Wie weit reicht die Haftung des Halters eines Kraftfahrzeugs nach § 7 Abs. 1 StVG bei einem Fahrzeugbrand?
Zu der aufgeworfenen Frage hat der Bundesgerichtshof (BGH) im Dezember 2023 entschieden (BGH, Urt. v. 12.12.2023 – VI ZR 76/23).
In den Entscheidungsgründen heißt es:
„Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass das Parken eines Fahrzeugs an einer Straße zum Betrieb des Fahrzeugs gehört. Der Betrieb eines Fahrzeugs dauert fort, solange der Fahrer das Fahrzeug im Verkehr belässt und die dadurch geschaffene Gefahrenlage fortbesteht (Senatsurteil vom 7. Februar 2023 – VI ZR 87/22, NJW 2023, 2109 Rn. 9 mwN). Die Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle allein rechtfertigt aber noch nicht die Annahme, ein Schaden sei bei dem Betrieb dieses Fahrzeugs entstanden. Erforderlich ist vielmehr, dass die Fahrweise oder der Betrieb dieses Fahrzeugs zu dem Entstehen des Schadens beigetragen hat (vgl. Senatsurteil vom 26. April 2005 – VI ZR 168/04, NJW 2005, 2081, juris Rn. 10 mwN).
(…) Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der Brand vom Renault auf das Fahrzeug des Klägers übergriff, weil brennendes Benzin aus dem parkenden Renault auslief, aufgrund des Gefälles der Straße zu dem vor ihm parkenden Fahrzeug des Klägers floss und dieses entzündete. Damit steht aber nur fest, dass wegen der räumlichen Nähe der beiden parkenden Fahrzeuge zueinander der Brand vom Renault auf das Fahrzeug des Klägers übergreifen konnte. Die Ursache des Brandes des Renault selbst, wegen der es zum Austritt von brennendem Benzin kommen konnte, hat das Berufungsgericht nicht identifiziert. Vielmehr hat es diese unter Berücksichtigung der von der Staatsanwaltschaft und vom Landgericht eingeholten Sachverständigengutachten als ungeklärt angesehen. Damit hat das Berufungsgericht aber gerade keine Feststellungen getroffen, aus denen sich ergibt, dass der Brand auf einen Betriebsvorgang des Renault zurückzuführen wäre (vgl. zu diesem Erfordernis im Fall eines Brandes Senatsurteil vom 27. November 2007 – VI ZR 210/06, NJW-RR 2008, 764 Rn. 12). Soweit das Berufungsgericht dennoch angenommen hat, es stehe fest, dass jedenfalls ein naher örtlicher und zeitlicher Zusammenhang mit dem Betriebsvorgang des Renault zum Schaden am Fahrzeug des Klägers geführt habe, liegen dieser rechtlichen Bewertung keine Feststellungen zugrunde, die diese Annahme tragen. Die Revisionserwiderung zeigt insofern auch keinen übergangenen Vortrag des Klägers auf.
(…) Für eine Haftung der Beklagten nach § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG hat das Berufungsgericht letztlich ausreichen lassen, dass es die Brandursache des Renault als ungeklärt und eine vorsätzliche Brandstiftung als nicht nachgewiesen angesehen hat sowie brennendes Benzin vom parkenden Renault zum parkenden Fahrzeug des Klägers fließen und dieses in Brand setzen konnte. Damit hat das Berufungsgericht nicht nur – wie bereits ausgeführt – die haftungsbegründenden Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG, sondern auch die Beweislast des Klägers für diese rechtsfehlerhaft verkannt, wie die Revision zu Recht rügt.
(…) Im Rahmen des § 7 Abs. 1 StVG – wie auch sonst bei einem haftungsbegründenden Geschehen – trägt der Anspruchssteller grundsätzlich die Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatbestandsvoraussetzungen (vgl. Senatsurteile vom 1. Oktober 2019 – VI ZR 164/18, NJW 2020, 1072 Rn. 7; vom 4. Mai 1976 – VI ZR 193/74, MDR 1977, 43, juris Rn. 12; vom 21. November 1967 – VI ZR 108/66, VersR 1968, 176, juris Rn. 9). Insoweit gilt das strenge Beweismaß des § 286 Abs. 1 ZPO, das die volle Überzeugung des Tatgerichts erfordert (Senatsurteil vom 1. Oktober 2019 – VI ZR 164/18, NJW 2020, 1072 Rn. 7). Selbst nach dem strengen Maßstab des § 286 ZPO bedarf es aber keines naturwissenschaftlichen Kausalitätsnachweises und auch keiner an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der verbleibenden Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. Senatsurteil vom 1. Oktober 2019 – VI ZR 164/18, NJW 2020, 1072 Rn. 8 mwN).
