Zum Beginn der Verjährung bei einem ärztlichen Behandlungsfehler
Das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg hat sich unter anderem mit der Frage befasst, wann ein Patient Kenntnis von einem ärztlichen Behandlungsfehler erlangt hat, denn davon hing in dem konkret entschiedenen Fall der Beginn der Verjährung der Ansprüche des Patienten ab (OLG Brandenburg, Urt. v. 08.10.2020 – 12 U 97/20). Die Kenntnis des Patienten von Komplikationen bei einer Operation steht nach Überzeugung des Gerichts nicht der Kenntnis von einem ärztlichen Behandlungsfehler gleich. In den Entscheidungsgründen heißt es dazu:
„Die Ansprüche der Klägerin sind nicht verjährt. Die Berufung der Beklagten ist mithin unbegründet. Die kenntnisunabhängige Verjährung gemäß § 199 Abs. 2 BGB ist noch nicht eingetreten; die bei Gesundheitsschäden zu berücksichtige Verjährungsfrist von 30 Jahren ist noch nicht abgelaufen.
Auch die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren, § 195 BGB, die gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, ist rechtzeitig durch den beim Landgericht Neuruppin am 01.10.2014 eingegangenen, alsbaldig den Beklagten übermittelten Prozesskostenhilfeantrag gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1, 14 BGB gehemmt worden. Denn die Klägerin hatte frühestens im Jahr 2011 – mit Abschluss der Behandlung vom 27.12.2010 bis 06.01.2011, wobei die Beklagten selbst vorgerichtlich im Schriftsatz vom 09.09.2014 jeglichen Zusammenhang mit der Operation im Jahr 2002 in Abrede gestellt hatten – Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis von einem Behandlungsfehler der Beklagten. Eine frühere, allein in Betracht kommende Unkenntnis ist ihr nicht im Sinne einer groben Fahrlässigkeit vorwerfbar.
Für die Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen reicht es nicht aus, dass dem Patienten (oder seinem Wissensvertreter) der negative Ausgang einer ärztlichen Behandlung und die medizinische Ursache dafür bekannt sind. Er muss vielmehr auch Kenntnis von einem ärztlichen Behandlungsfehler haben. Dazu muss er nicht nur die wesentlichen Umstände des Behandlungsverlaufs kennen, sondern auch Kenntnis von solchen Tatsachen erlangen, aus denen sich für ihn als medizinischen Laien ergibt, dass der behandelnde Arzt von dem üblichen ärztlichen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht getroffen hat, die nach dem ärztlichen Standard zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen erforderlich waren (BGH, Urteil vom 29. November 1994 – VI ZR 189/93 -, Rn. 17, juris).
Dass die Klägerin eine solche Kenntnis hatte, ergibt sich nicht bereits aus den aufgetretenen Komplikationen im Jahr 2002. So ist der Klägerin zwar jedenfalls im Aufklärungsgespräch vom 13.06.2002, anders als in der vorangegangenen Aufklärung vor der Erstoperation, unter anderem eröffnet worden, dass es extrem selten zu einer Hirnhautverletzung mit Hirnwasserabfluss und Zellgewebeverlust oder zu einer Hirnhautentzündung kommen könne, die eine baldige Nachoperation notwendig werden lasse. Zugleich ist in diesem Aufklärungsgespräch von einem Hirnwasserabfluss die Rede. Daraus folgt jedoch lediglich, dass es bei der Operation zu einer Komplikation gekommen war. Dass diese Komplikation auf einem Behandlungsfehler beruhte, lag für die Klägerin nicht auf der Hand. So steht zwar der vom Gesetz geforderten positiven Kenntnis gleich, wenn der Geschädigte es versäumt, eine gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit wahrzunehmen. Den Geschädigten trifft im Allgemeinen aber keine Informationspflicht. Von einem Patienten kann daher grundsätzlich nicht erwartet werden, dass er Krankenhausunterlagen auf ärztliche Behandlungsfehler hin überprüft. Ebenso wenig ist er verpflichtet, einen Rechtsanwalt zur weiteren Aufklärung einzuschalten (BGH, a.a.O., Rn. 18; Urteil vom 26.05.2020, – VI ZR 186/17, Rn. 21f, juris). Auch aus dem Entlassungsbericht lässt sich ein entsprechender Behandlungsfehler nicht ableiten. Es kann daher dahinstehen, ob und in welcher Form die Klägerin Kenntnis von dem Arztbrief vom 21.06.2002 an ihre behandelnde HNO-Fachärztin hatte. Dafür, dass sich die Klägerin ein etwaiges Wissen der Fachärztin gemäß § 166 BGB zurechnen lassen müsste, fehlt jegliche rechtliche Grundlage. Denn die behandelnde Fachärztin ist nicht Wissensvertreterin der Klägerin (vgl. dazu BGH, Urteil vom 26.05.2020, a.a.O., Rn. 25, 29).
Auch der weitere Verlauf bis einschließlich des Jahres 2010 war nicht geeignet, dass sich der Klägerin ein Behandlungsfehler in irgendeiner Form aufdrängen musste. So schildert sie zwar weiterhin Kopfschmerzen und einen Ausfluss aus der Nase bei Belastung. Diesen Zustand empfand die Klägerin offensichtlich jedoch nicht als so maßgebend, dass sie sich sofort in ärztliche Behandlung begeben musste. So ergibt sich aus den vorgelegten Arztunterlagen kein ständiger Arztbesuch bei der HNO-Ärztin. Damit korrespondiert die Einlassung der Klägerin, man gehe ja nicht bei Kopfschmerzen oder Nasenausfluss sofort zum Arzt. Eine maßgebende Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist erst ab dem Jahr 2010 dokumentiert. Bei der Gesamtbeurteilung ist auch die gutachterliche Bewertung des Professor Dr. K… in seinem Gutachten vom 11.12.2016 zu berücksichtigen. Danach sei ein Behandlungsfehler der Beklagten nicht festzustellen. Erst nach eingehender Betrachtung des Bildmaterials durch einen Neurologen wurde der Behandlungsfehler offenbar. Wenn jedoch bereits im Rahmen einer sachverständigen Bewertung ein Behandlungsfehler nicht ersichtlich wird, kann der Klägerin als medizinischem Laien kein Vorwurf dahin gemacht werden, dass sie die Ansprüche nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt verfolgt hat.“