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Zur Haftung des GmbH-Geschäftsführers nach § 43 Abs. 2 GmbHG

Zur Haftung des GmbH-Geschäftsführers nach § 43 Abs. 2 GmbHG
Aktuelles
28.03.2023

Zur Haftung des GmbH-Geschäftsführers nach § 43 Abs. 2 GmbHG

Siehe dazu OLG Zweibrücken, Urt. v. 27.10.2022 – 4 U 198/21, NJW-Spezial 2023, 112:

„1. Für eine Haftung des Organwalters nach § 43 Abs. 2 GmbHG ist nach Auffassung des Senats eine Verletzung einer – hier nicht zu bejahenden – spezifisch organschaftlichen Pflicht erforderlich.

Was unter den „Pflichten“ im Sinne des § 43 Abs. 2 GmbHG im Einzelnen zu verstehen ist, wird in der Rspr. und im Schrifttum unterschiedlich beurteilt.

  1. Eine eindeutige Rspr. des BGH zu der konkreten Fragestellung des § 43 Abs. 2 GmbHG besteht nach dem Verständnis des erkennenden Senats nicht. (…).
  2. Auch die obergerichtliche Rspr. dazu ist nicht eindeutig.
  3. So hat sich der 8. Zivilsenat des Pfälzischen OLG Zweibrücken zu einer Fallgestaltung wie der hier vorliegenden letztlich nicht äußern müssen. Er konnte es insoweit dabei belassen, dass ´bei der Bestimmung und Abgrenzung der einem Geschäftsführer obliegenden Pflichten … sich insoweit Schwierigkeiten (ergeben), als das Gesetz einerseits den Umfang dieser Pflichten nicht abschließend regelt, andererseits diese Pflichten grundsätzlich durch den Gesellschaftsvertrag, den Anstellungsvertrag oder durch einzelne Gesellschafterbeschlüsse erweitert bzw. eingeschränkt werden´ (…).

Um ein solches Risikogeschäft handelte es sich bei den Geldüberweisungen der Bekl. zum Zwecke der Bezahlung von Lieferantenrechnungen indes nicht.

  1. Das OLG Koblenz hat – ohne nähere Ausführungen zu der Problematik der Verletzung einer organschaftlichen Pflicht – eine Haftung gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG für einen Fall eines durch einen Geschäftsführer grob fahrlässig verursachten Verkehrsunfalls bejaht. Der Geschäftsführer habe in Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden (…).

Ein Fall grob fahrlässigen Handelns der Bekl. ist vorliegend jedoch zu verneinen.

  1. Im Schrifttum zu § 43 GmbHG wird die Frage unterschiedlich beantwortet.
  2. Teilweise wird vertreten, der Geschäftsführer hafte dafür, dass er ´die allgemeinen Verhaltensanforderungen aus Abs. 1 verletzt hat, also seine Sorgfaltspflicht i. e. S. oder seine Legalitätspflicht – jeweils einschließlich der damit verbundenen Pflichten zur Überwachung der Geschäftsführerkollegen und nachgeordneten Mitarbeiter – oder auch seine organschaftliche Treuepflicht. Sie kann sich ferner aus der Verletzung spezieller Pflichten des Geschäftsführers ergeben, die das Gesetz dem Geschäftsführer in gesonderten Vorschriften zuweist´ (…). Für den Fall einer sich nicht aus der organschaftlichen Stellung ergebenden Pflichtverletzung schließe dies ´aber nicht aus, dass sie auch bei Schädigungen eingreift, die in gleicher Weise von einer Person verursacht werden könnten, die nicht Geschäftsführer ist (z. B. Verkehrsunfall mit dem Dienstwagen). Im Schrifttum wird jedoch meist betont, dass in diesem Fall nicht der organspezifische Sorgfaltsmaßstab des § 43 Abs. 1, sondern der allgemeine Sorgfaltsmaßstab des § 276 BGB gelte. Zu demselben Ergebnis gelangt man indes auch, wenn man Abs. 1 anwendet und in diesem Rahmen anerkennt, dass von einem ordentlichen Geschäftsleiter bei der Teilnahme am Straßenverkehr oder vergleichbaren nicht organspezifischen Tätigkeiten keine Anforderungen erwartet werden, die über den allgemeinen Maßstab des § 276 Abs. 1 BGB hinausgehen. Für eine Haftungsprivilegierung entsprechend den arbeitsrechtlichen Grundsätzen zum innerbetrieblichen Schadensausgleich ist auch bei solchen nicht organspezifischen Handlungen kein Raum.´ (…).