Diese Grundsätze gelten – entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung – auch dann, wenn die konkreten Umstände der Schadensverursachung wie im Streitfall schwer zu beweisen sind. Wenn der Partei der unmittelbare Beweis einer Tatsache, die ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal als vorhanden ergibt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 17. Februar 1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 260, juris Rn. 230), nicht gelingt, kann sich das Gericht eine entsprechende Überzeugung auch aufgrund von Indizien bilden. Das Gericht darf sich allerdings nur auf solche Indizien stützen, die unstreitig oder bewiesen, also sicher festgestellt sind (Nober in Anders/Gehle, ZPO, 82. Aufl. § 286 Rn. 28). Ein Indizienbeweis ist überzeugungskräftig, wenn andere Schlüsse aus den Indiztatsachen ernstlich nicht in Betracht kommen (vgl. Senatsurteile vom 5. Dezember 2023 – VI ZR 108/21, juris Rn. 18; vom 27. April 2021 – VI ZR 84/19, BGHZ 229, 331 Rn. 28; Senatsbeschluss vom 22. März 2016 – VI ZR 163/14, juris Rn. 15).
(…) Soweit das Berufungsgericht angenommen hat, der Nachweis einer Brandstiftung habe nicht geführt werden können, kann dies nur so verstanden werden, dass das Berufungsgericht der Meinung war, die Beklagte müsse beweisen, dass der Brand auf einer Brandstiftung beruht (so wohl auch OLG Celle, NJW-RR 2021, 1328 Rn. 7 ff.). Nach den dargestellten Grundsätzen hat allerdings nicht die Beklagte zu beweisen, dass der Brand auf einer anderen Ursache als dem Betrieb des Fahrzeugs beruht, sondern der Kläger hat als Anspruchssteller zu beweisen, dass der Brand bei dem Betrieb des Renault entstanden ist, also auf einen Betriebsvorgang oder eine Betriebseinrichtung des Renault zurückzuführen ist (vgl. zu vergleichbaren Sachverhalten auch OLG Bremen, VersR 2023, 1430 f., juris Rn. 18, 21; OLG Saarbrücken, NJW-RR 2013, 805, juris Rn. 28; OLG Köln, BeckRS 2018, 26068 Rn. 1). Zwar kann der Umstand, dass eine Brandstiftung als Brandursache nicht in Betracht kommt, als Indiz dafür dienen, dass der Brand auf den Betrieb des Fahrzeugs zurückzuführen ist. Auch für Indiztatsachen trägt nach den angeführten Grundsätzen allerdings der Kläger als Anspruchssteller – und nicht die Beklagte – die Beweislast. Dass das Berufungsgericht es als nicht erwiesen angesehen hat, dass der Brand am Renault auf Brandstiftung beruht, beinhaltet im Übrigen nicht zugleich die Feststellung, dass eine Brandstiftung als Brandursache nicht in Betracht kommt.
(…) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung stellt sich das Urteil des Berufungsgerichts auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Revisionserwiderung macht ohne Erfolg geltend, es greife ein Anscheinsbeweis dafür ein, dass eine Betriebseinrichtung des Renault den Brand ausgelöst habe. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen kann ein solcher Anscheinsbeweis nicht bejaht werden.
(…) Die Frage, ob ein Anscheinsbeweis eingreift, unterliegt der Prüfung durch das Revisionsgericht (Senatsurteil vom 1. August 2023 – VI ZR 82/22, NJW 2023, 3159 Rn. 26 mwN). Nach ständiger Rechtsprechung greift der Beweis des ersten Anscheins bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist, was grundsätzlich auch bei der Feststellung von Brandursachen in Betracht kommen kann (Senatsurteile vom 1. Oktober 2013 – VI ZR 409/12, NJW-RR 2014, 270 Rn. 14; vom 19. Januar 2010 – VI ZR 33/09, NJW 2010, 1072 Rn. 8; jeweils mwN). Dabei bedeutet Typizität nicht, dass die Ursächlichkeit einer Tatsache für den Erfolg bei allen Sachverhalten der Fallgruppe immer vorhanden sein muss; sie muss aber so häufig gegeben sein, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist (Senatsurteil vom 1. Oktober 2013 – VI ZR 409/12, NJW-RR 2014, 270 Rn. 14; BGH, Urteil vom 7. Februar 2013 – III ZR 200/11, NJW 2013, 1092 Rn. 26; jeweils mwN). Der Anscheinsbeweis ist entkräftet, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ergibt (BGH, Urteil vom 7. Februar 2013 – III ZR 200/11, NJW 2013, 1092 Rn. 28 mwN).
(…) Im Streitfall hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der am Fahrbahnrand in der Stadt E. abgestellte Renault nachts in Brand geriet. Dass eine Brandstiftung ausgeschlossen wäre, ist den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht zu entnehmen. Das Berufungsgericht hat lediglich den Nachweis einer Brandstiftung als nicht erbracht angesehen. Auf dieser Grundlage kommt nach der allgemeinen Lebenserfahrung als typische Brandursache nicht nur ein technischer Defekt am parkenden Fahrzeug in Betracht; es bleibt vielmehr die Möglichkeit einer Brandstiftung, die das Berufungsgericht nicht ausgeschlossen hat. Die Feststellungen des Berufungsgerichts rechtfertigen die Anwendung eines Anscheinsbeweises, dass eine Betriebseinrichtung des Renault den Brand ausgelöst habe, daher nicht.“