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Zur (wirksamen) Errichtung eines Testaments auf der Rückseite einer Speisekarte bzw. eines Speiseplans eines Cafés durch einen an Parkinson erkrankten Erblasser

Zur (wirksamen) Errichtung eines Testaments auf der Rückseite einer Speisekarte bzw. eines Speiseplans eines Cafés durch einen an Parkinson erkrankten Erblasser
Aktuelles
21.08.2023

Zur (wirksamen) Errichtung eines Testaments auf der Rückseite einer Speisekarte bzw. eines Speiseplans eines Cafés durch einen an Parkinson erkrankten Erblasser

In Übereinstimmung mit der Vorinstanz hat das KG im Ergebnis keine rechtlichen Bedenken gegen die wirksame Errichtung eines Testaments geäußert (KG, Beschl. v. 09.05.2023 – 6 W 48/22, NJW-Spezial 2023, 424). In den Entscheidungsgründen heißt es:

„(…) Dem Nachlassgericht ist zuzustimmen, dass an der Wahrung der Formerfordernisse an ein eigenhändiges Testament gemäß §§ 2231 Nr. 2, 2247 BGB keine durchgreifenden Zweifel bestehen.

(…) Die Urkunde enthält die nach § 2247 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 BGB geforderten Angaben. Die Voraussetzungen eines eigenhändigen Testaments gemäß § 2247 BGB, wonach der gesamte Inhalt des Testaments von dem Erblasser persönlich in der ihm eigenen Schrift niedergeschrieben sein muss, um die Nachprüfung der Echtheit auf Grund der individuellen Merkmale der Handschrift zu ermöglichen (Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020 (im Folgenden MüKoBGB), BGB § 2247 Rn. 17), sind gegeben. Das Nachlassgericht war für diese Annahme trotz der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Zweifel an der Echtheit des Dokuments nicht aufgrund von §§ 2358 Abs. 1 BGB, 26 FamFG, wonach im Erbscheinsverfahren die Gültigkeit des Testaments von Amts wegen geprüft wird, verpflichtet, ein graphologisches Gutachten hierüber einzuholen. Denn bei der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Schriftprobe (Anlage AG1, Bl. 20 d.A.) handelte es sich um einen Poesiealben-Eintrag, welcher auf den 15.08.2003 datiert ist und mit Schmuck-Aufklebern in besonderer Schönschrift, nämlich im Gegensatz zu dem – stärker in fließender, verbundener Schrift verfassten – Testament in handschriftlichen Druckbuchstaben, abgefasst ist. Nicht nur die Andersartigkeit der Schriftart (Druckbuchstaben), sondern auch der zeitliche Abstand von über 16 Jahren zum Datum der letztwilligen Verfügung macht bereits den deutlichen Unterschied im Schriftbild erklärlich. Vielmehr bestand zum Zeitpunkt der Erstellung des Testaments vom 05.09./04.11.2020 bereits seit ca. sechs Jahren bei dem Erblasser eine Parkinson-Erkrankung, welche sich, wie der Sachverständige (S. 12 d. Gutachtens, Bl. 164 d.A.) herausgestellt hat, gerade auf die feinmotorischen Fähigkeiten des Erkrankten auswirkte, weil durch Zittern und Verlangsamung der Bewegungsabläufe gerade das Schriftbild beeinträchtigt war. Dass das Schriftbild krankheitsbedingt mit der jeweiligen Tagesform, aber auch der verwendeten Schreibunterlage unterschiedlich beeinträchtigt sein konnte, hat das Nachlassgericht zutreffend auch für den Vergleich des Textes des Testaments vom 05.09.2020 mit dem leicht saubereren bzw. geradlinigeren Schriftbild des Zusatzes vom 04.11.2020 unterstellt und daraus wegen der hohen Ähnlichkeit beider Textteile insgesamt die Urheberschaft des Erblassers nicht in Zweifel gezogen. Richtigerweise kann sowohl den Angaben des Pflegedienstes, insbesondere dem eingehenden Bericht der Pflegekraft Frau Julia Wolf (Bl. 99 d.A.), als auch den vom Antragsteller eingereichten Dokumenten mit Schriftproben des Erblassers entnommen werden, dass der Erblasser durch seine Parkinson-Erkrankung zum Zeitpunkt der Errichtung im September/November 2020 nicht an der Fertigung handschriftlicher Texte gehindert war, da er, wie das Erstgericht zutreffend hervorhob, nach wie vor Einkaufslisten schrieb und Unterschriften leistete. Für die richterliche Überzeugung von der Echtheit und Eigenhändigkeit des Testaments genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit (BayObLG FamRZ 2005, S. 1014 f m. w. Nachw.; OLG Düsseldorf Beschl. v. 08.05.2013 – 3 Wx 47/12, BeckRS 2013, 10295, beck-online). Die für diesen Maßstab erforderliche Gewissheit konnte auf der Grundlage der vom Nachlassgericht angestellten Erwägungen, insbesondere auch im Abgleich mit den vom Antragsteller eingereichten Unterlagen (Anlage AS2, Bl. 65 ff d.A.) ohne weitergehende Ermittlungen gefunden werden.