Nach dieser Auffassung wäre hier eine Pflichtverletzung unter Anwendung der allgemeinen Sorgfaltspflichten (§ 276 BGB) zu bejahen.

  1. Nach anderer, wohl überwiegender Auffassung, der sich der erkennende Senat anschließt, sind ´vier größere Pflichtenkreise zu unterscheiden: Erstens ist jeder Geschäftsführer gehalten, die im GmbH-Gesetz, der Satzung und der Geschäftsordnung niedergelegten Organpflichten zu erfüllen und die das Unternehmen betreffenden Rechtsvorschriften des allgemeinen Zivilrechts, des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts und des öffentlichen Rechts zu beachten (sog. Legalitätspflicht). Zweitens muss ein Geschäftsführer die ihm übertragene Unternehmensleitung innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Pflichtenrahmens umfänglich wahrnehmen und sein Amt mit der erforderlichen Sorgfalt führen (sog. Sorgfaltspflicht im engeren Sinne). Drittens obliegt es dem Geschäftsführer, sich in geeigneter Weise von dem recht- und zweckmäßigen Verhalten nachgeordneter Unternehmensangehöriger und seiner Geschäftsführerkollegen zu überzeugen (sog. Überwachungspflicht). Viertens hat sich in jüngerer Zeit aus der allgemeinen Überwachungspflicht eine besondere Pflicht herausgebildet, Gesetzesverstöße von Unternehmensangehörigen schon im Vorfeld durch geeignete und zumutbare Schutzvorkehrungen zu verhindern (sog. Compliance-Pflicht …).

In diese Richtung argumentiert auch Kleindiek, nach welchem § 43 Abs. 1 GmbHG „einen Verschuldensmaßstab (umschreibt), aber zugleich den Maßstab für die Konkretisierung der dem Geschäftsführer obliegenden Organpflichten (liefert), soweit sie nicht schon gesetzlich ausformuliert sind. Denn die Verhaltenspflichten gegenüber der Gesellschaft (§ 43 Abs. 2 spricht von ´Obliegenheiten´) lassen sich nur vor dem Hintergrund des in § 43 Abs. 1 umschriebenen Sorgfaltsmaßstabs eingrenzen. Auch wenn man § 43 Abs. 1 nicht schon unmittelbar die Funktion einer Pflichtenquelle zubilligen mag, wird in der Systematik des Gesetzes die Pflicht des Geschäftsführers zur ordnungsgemäßen (dem Standard der ´Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes entsprechenden) Unternehmensleitung doch vorausgesetzt.“ (…).

Danach gelten für Tätigkeiten, die lediglich bei Gelegenheit der Geschäftsführung vorgenommen werden (zB das Fahren eines Geschäfts-Pkw) der Pflichten-, Sorgfalts- und Haftungsmaßstab aus den allgemeinen Regeln. Das Verhalten des Geschäftsführers ist in solchen Fällen ´an §§ 280 ff., BGB § 823 BGB und am Sorgfaltsmaßstab des § 276 Abs. 2 BGB zu messen´ (…).

Ähnlich sieht es wohl Wicke, wenn er ausführt, der Anstellungsvertrag könne besondere Bedeutung ´erlangen, wenn Vertragspflichten verletzt werden, die in keinem Zusammenhang zur Organstellung stehen, oder wenn der Anstellungsvertrag mit einem Dritten geschlossen wurde oder drittschützende Wirkung entfaltet (…)´, wenn er auch – inkonsequent – Haftungsmilderungen erwägt bei einer Tätigkeit, die nicht die Erfüllung typischer Geschäftsführerpflichten zum Gegenstand hat wie, zB bei einer Fahrt mit dem Dienst-PKW (…).

