Entgelt entsprach der Hälfte des durch den Arbeitnehmer zuvor erhaltenen (Brutto-)Entgelts. Zwischen den Parteien wurde im Wesentlichen über die Frage der Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 615 Satz 2 BGB gestritten. In den Entscheidungsgründen heißt es:
aa) Nach §§ 133, 157 BGB sind Verträge – auch Prozessvergleiche – so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist zunächst vom Wortlaut auszugehen. Zur Ermittlung des wirklichen Parteiwillens sind darüber hinaus die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Ebenso sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen (st. Rspr., vgl. nur 25. Januar 2017 – 4 AZR 522/15 – Rn. 25; 24. September 2015 – 2 AZR 716/14 – Rn. 35, BAGE 153, 20).
bb) Nach dem Wortlaut von Ziff. 2 des Vergleichs haben die Parteien keinen Rechtsgrund für eine Zahlungspflicht geschaffen, die über die gesetzlichen Bestimmungen und insbesondere § 615 BGB hinausgeht.
(1) Verpflichtet sich der Arbeitgeber in einem gerichtlichen Vergleich, das Arbeitsverhältnis abzurechnen, wird dadurch im Zweifel nur die ohnehin bestehende Rechtslage bestätigt. Das Anerkenntnis einer Zahlungspflicht ist hierin jedenfalls dann nicht zu sehen, wenn die Ansprüche, auf die sich die Abrechnungspflicht beziehen soll, nicht benannt sind (BAG 18. September 2018 – 9 AZR 162/18 – Rn. 24, BAGE 163, 282). Eine Abrechnung
betrifft die tatsächlich bestehenden Ansprüche. Das Wort ordnungsgemäß
soll die vorzunehmende Abrechnung näher beschreiben. Es zielt auf eine Berechnung anhand außerhalb des Vergleichs vorzufindender, von ihm unabhängig anzuwendender Rechtsnormen (BAG 19. Mai 2004 – 5 AZR 434/03 – zu I 2 der Gründe). Befand sich der Arbeitgeber im Abrechnungszeitraum mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug, sind deshalb neben der Bestimmung des § 615 Satz 1 BGB, die den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers aus § 611 Abs. 1 BGB (seit dem 1. April 2017: § 611a Abs. 2 BGB) aufrechterhält, auch § 615 Satz 2 BGB bzw. § 11 Nr. 1 KSchG heranzuziehen mit der Folge, dass sich der Arbeitnehmer dasjenige anrechnen lassen muss, was er durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erworben hat. Etwas anderes gilt nur, wenn die Anwendung von § 615 Satz 2 BGB, § 11 Nr. 1 KSchG wirksam abbedungen worden ist (dazu BAG 10. Januar 2007 – 5 AZR 84/06 – Rn. 28).
(2) Danach spricht der Vergleichstext in Ziff. 2 nicht für die Begründung einer eigenständigen Zahlungsverpflichtung. Das gilt auch unter Berücksichtigung der Formulierung, wonach die Abrechnung auf der Basis
eines konkret bezeichneten Bruttomonatsgehalts zu erfolgen hat. Basis
bedeutet Grundlage, auf der man aufbauen kann
oder Ausgangspunkt
(Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. Bd. 1 S. 462; Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch Bd. 1 S. 524 jeweils Stichwort: Basis), im mathematischen Sinne auch Grundzahl
(Wahrig Deutsches Wörterbuch S. 229 Stichwort: Basis). In Verbindung mit der Vorgabe, die Abrechnung ordnungsgemäß
vorzunehmen, bezieht sich die Wendung im wörtlichen Sinne auf den Betrag, der in die Vergütungsberechnung nach den außerhalb des Vergleichs vorzufindenden Rechtsnormen einfließen soll.
(3) Ein anderes Verständnis folgt nicht aus der im zweiten Halbsatz von Ziff. 2 des Prozessvergleichs vereinbarten Verpflichtung der Beklagten, den sich aus der Abrechnung ergebenden Nettobetrag vorbehaltlich auf Dritte übergegangener Ansprüche
an die Klägerin auszuzahlen. Damit wird ersichtlich berücksichtigt, dass die Klägerin in Bezug auf diese Ansprüche gemäß § 115 SGB X nicht mehr Forderungsinhaberin ist und deshalb auch von der Beklagten nicht Zahlung verlangen kann. Dass bei der Auszahlung des Nettoverdienstes ein von der Klägerin im Streitzeitraum erzielter anderweitiger Verdienst keine Erwähnung findet, rechtfertigt nicht den (Umkehr-)Schluss auf einen von den Parteien gewollten Ausschluss von dessen Anrechnung. Dem steht entgegen, dass die Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 615 Satz 2 BGB ipso iure eintritt und in Höhe dieses Verdienstes bereits die Entstehung des Anspruchs auf Annahmeverzugsvergütung aus § 615 Satz 1 iVm. § 611 Abs. 1 BGB (ab dem 1. April 2017: § 611a Abs. 2 BGB) ausschließt (zu § 11 Nr. 1 KSchG vgl. BAG 2. Oktober 2018 – 5 AZR 376/17 – Rn. 29, BAGE 163, 326). Im Rahmen der vereinbarten ordnungsgemäßen Abrechnung ist dies zu berücksichtigen.
cc) Die Annahme einer weitergehenden Zahlungspflicht kann nicht daraus hergeleitet werden, dass das der Abrechnung zugrunde zu legende Bruttomonatsgehalt von 1.343,75 Euro genau die Hälfte des durchschnittlich von der Klägerin im Arbeitsverhältnis mit der Beklagten erzielten Bruttomonatsentgelts beträgt. Dieser Umstand für sich genommen ist angesichts des Wortlauts von Ziff. 2, der an eine Vergütungsberechnung anhand außerhalb des Vergleichs vorzufindender Rechtsnormen anknüpft, nicht hinreichend aussagekräftig. Für das Verständnis, die Parteien hätten in Ziff. 2 des Vergleichs einen eigenständigen Rechtsgrund für die Vergütung schaffen wollen, bedürfte es besonderer Anhaltspunkte, die zweifelsfrei auf einen entsprechenden Parteiwillen schließen lassen. Solche Anhaltspunkte liegen nicht vor. Weder die Vergleichsregelungen im Übrigen noch die im Zeitpunkt des Zustandekommens des Vergleichs bestehende Interessenlage der Parteien sprechen für einen Willen, in Ziff. 2 eine eigenständige Vergütungspflicht zu begründen oder auch nur die Anrechnung eines Zwischenverdienstes der Klägerin auszuschließen.