(…) Darüber hinaus besteht auch trotz des verwendeten Papiers – der blanko Rückseite eines Ausdrucks des Speiseplanes eines Cafés – kein ernstlicher Zweifel daran, dass der Erblasser das Schriftstück mit dem Datum 05.09.2020/04.11.2020 (Bl. 33 der Beiakte) mit ernstlichem Testierwillen errichtet hat. Es spricht aus Sicht des Senats auch nichts dafür, dass es sich lediglich um einen Entwurf handeln könnte. Ob ein solcher ernstlicher Testierwille vorgelegen hat, ist dabei im Wege der Auslegung gem. § 133 BGB unter Berücksichtigung aller erheblichen, auch außerhalb der Urkunde liegenden Umstände und der allgemeinen Lebenserfahrung zu beurteilen. Dabei sind, sofern die Form des Schriftstücks nicht den für Testamente üblichen Gepflogenheiten entspricht, an den Nachweis des Testierwillens strenge Anforderungen zu stellen (vergl. OLG Hamm Beschl. v. 15.06.2021 – 10 W 18/21, BeckRS 2021, 24565 Rn. 27, beck-online, m.w.N. betr. Werbezettel). Andererseits schreibt das Gesetz zur Errichtung eines eigenhändigen Testaments nicht die Verwendung eines bestimmten Schriftträgers vor (vergl. BGH, Beschluss vom 03.02.1967 – III ZB 14/66 = NJW 1967, 1124, beck-online [Blaupausen-Entscheidung]). Für die Ermittlung des Testierwillens bei Verwendung eines solchen Schriftträgers ist nicht die Wahl des Schreibmaterials maßgeblich, sondern die Frage, ob sich das Papier zur Fixierung der Schriftzüge eignet und nicht etwa aus der Wahl des Schreibmaterials erkennbar wird, dass der Erblasser seine Verfügung ernstlich gar nicht hat treffen wollen (MüKoBGB/Sticherling, a.a.O., BGB § 2247 Rn. 16, 17). Daran besteht aber hier kein durchgreifender Zweifel, weil das Dokument mit „Mein Testament“ überschrieben, mit dem vollen Namen und Geburtsdatum des Erblassers sowie des Begünstigten in einem für Testamente üblichen Wortlaut geschrieben, mit Ort und Datum versehen und von dem Erblasser unterschrieben ist. In diesem Fall spricht schon die inhaltliche Gestaltung und Ausdrucksform für eine mit Testierwillen verfasste Erklärung (vergl. hierzu MüKoBGB, a.a.O., § 2247 Rn. 18). Gegen das Vorliegen lediglich eines Entwurfs spricht auch, dass der Erblasser am 04.11.2020 auf demselben Blatt, welches am 11.11.2020 durch den Rechtsanwalt Wolfgang Sucker in die besondere amtliche Verwahrung bei dem Nachlassgericht gegeben wurde (Bl. 23 der Beiakte), eine Ergänzung angebracht hat, womit die Verfügung vom 05.09.2020 zugleich bestätigt wurde.