Der erkennende Senat entscheidet dahin, dass der Sorgfaltspflichtverstoß der Bekl., der in der Beauftragung von Geldüberweisungen aufgrund einer (gefälschten) Mitteilung einer geänderten Kontoverbindung des Empfängers W. bestand, nicht als Verletzung einer spezifisch organschaftlichen Pflicht anzusehen ist. Denn diese Tätigkeit wäre üblicherweise eine solche der Buchhaltung gewesen. Die der Bekl. als Geschäftsführerin übertragene Unternehmensleitung als solche ist hiervon nicht berührt, auch nicht in Form einer Verletzung von Überwachungspflichten.

Dieses Ergebnis findet nach Auffassung des Senats Bestätigung in § 93 AktG, dem § 43 Abs. 2 GmbHG nachgebildet ist. Denn bei der Beurteilung der Verantwortlichkeit von Vorstandsmitgliedern nach § 93 AktG wird die vom Senat für zutreffend erachtete Auffassung übereinstimmend geteilt (…).

Sonach scheidet eine Haftung der Bekl. auf Schadensersatz aus § 43 Abs. 2 GmbHG aus.

  1. Auch eine Haftung der Bekl. Aus § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der sie aus dem Anstellungsvertrag als Geschäftsführerin treffenden Dienstpflichten oder aus § 823 BGB besteht nicht.

Dabei kann dahinstehen, ob von der Bekl. nach dem Anstellungsvertrag die Sorgfalt verlangt werden kann, die ein ordentlicher Geschäftsmann in verantwortlich leitender Position bei selbstständiger Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen zu beachten hat (…), was über den von jedermann zu beachtenden Sorgfaltsmaßstab in § 276 BGB hinaus geht (…).

Denn die (wenn auch geringfügige) Abweichung der Absenderadresse bei den Phishing-Mails (´film.com´ zu ´flim.com´) hätte von der Bekl. bei einem höheren Maß an Aufmerksamkeit durchaus bemerkt werden können.

Unabhängig von der Verneinung einer spezifisch organschaftlichen Pflichtverletzung der Bekl. greift aber – die Klageabweisung selbständig tragend – im vorliegenden Fall zu Gunsten der Bekl. eine Haftungsmilderung in Anlehnung an die Grundsätze der Haftung von Arbeitnehmern im Rahmen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs nach den arbeitsrechtlichen Grundsätzen der betrieblich veranlassten Tätigkeit (…). Danach ist hier – unter weiterer Berücksichtigung gerade auch der von dem Senat als glaubhaft erachteten Angaben der Bekl. in ihrer formlosen Parteianhörung zu ihren faktisch beschränkten Entscheidungskompetenzen in dem Unternehmen der Kl. – sowohl eine Haftung der Bekl. Aus § 280 Abs. 1 BGB iVm dem Anstellungsvertrag als auch nach § 823 BGB und auch eine solche nach § 43 Abs. 2 GmbHG ausgeschlossen.

Eine Haftungsmilderung kommt nach herrschender Meinung im Bereich der Organfunktion zwar nicht in Betracht (…). Eine Ausnahme wird teilweise als möglich erachtet, wenn der Geschäftsführer wie jeder beliebige Dritte am Rechtsverkehr teilnimmt. In diesen Fällen sei eine analoge Anwendung der arbeitsrechtlichen Grundsätze zur innerbetrieblichen Schadensteilung je nach Umständen des Einzelfalls möglich, die umso eher ausscheidet, je autonomer der Geschäftsführer handeln kann, und umso mehr in Betracht kommt, je mehr er in seinem Handeln – etwa als Geschäftsführer einer konzernabhängigen GmbH – gebunden ist (…). Klassischer Beispielsfall ist die Beschädigung eines gesellschaftseigenen Dienstwagens durch den Geschäftsführer (…).

