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Zu § 1365 BGB (Verfügung über Vermögen im Ganzen)

Zu § 1365 BGB (Verfügung über Vermögen im Ganzen)
Aktuelles
20.01.2023

Zu § 1365 BGB (Verfügung über Vermögen im Ganzen)

Das Oberlandesgericht (OLG) München hat zu § 1365 BGB entschieden (OLG München, Beschl. v. 15.09.2022 – 34 Wx 114/22). In den Entscheidungsgründen heißt es:

„aa) Nach allgemeiner Ansicht ist § 1365 BGB auf der Basis der sogenannten Einzeltheorie zu interpretieren. Danach ist die Handlungsfreiheit eines Ehegatten durch die Zustimmungsbedürftigkeit nicht nur eingeschränkt, wenn sich das Geschäft nach den vertraglichen Erklärungen explizit auf sein ganzes Vermögen bezieht, sondern auch dann, wenn er über einzelne ihm gehörende Gegenstände verfügt, die jedoch wirtschaftlich im Wesentlichen oder nahezu sein gesamtes Vermögen ausmachen. Jedenfalls bei größeren Vermögen wie hier ist die Grenze bei 90% zu ziehen (BGH FGPrax 2013, 142/143; OLG Saarbrücken NJW-RR2019, 772/774; OLG Frankfurt a.M. NJOZ 2018, 90/91; OLG Celle FamRZ 2010, 562/563; OLG Jena FamRZ 2010, 1733/1734; OLG München FamRZ 2005, 272; OLG Köln NJW-RR 2005, 4/5; Grüneberg/Siede BGB 81. Aufl. § 1365 Rn. 6; MüKoBGB/Koch 9. Aufl. § 1365 Rn. 31). Mehrere Rechtsgeschäfte, die in ihrer Gesamtheit den Tatbestand des Gesamtvermögensgeschäfts erfüllen, je für sich betrachtet jedoch unbedenklich sind, bleiben zustimmungsfrei auch dann, wenn sie in einem nahen zeitlichen Zusammenhang stehen. Alle Geschäfte sind dagegen gebunden, wenn sie nicht nur in zeitlichem, sondern zugleich auch in sachlichem Zusammenhang stehen und wirtschaftlich einen einheitlichen Lebensvorgang bilden (OLG Brandenburg FamRZ 1996, 1015; MüKoBGB/Koch § 1365 Rn. 33).

  1. bb) Ob nach dieser Maßgabe hier objektiv ein zustimmungspflichtiges Geschäft vorlag, kann allerdings offenbleiben, da es jedenfalls am subjektiven Tatbestand fehlt.

Denn zur Anwendung des § 1365 BGB ist weiter erforderlich, dass der Erwerber positiv weiß, dass es sich bei dem Geschäftsobjekt um das gesamte Vermögen seines Gegenübers handelt, oder dass er zumindest die Umstände kennt, aus denen sich dies ergibt (BGH FGPrax 2013, 142/143; OLG Saarbrücken NJW-RR 2019, 772/774; OLG Frankfurt a.M. NJOZ 2018, 90/91; Senat vom 10.9.2009, 34 Wx 59/09 = NJW-RR 2010, 523/524; OLG Jena FamRZ 2010, 1733/1734; OLG Koblenz FamRZ 2008, 1078/1079; OLG Köln NJW-RR 2005, 104/105;BayObLG Rpfleger 2000, 265; MüKoBGB/Koch § 1365 Rn. 35; Grüneberg/Siede § 1365 Rn. 8). Insoweit kommt es auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Verpflichtungsgeschäfts an (BGHZ 106, 253/257; OLG Frankfurt a.M. NJOZ 2018, 90; OLG Jena FamRZ 2010, 1733/1734; BayObLG Rpfleger 2000, 265; Grüneberg/Siede § 1365 Rn. 10; MüKoBGB/Koch § 1365 Rn. 38). Bei engen Verwandten liegt, sofern sie in Kontakt miteinander stehen, eine entsprechende Kenntnis nahe (BGH FGPrax 2013, 142/143; OLG Saarbrücken NJW-RR 2019, 772/774; a.A. MüKoBGB/Koch § 1365 Rn. 75).