(…) Zutreffend hat das Erstgericht erkannt, dass der Erblasser an diesen testamentarischen Anordnungen nicht etwa durch frühere Verfügungen von Todes wegen gehindert war, insbesondere nicht durch eine Bindungswirkung nach § 2271 BGB an die die Beschwerdeführerin begünstigende letztwillige Verfügung in dem gemeinsam mit der vorverstorbenen Ehefrau errichteten gemeinschaftlichen Testament vom 06.05.1998. Aufgrund der in § 3 des gemeinschaftlichen Testaments vom 06.05.1998 enthaltenen Freistellungsklausel, die den Letztlebenden ausdrücklich dazu berechtigt, abweichende Verfügungen von Todes wegen zu treffen, war der Erblasser nicht an die dortige Einsetzung der Beschwerdeführerin als Schlusserbin gebunden, und daher auch nicht daran gehindert, den Antragsteller zum Alleinerben einzusetzen.

(…) Vor allem teilt der Senat die auf der Grundlage der umfassend durchgeführten erstinstanzlichen Beweisaufnahme getroffene und ebenso gründlich wie nachvollziehbar begründete Würdigung des Nachlassgerichts, dass das handschriftliche Testament des Erblassers vom 05.09./ 04.11.2020 – entgegen der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Zweifel an der geistigen Verfassung des zum Zeitpunkt seiner Errichtung bereits seit sechs Jahren an einer Parkinson’schen Erkrankung leidenden Erblassers – wirksam ist, weil sich nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen lässt, dass ihm bei Errichtung dieses Testaments die erforderliche Testierfähigkeit im Sinne des § 2229 Abs. 4 BGB fehlte.

(…) Das Nachlassgericht hat in seinem Beschluss unter Berücksichtigung der hierzu bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung, welcher auch der Senat folgt, einen zutreffenden Maßstab für diesbezügliche Prüfung angesetzt. Nach § 2229 Abs. 4 BGB kann ein Testament nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Testierunfähigkeit liegt danach vor, wenn einem Erblasser aufgrund solcher krankhaften Erscheinungen die Einsichts- und Handlungsfähigkeit verloren gegangen sind, er mithin nicht mehr in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und danach zu handeln. Danach genügt es zur Bejahung der Testierfähigkeit nicht, dass der Erblasser eine allgemeine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung eines Testaments und von dem Inhalt seiner letztwilligen Anordnung hatte; er muss vielmehr auch in der Lage sein, sich über die Tragweite dieser Anordnungen und ihre Auswirkungen auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen sowie über die Gründe, die für und gegen ihre sittliche Berechtigung sprechen, ein klares Urteil zu bilden und nach diesem Urteil frei von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln (vergl. BGH, Urteil vom 29.01.1958 – IV ZR 251/57 –, juris; Senatsbeschluss vom 02.06.2017 – 6 W 95/16 –, Rn. 35, juris; OLG Hamm Beschl. v. 26.10.2020 – 15 W 26/19, BeckRS 2020, 31379 Rn. 13, beck-online; KG (19. ZS), Beschluss vom 08.02.2021 – 19 W 10/20 –, Rn. 51, juris). Dieser Prozess der Willensbildung setzt voraus, dass eine Person Informationen aus der Umgebung aufnehmen und im Gehirn speichern kann. Sie muss in der Lage sein, gespeicherte Informationen wieder abzurufen und in der Weise zu verarbeiten, dass mögliche Handlungsalternativen wahrgenommen werden. Die Informationen müssen beurteilt und daraus eine Entscheidung abgeleitet werden können. Schließlich muss die Person in der Lage sein, einen gefassten Entschluss auch umzusetzen (vgl. Senatsbeschluss vom 02.06.2017 – 6 W 95/16 -, juris, Rn. 35, m. w. N.; KG (19. ZS), Beschluss vom 8.02.2021 – 19 W 10/20 –, Rn. 52 f., juris m.w.N.).

