Wann geht die arbeitgeberseitige Kündigung eines Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer zu?
Zu dieser für die Rechtspraxis bedeutsamen Frage hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Leitsatz wie folgt entschieden (BAG, Urt. v. 20.06.2024 – 2 AZR 213/23):
„Es besteht ein Beweis des ersten Anscheins, dass Bedienstete der Deutschen Post AG Briefe zu den postüblichen Zeiten zustellen.“
In den Entscheidungsgründen heißt es:
„Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 22. August 2019 – 2 AZR 111/19 – Rn. 12 mwN) und des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH 6. Oktober 2022 – VII ZR 895/21 – Rn. 16 mwN, BGHZ 234, 316) geht eine verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den ´gewöhnlichen Verhältnissen´ und den ´Gepflogenheiten des Verkehrs´ zu beurteilen. So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist vielmehr eine generalisierende Betrachtung geboten. Wenn für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist es unerheblich, ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert war. Ihn trifft die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Unterlässt er dies, wird der Zugang durch solche – allein in seiner Person liegenden – Gründe nicht ausgeschlossen.
(…) Bundesarbeitsgericht und Bundesgerichtshof haben bislang die Annahme einer Verkehrsanschauung, wonach bei Hausbriefkästen im Allgemeinen mit einer Leerung unmittelbar nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten zu rechnen sei, die allerdings stark variieren können, nicht beanstandet (vgl. BAG 22. März 2012 – 2 AZR 224/11 – Rn. 21, 35; BGH 21. Januar 2004 – XII ZR 214/00 – zu II 3 der Gründe). Die örtlichen Zeiten der Postzustellung stellen nicht unbeachtliche individuelle Verhältnisse des Empfängers dar. Zu diesen könnte zB eine Vereinbarung mit dem Postboten über persönliche Zustellzeiten zählen (vgl. BGH 21. Januar 2004 – XII ZR 214/00 – aaO), konkrete eigene Leerungsgewohnheiten oder auch die krankheits- oder urlaubsbedingte Abwesenheit (vgl. BAG 25. April 2018 – 2 AZR 493/17 – Rn. 15, BAGE 162, 317). Die allgemeinen örtlichen Postzustellungszeiten gehören dagegen nicht zu den individuellen Verhältnissen, sondern sind vielmehr dazu geeignet, die Verkehrsauffassung über die übliche Leerung des Hausbriefkastens zu beeinflussen. Der Senat hat bereits in der Entscheidung vom 22. März 2012 (- 2 AZR 224/11 – Rn. 21) auf die (örtlich) stark variierenden Postzustellungszeiten, die für die Bestimmung der Verkehrsanschauung herangezogen werden können, hingewiesen. Das Berufungsgericht ist inzident vom Bestehen einer solchen Verkehrsanschauung ausgegangen.
(…) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, es bestehe ein Beweis des ersten Anscheins, dass das Kündigungsschreiben am Zustelltag zu den üblichen Postzustellzeiten in den Hausbriefkasten der Klägerin gelegt wurde.“
Ergänzende Hinweise:
In dem konkret entschiedenen Fall ging es um ein Einwurf-Einschreiben. Für das BAG ist mit Blick auf den erforderlichen Zugang der Tag entscheidend, an dem dieses Schreiben dem Empfänger (nachweislich) zugestellt wurde.