Zur Bemessung eines Schmerzensgeldes (§ 253 Abs. 2 BGB) im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall
Das OLG Brandenburg hat entschieden (OLG Brandenburg, Urt. v. 03.02.2020 – 12 U 98/19):
Das Landgericht hat das ihm zustehende Ermessen bei der Bemessung des Schmerzensgeldanspruches aus §§ 7, 11, 17, 18 StVG, 823 Abs. 1, 253, 254 BGB, 3 PflVG, 115 VVG zutreffend ausgeübt. Ein über das ausgesprochene Schmerzensgeld von 10.000 € hinausgehender Anspruch ist nicht gerechtfertigt.
Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden (§ 253 Abs. 2 BGB).
Das Schmerzensgeld verfolgt dabei vordringlich das Ziel, dem Geschädigten einen Ausgleich für die erlittenen immateriellen Schäden zu gewähren und ihm zugleich Genugtuung für das ihm zugefügte Leid zu geben (BGH, NJW 1993, 1531; NZV 2017, 179, beck-online). Für die Bemessung der Schmerzensgeldhöhe sind Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentlichen Kriterien (vgl. BGHZ 18, 149, 154). Als objektivierbare Umstände sind u.a. maßgebend die Art und Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten, die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und der Grad des Verschuldens des Schädigers (BGH, NJW 1998, 2741, beck-online). Darüber hinaus sind die speziellen Auswirkungen des Schadensereignisses auf die konkrete Lebenssituation des Betroffenen zu berücksichtigen. Auch die beruflichen Folgen der Verletzung, das Alter und ihre Auswirkungen auf die Freizeitgestaltung des Geschädigten sind Faktoren bei der Bestimmung des Schmerzensgeldes. Verlangt der Kläger für erlittene Körperverletzungen – wie im Streitfall – uneingeschränkt ein Schmerzensgeld, so werden auch alle diejenigen Schadensfolgen erfasst, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte (BGH, Urteil vom 10. Juli 2018 – VI ZR 259/15 -, Rn. 6, juris).
Bei der Schmerzensgeldbemessung verbietet sich eine schematische, zergliedernde Herangehensweise. Einzelne Verletzungen bzw. Verletzungsfolgen dürfen nicht gesondert bewertet und die so ermittelten Beträge addiert werden. Vielmehr ist die Schmerzensgeldhöhe in einer wertenden Gesamtschau aller Bemessungskriterien des konkreten, sich an den von der Rechtsprechung sonst bei der Bemessung des Schmerzensgeldes angewandten Maßstäben zu orientieren (BGH, Urteil vom 18. November 1969 – VI ZR 81/68 -, Rn. 33, juris). Die Orientierung an in anderen Fällen von der Rechtsprechung zugebilligten Beträgen ist dabei nicht nur zulässig, sondern wenigstens als Ausgangspunkt auch erforderlich, weil sich eine unmittelbare Relation zwischen einer Geldentschädigung und nur im seelischen Bereich liegenden Beeinträchtigungen nicht gewinnen lässt. Inwieweit alsdann der Tatrichter die früheren Maßstäbe einhält oder – sei es unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Entwicklung, sei es im Zuge einer behutsamen Fortentwicklung der Rechtsprechung – überschreitet, liegt wiederum in seinem pflichtgemäßen Ermessen (BGH, VersR 1970, 281; VersR 1976, 967 f.; VersR 1986, 59).
Diese Grundsätze hat das Landgericht beachtet. Wie sich der Entscheidung entnehmen lässt, hat es bei der Ausübung des tatrichterlichen Ermessens die vom Kläger geschilderten unfallbedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen zugrunde gelegt. Hierzu gehören ein Polytrauma mit:
– Schädelhirntrauma I°
– Komplexe Mittelgesichtsfraktur vom Typ LeFort II
– Distale Radiusfraktur rechts
– Schnittverletzung Oberlid rechts, Mundwinkel rechts / Unterlippe rechts, Kinn rechts
– Thorax-, Abdomen-, Becken-, Oberschenkelprellung
Es erfolgte eine operative Versorgung der Radiusfraktur nach DCO mit temporärer Fixierung sowie am 14.04.2014 eine Plattenosteosynthese. Die weiteren Verletzungen wurden konservativ u.a. mit Physiotherapie behandelt. Der Kläger befand sich nach den von den Beklagten nicht bestrittenen Angaben vom 06. bis 09.04.2014 im Koma. Der stationäre Aufenthalt endete am 17.04.2014; Arbeitsunfähigkeit bestand bis zum 23.06.2014. Es besteht eine geringgradige Einschränkung der Beweglichkeit der rechten Hand ohne weitere Behandlungsbedürftigkeit; das Osteosynthesematerial wird voraussichtlich noch entfernt werden müssen.
Diese Verletzungen und Folgen hat das Landgericht in vollem Umfang in die Entscheidung einfließen lassen. Einer weitergehenden Auseinandersetzung mit einzelnen Befunden und deren Einfluss auf die Höhe eines Schmerzensgeldes bedarf es nicht. Die daneben zu berücksichtigende Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes fällt hier nicht ins Gewicht. Es handelt sich um einen Verkehrsunfall, dem kein besonderer Unrechtsgehalt zugrunde liegt.
Nicht zutreffend ist der Hinweis des Landgerichts, das Mitverschulden sei bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht zu berücksichtigen. Wie sich auch nach dem im Urteil dargestellten Quellenverweis ergibt, ist das Mitverschulden ein wichtiger Bewertungsfaktor. Dieser ist allerdings – wie oben bereits ausgeführt – allein nicht als Quote in Abzug zu bringen, sondern in die Gesamtbewertung einfließen zu lassen. Mithin ist bei der Gesamtbetrachtung eine Mithaftung des Klägers von 20 % zu berücksichtigen.
Aus diesen schmerzensgeldrelevanten Aspekten hat das Landgericht zutreffend ein Schmerzensgeld von 10.000 € für angemessen erachtet. Diese Einschätzung teilt der Senat und sie findet in der Rechtsprechung ihre Rechtfertigung. Die vom Kläger zitierten Entscheidungen weisen überwiegend ein wesentlich umfassenderes und mit Dauerschäden verbundenes Verletzungsbild auf. Vergleichbar, wenn auch mit über den im vorliegenden Fall bestehenden Dauerschäden hinausgehenden Folgen sind das Urteil vom 17.03.2005, OLG Köln, 7 U 126/04; das Urteil vom 25.01.1993, OLG Koblenz, 12 U 15/92. Auch der Kläger sieht die Entscheidung des OLG Köln als vergleichbar an, berücksichtigt allerdings nicht sein Mitverschulden. Ferner können exemplarisch herangezogen werden das Urteil vom 12.07.2013, OLG Hamm, 9 U 17/13; Urteil vom 26.07.1995, LG Heidelberg – 8 O 23/94; Urteil vom 12.01.1993, OLG Bamberg, 5 U 86/92. Danach sind in vergleichbaren Fällen Schmerzensgeldbeträge um 10.000 € zugesprochen worden. Vor diesem Hintergrund besteht hier kein Anlass, von der Bewertung des Landgerichts im Ergebnis abzuweichen.