(…) Diesen Maßstab hat auch das Nachlassgericht zutreffend angesetzt und im Rahmen des gebotenen zweistufigen Beurteilungssystems anhand des Sachverständigengutachtens zunächst auf der diagnostischen Ebene geprüft, ob eine geistige Störung vorlag, und sodann untersucht, ob eine festgestellte geistige Störung den Ausschluss der erforderlichen Einsichts- und Handlungsfähigkeit zur Folge hatte (psychopathologische Ebene) (vergl. KG (19. ZS) a.a.O., 19 W 10/20 –, Rn. 52, juris m.w.N., MüKoBGB, a.a.O. § 2229 Rn. 5). Entscheidend ist, dass hier verbleibende Zweifel an der durchgängigen uneingeschränkten freien Willensbildung zu Lasten der Beschwerdeführerin gehen, welche für sich die Geltung der sie begünstigenden vormaligen letztwilligen Verfügung reklamiert und daher für das spätere Fehlen der Testierfähigkeit die Feststellungslast trägt. Denn die Störung der Geistestätigkeit bildet die Ausnahme; der Erblasser gilt so lange als testierfähig, bis das Gegenteil zur vollen Überzeugung des Gerichts bewiesen ist (vergl. Senatsbeschluss vom 02.06.2017 – 6 W 95/16 –, Rn. 35, juris m.w.N.). Verlangt wird dabei nicht eine absolute persönliche Gewissheit des Gerichts. Es reicht vielmehr für die Überzeugung des Gerichts ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Diese für § 286 ZPO entwickelten Grundsätze gelten grundsätzlich auch im Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz (vgl. KG (19. ZS.) a.a.O., 19 W 10/20 –, Rn. 52 f., juris m.w.N.).

(…) Nach diesem Maßstab erscheint es auch unter Berücksichtigung des erstinstanzlichen Vorbringens der Beschwerdeführerin und der von ihr eingereichten schriftlichen Stellungnahmen der Angehörigen des Erblassers trotz gewisser, auch von dem Sachverständigen erläuterter krankheitsbedingter Einschränkungen im Zusammenhang mit der Parkinson-Erkrankung nicht zur Überzeugung des Senats erwiesen, dass dem Erblasser im September bzw. November 2020 die gemäß § 2229 Abs. 4 BGB erforderliche Testierfähigkeit fehlte.

(…) Nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. T.W. in dem vom Erstgericht eingeholten Neuropsychiatrischen Gutachten vom 21.02.2022 ist aufgrund der konkreten Beschreibung der Defizite der Urteilsfähigkeit des Erblassers durch seine Verwandten zwar wahrscheinlich, dass zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments vom 05.09. / 04.11.2020 eine Einschränkung der freien Willensbildung vorlag. Allerdings konnte der Sachverständige aufgrund der Angaben des Pflegepersonals und des behandelnden Neurologen Dr. B., welche keine so ausgeprägten Defizite im September 2020 berichteten, eine freie Willensbestimmung und damit eine Testierfähigkeit nicht ausreichend sicher ausschließen (Gutachten vom 21.02.2022. Seite 24, Bl. 176 d.A.). Da der Sachverständige sämtliche in der Akte vorhandenen Stellungnahmen von Pflegepersonen, Angehörigen, behandelnden Ärzten, sowie Behandlungsunterlagen in einer chronologischen Reihenfolge auf Aufschlüsse über die Beeinträchtigung der freien Willensbildung des Erblassers untersucht hat und diese unter verschiedenen Gesichtspunkten – etwa der Orientierung, Kommunikationsfähigkeit, des Zugriffs auf das biografische Gedächtnis (Erinnerungen), Kritikfähigkeit, Urteilsbildung -, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, einer eingehenden Abwägung unterzogen hat, überzeugt diese von ihm getroffene diagnostische Einschätzung. Dies insbesondere deshalb, weil der Sachverständige davon ausgeht, dass alle in der Akte befindlichen Stellungnahmen und Angaben zutreffend sind (Seite 24 des SVGA, Bl. 176 d.A,). Damit ist das Gewicht der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Berichte der Angehörigen, etwa über eine gewisse Verwirrtheit, Erinnerungsstörungen und Realitätsverkennungen, gerade in die Bewertung eingeflossen; eine persönliche Anhörung war insofern zur Überzeugungsbildung nicht erforderlich, weil die in der Akte vorhandenen schriftlichen Angaben hinreichend klar waren und in ihrer Aussagekraft von dem Sachverständigen auch nicht in Zweifel gezogen wurden. Auch diese der Beschwerdeführerin günstigen Angaben ihrer Angehörigen konnten vom Nachlassgericht als zutreffend zugrunde gelegt werden, ohne dass sich die Bewertung im Ergebnis änderte. Dies gilt insbesondere für die Feststellung des Sachverständigen, dass die Angaben der Verwandten der Beschwerdeführerin, der Familie X., dafür sprachen, dass die erforderliche Kritikfähigkeit und Urteilsfähigkeit des Erblassers deutlich eingeschränkt war (Bl. 173). In dieser Hinsicht hat der Sachverständige auch den in einer letztwilligen Verfügung objektiv fehlplatzierten Zusatz „für mich gild Wohnrecht für unbegrenzte Zeit sowie ein Nießbrauch“ unter dem Gesichtspunkt „Zusammenhänge erfassen und Abwägungen vornehmen“ erörtert, und die diesbezüglichen Zweifel in seine Gesamtabwägung zur Testierfähigkeit einbezogen. Auch diese Annahme hat in der Gesamtschau bei der Beurteilung durch den Sachverständigen nicht dazu geführt, hinreichend sicher eine Einschränkung der freien Willensbestimmung anzunehmen.