Demnach mag die Tatsache, dass es sich vorliegend beim Erwerber der Z. A-Str. GbR um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts handelt, die mit S. Z., P. Z. und O. Z. aus zwei Kindern und einem Enkel der Beteiligten zu 1 besteht, einen konkreten Anhaltspunkt für eine Kenntnis von den Vermögensverhältnissen der Veräußerin liefern, zumal die beiden Kinder der Beteiligten zu 1 auch die Gesellschafter der Z. B-Str. GbR sind, die von dieser das Grundstück B-Str. 11 erworben hatte, und sie laut dem unbestrittenen Vorbringen des Beteiligten zu 3 in die Besprechungen mit dem Steuerberater über die Vermögenslage eingebunden waren und die Beteiligte zu 1 aufgrund ihres Alters erheblich unterstützten.

Indes reicht für die Erfüllung des subjektiven Tatbestands des § 1365 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht aus, dass jedenfalls S. Z. und P. Z. wussten, dass die Beteiligte zu 1 außer den drei Immobilien kein wesentliches Vermögen besaß. Die Kenntnis der das Vorliegen eines Gesamtvermögensgeschäfts im Sinne dieser Vorschrift begründenden Umstände setzt darüber hinaus voraus, dass auch eine entsprechende Vorstellung von den tatsächlichen Wertverhältnissen bestand (vgl. OLG Saarbrücken NJW-RR 2019, 772/775). Ansonsten käme es in den einschlägigen Konstellationen letztlich doch nur auf die gegebenenfalls sogar erst nachträglich ermittelte objektive Situation an, während das einschränkende subjektive Kriterium der Kenntnis faktisch leerliefe. Auch im Hinblick auf eine solche Kenntnis bedarf es allerdings konkreter Anhaltspunkte, bloße Vermutungen und Unterstellungen genügen nicht (BGH FGPrax 2013, 142/143; Senat vom 10.9.2009, 34 Wx 59/09 = NJW-RR 2010, 523/524; BayObLG Rpfleger 2000, 265; MüKoBGB/Koch § 1365 Rn. 75). Vorliegend existieren jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass insbesondere S. Z. und P. Z. zum maßgeblichen Zeitpunkt, dem 8.10.2020, über die hiernach erforderliche Vorstellung verfügten. Bis dahin lag nur Folgendes vor: Die vom Beteiligten zu 3 selbst mitunterzeichnete Vermögensauskunft vom 24.6.2019, die einen Immobiliengesamtvermögensstand von 16.480.000 € auswies, wovon 4.120.000 € auf das nunmehr verbleibende Grundstück C-Str. 10 entfielen; weiter das Gutachten vom 4.5.2020, das das Grundstück B-Str. 11 mit 6.048.000 € bewertete; schließlich eine Berechnung der Werte der Grundstücke A-Str. 10 und B-Str. 11 zum Zwecke der Ermittlung der Schenkungssteuer vom 21.7.2020, die zu Beträgen von 6.990.447 € bzw. 6.547.200 € gelangt. Alles andere ist spekulativ und liefert keine konkreten Anhaltspunkte für einen abweichenden Wissensstand zur fraglichen Zeit. Der Notar schließlich setzte bei der Beurkundung am 8.10.2020 für die Immobilie A-Str. 10 einen Wert von 6.666.666 € an. Die Berechnungen durch den Beteiligten zu 3 hingegen liegen erst nach diesem Zeitpunkt und können somit von vornherein nicht herangezogen werden, um eine Kenntnis der S. Z. und des P. Z. zu begründen, die den subjektiven Tatbestand des § 1365 Abs. 1 Satz 1 BGB erfüllen würde. Ob diese Berechnungen inhaltlich zutreffend sind, braucht deshalb hier nicht entschieden zu werden. Legt man demgemäß die bis zum Beurkundungszeitpunkt bekannten Werte zugrunde, so ist selbst bei Annahme eines einheitlichen Lebensvorgangs im Hinblick auf die Übergabe der Grundstücke A-Str. 10 und B-Str. 11 die Wertgrenze von 90% keinesfalls erreicht.“

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Pia Roggendorff-Jentsch
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Erbrecht

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