Legt man – wie nach Auffassung des Senats geboten – diesen Maßstab an das Handeln der Bekl. an, scheidet ihre Haftung auf Schadensersatz aus, weil sie bei den Fehlüberweisungen bloß leicht fahrlässig gehandelt hat (…):

So wurden bei den Phishing-Mails, mit welchen die Bekl. getäuscht wurde, lediglich eine geringfügige Änderung der korrekten E-Mail-Adresse des langjährigen Geschäftspartners der Kl. W. vorgenommen. Es wurden von dem oder den Tätern keine Änderung von Namen bei den (angeblich) für W. handelnden Personen vorgenommen und zudem war zeitlich vor den Überweisungen in Betrugsabsicht eine Änderung von Kontoverbindungen angekündigt worden. Die übersandten Rechnungen in den E-Mails waren plausibel sowohl nach der Art der Darstellung als auch in ihrer Höhe. Hinzu kommt die Art des Phishing-Angriffs, der nicht einmalig, sondern durch fortgesetzten E-Mail-Kontakt erfolgte, wobei jeweils Bezug auf die bestehende Kommunikation genommen wurde (auch auf solche vor Beginn der Phishing-Attacke). Insgesamt ergibt sich daraus das Bild eines sehr professionellen Handelns durch den oder die Phishing-Täter, auf welches die Bekl. als Betrugsopfer ´hereingefallen´ ist.

Hiergegen ließe sich letztlich nur einwenden, dass Summen ab einer bestimmten Größenordnung nur nach intensiver Überprüfung und unter Wahrung des Vier-Augen-Prinzips überwiesen werden sollten. Angesichts der von der Bekl. glaubhaft geschilderten Ausgestaltung der (von dem Alleingesellschafter vorgegebenen) tatsächlichen Abläufe im Unternehmen der Kl. war eine solche Gegenkontrolle für die Bekl. allerdings nicht leistbar. Die im Einzelnen überwiesenen Summen waren zudem nach im Prozess vorgelegten Kontoauszügen nicht außergewöhnlich, sondern alltäglich.

Damit scheidet in Übertragung der Grundsätze der Haftungsprivilegierung für Arbeitnehmer auf die Haftung des GmbH-Geschäftsführers eine Haftung der Bekl. hier insgesamt aus.

  1. Damit kann dahinstehen, ob einer Haftung der Bekl. weiter auch die Berücksichtigung des relativen Verschuldensmaßstabes des § 43 GmbHG entgegen steht.

Die Ausgestaltung des anzulegenden Verschuldensmaßstabes ist durch die besondere Lage des Einzelfalles geprägt (…). Bei der gebotenen Berücksichtigung des Einzelfalls müssten die oben genannten Argumente Berücksichtigung finden. Danach wäre eine Haftung der Bekl. zu verneinen.

  1. Letztlich scheidet eine Haftung der Bekl. auch wegen Kenntnis der Kl. in der Person ihres Alleingesellschafters und Mitgeschäftsführers R. von den tatsächlichen Geschehnissen im Zusammenhang mit den durch Betrugshandlungen Dritter veranlassten Geldüberweisungen aus.

Aus den im Prozess vorgelegten E-Mails wird deutlich, dass der Alleingesellschafter R. von der Bekl. in deren Email-Kommunikation mit (vermeintlich) W. jeweils in CC gesetzt bzw. ausdrücklich über die (angeblich) geänderten Kontoverbindungen informiert wurde. Dennoch unterblieb – entgegen dem Vorbringen der Kl. – eine ausdrückliche Anweisung, keine Gelder zu überweisen oder die Geschäftsbeziehungen mit W. zu beenden. Anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Kl. vorgelegten Whatsapp-Nachricht. Damit liegt ein sog. informelles Einverständnis der Kl. mit der Handlungsweise der Bekl. vor, das die Haftung der Bekl. entfallen lässt. Denn der Befolgung eines Gesellschafterbeschlusses steht es gleich, wenn Geschäftsführer ohne förmliche Beschlussfassung im – auch stillschweigenden – Einverständnis aller Gesellschafter handeln (…).

Auch danach ist eine Haftung der Bekl. zu verneinen, da die Überweisungen auf eine geänderte Kontoverbindung (insoweit nicht wegen Übersehen der veränderten E-Mail-Adresse) mit dem zumindest informellen Einverständnis des Allein-Gesellschafters erfolgten.“

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Autor(en)

Dr. Uwe P. Schlegel
Rechtsanwalt

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