(…) Entscheidend ist danach, dass mit der Parkinson-Erkrankung des Erblassers, die zum maßgeblichen Zeitpunkt im September/ November 2020 bereits seit sechs Jahren fortdauerte, zwar ersichtlich motorische Störungen vorlagen, jedoch keine Hinweise auf eine sog. Parkinson-Demenz bestanden, welche sich deutlich einschränkend auf die freie Willensbildung auswirken würde, jedoch nach Feststellungen des Sachverständigen erst nach einer längeren Erkrankungsdauer zu erwarten ist. Die Parkinson-Erkrankung ist nach der fachkundigen Darstellung des Sachverständigen kein einheitliches Krankheitsbild, sondern ein typischer Symptomkomplex aus vorwiegend motorischen Symptomen. Sie ist eine chronisch progressive neurodegenerative Erkrankung, die durch vorwiegend motorische Symptomatik charakterisiert ist. Solche wurde bei dem Erblasser beschrieben, nämlich Gangunsicherheit, Stürze, Rigor, Zittern, Verlangsamung der Denkabläufe, Sprechstörungen. Danach geht mit einer Parkinson-Erkrankung eine Einschränkung der freien Willensbestimmung gerade nicht automatisch einher, sondern diese kann nur dann angenommen werden, wenn sie sich aufgrund der konkret feststellbaren Symptomatik im Verhalten des Erblassers manifestiert hätte. Dies war nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung nicht hinreichend sicher der Fall.

(…) Entsprechende dezidierte psychiatrischen Befunde über die geistigen Fähigkeiten wurden bei dem Erblasser zu Lebzeiten nicht erhoben, insbesondere lagen in der Akte keine expliziten psychopathologischen oder neuropsychologischen Befunde vor (S. 24 des SVGA, Bl. 176 d.A.). Den ärztlichen Stellungnahmen des behandelnden Neurologen sowie der Hausärztin ist jedoch ausdrücklich zu entnehmen, dass ein Anlass für die Erhebung derartiger Befunde bei dem Erblasser bis zu seinem Tod aus ärztlicher Sicht nicht gesehen wurde. Auch die Angehörigen, die in den zur Akte gereichten Stellungnahmen ihre Besorgnis über die Orientiertheit und geistige Verfassung des Erblassers geäußert haben, haben zu Lebzeiten die geschilderten Ereignisse nicht etwa zum Anlass genommen, derartige Untersuchungen zu veranlassen oder gar eine Betreuung des noch in seinem eigenen Hause wohnhaften Erblassers in Erwägung zu ziehen. Der Neurologe Dr. B., der den Erblasser zeitnah zur Errichtung des handschriftlichen Testaments im September 2020 untersucht hat, hat den Erblasser zu diesem Zeitpunkt als testierfähig eingeschätzt, weil ihm zu diesem Zeitpunkt die Orientierung und Auffassungsfähigkeit vollständig gegeben erschien. Dies hat der Neurologe in der nach Eingang des Sachverständigengutachtens vom Nachlassgericht durchgeführten ergänzenden telefonischen Anhörung bestätigt. Auch die Hausärztin des Erblassers, vom Nachlassgericht nach Einholung des Sachverständigengutachtens persönlich (telefonisch) angehört, beschreibt die bei dem Erblasser wahrgenommenen Einschränkungen als altersbedingt verlangsamt, aber keinesfalls als Demenz. Aus medizinischer Sicht besteht zwischen den von allen Angehörten beschriebenen deutlichen motorischen Störungen und etwaigen kognitiven Störungen gerade keine Korrelation, so dass nicht von den – erwiesenen – motorischen und insbesondere feinmotorischen Störungen, dem Zittern und anderen körperlichen Symptomen der Parkinson-Erkrankung auf die geistigen Fähigkeiten des Erblassers geschlossen werden kann. Soweit der Erblasser teilweise unter Halluzinationen litt, hat der Sachverständige gerade erläutert, dass diese typischerweise mit der Medikation gegen die Parkinson-Erkrankung zusammenhängen können; vorliegend konnte er diese jedoch nicht als sicher handlungsleitend feststellen, weil sich der Erblasser von diesen Fehlwahrnehmungen jeweils selbst distanziert habe, indem er diese als albtraumhaft beschrieben und ihre Fremdartigkeit erkannt habe. Gerade angesichts der vorgenannten Schilderungen des Neurologen Dr. B. ist aufgrund dieser Halluzinationen, da diese nur zeitweise auftraten, ein Ausschluss der freien Willensbildung gerade nicht hinreichend begründbar. Die Verlangsamung des Erblassers stellte sich als typisches Merkmal der Parkinson-Erkrankung dar, ließ aber aus Sicht des Sachverständigen gerade nicht auf eine formale Denkstörung bzw. Denkhemmung schließen.

(…) Schließlich ist die von dem Erblasser getroffene Verfügung auch inhaltlich plausibel und nachvollziehbar, da der Antragsteller nachvollziehbare Motive für die Zuwendung schildert, welche sich in den Angaben der weiteren angehörten Personen wiederfinden. Denn es finden sich nicht nur in den Angaben der Pflegepersonen, sondern auch in den ärztlichen Berichten Hinweise darauf, dass der Erblasser die Unterstützung durch die Nachbarn in seinem Alltag sehr zu schätzen wusste, da er zwar eine gewisse Traurigkeit äußerte, nach dem Tod seiner Ehefrau allein zu leben, aber es ihm besonders wichtig war, weitgehend selbständig in seinem Haus wohnen zu bleiben. Bei diesem Anliegen hat offenbar der Antragsteller den Erblasser unterstützt. Es handelt sich daher nicht um eine unverständliche oder wesensfremde Verfügung, sondern um eine Entscheidung zugunsten einer zuletzt im Alltag des Erblassers wichtigen Bezugsperson. Die Würdigung des Nachlassgerichts, dass diese Verfügung nicht erwiesenermaßen das Ergebnis einer fehlenden Fähigkeit des Erblassers sei, sich über die Tragweite seiner Anordnungen und ihre wirtschaftlichen Auswirkungen für die Betroffenen sowie deren sittliche Berechtigung ein klares Urteil zu bilden und nach diesem Urteil frei von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln, hält daher rechtlicher und tatsächlicher Überprüfung in vollem Umfang stand. Da ein Fehlen der Testierfähigkeit mithin nicht erwiesen ist, ist mit dem Erstgericht von der Testierfähigkeit des Erblassers zum maßgeblichen Zeitpunkt im September/November 2020 auszugehen und fehlt dem handschriftlichen Testament zugunsten des Beteiligten zu 1.) aus diesem Grunde auch nicht die Wirksamkeit im Sinne des § 2229 Abs. 4 BGB.“

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Pia Roggendorff-Jentsch
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Erbrecht

Mail: koeln@etl-rechtsanwaelte.de


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