Variable Vergütungsbestandteile sind beim Urlaubsentgelt zu beachten!
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass variable Vergütungsbestandteile („Provisionen“) bei der Berechnung des Urlaubsentgelts zu berücksichtigen sind (§§ 1, 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG), BAG Urt. v. 27.07.2021 – 9 AZR 376/20 m. Anm. Frank in DB 2022, 400.
In den Entscheidungsgründen heißt es:
„b) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts ist bei der Bemessung des Urlaubsentgelts – unabhängig davon, ob der Kläger gesetzlichen Mindesturlaub oder vertraglichen Mehrurlaub in Anspruch genommen hat – der variable erfolgsabhängige Gehaltsbestandteil nach §§ 1, 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG als Teil seines gewöhnlichen Arbeitsentgelts, zu berücksichtigen. Eine Nichtberücksichtigung verstieße gegen § 1 BUrlG.
- aa) Das Bundesurlaubsgesetz begründet mit § 1 BUrlG nicht nur einen Freistellungsanspruch, sondern auch einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Bezahlung. Die mit der Freistellung verknüpfte Verpflichtung zur Zahlung von Urlaubsvergütung ist integraler Bestandteil des Anspruchs auf bezahlten Urlaub (BAG 16. Februar 2021 – 9 AS 1/21 – Rn. 13; 20. August 2019 – 9 AZR 468/18 – Rn. 11). § 1 BUrlG erhält für die Dauer des gesetzlichen Mindesturlaubs den Anspruch auf Vergütung der infolge des Urlaubs ausfallenden Arbeitszeit aufrecht, sog. Zeitfaktor (st. Rspr. vgl. BAG 20. November 2018 – 9 AZR 349/18 – Rn. 31; 20. September 2016 – 9 AZR 429/15 – Rn. 23). Wie die infolge Urlaubs ausfallende Arbeitszeit zu vergüten ist (sog. Geldfaktor), bestimmt sich nach dem in § 11 Abs. 1 BUrlG geregelten Referenzprinzip. Der Geldfaktor, dh. die Höhe der Vergütung, die je Zeiteinheit zu zahlen ist, bemisst sich gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, den der Arbeitnehmer in den letzten 13 Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat, mit Ausnahme des zusätzlich für Überstunden gezahlten Arbeitsverdiensts, sofern nicht eine andere Berechnung aufgrund gesetzlicher Bestimmungen sowie nach § 13 BUrlG zulässiger kollektivrechtlicher oder vertraglicher Vereinbarungen zu erfolgen hat (st. Rspr. BAG 22. Oktober 2019 – 9 AZR 98/19 – Rn. 29; 21. September 2010 – 9 AZR 510/09 – Rn. 16 mwN, BAGE 135, 301).
- bb) § 1 BUrlG entspricht insoweit Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG.
(1) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bedeutet der in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG enthaltene Begriff des „bezahlten“ Jahresurlaubs, dass das Arbeitsentgelt für die Dauer des Jahresurlaubs weiter zu gewähren ist. Der Arbeitnehmer muss für diese Ruhezeit das gewöhnliche Arbeitsentgelt erhalten (EuGH 22. Mai 2014 – C-539/12 – [Lock] Rn. 16; 15. September 2011 – C-155/10 – [Williams ua.] Rn. 19; 16. März 2006 – C-131/04 ua. – [Robinson-Steele ua.] Rn. 50). Die Richtlinie behandelt den Anspruch auf Jahresurlaub und denjenigen auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs. Durch das Erfordernis der Zahlung des Urlaubsentgelts soll der Arbeitnehmer während des Jahresurlaubs in eine Lage versetzt werden, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist (EuGH 13. Dezember 2018 – C-385/17 – [Hein] Rn. 32 ff.; 29. November 2017 – C-214/16 – [King] Rn. 35 mwN; 22. Mai 2014 – C-539/12 – [Lock] Rn. 17 mwN; 16. März 2006 – C-131/04 ua. – [Robinson-Steele ua.] Rn. 58; vgl. hierzu auch BAG 17. Juni 2020 – 10 AZR 210/19 (A) – Rn. 49 ff., BAGE 171, 114; 20. September 2016 – 9 AZR 429/15 – Rn. 19 mwN). Dabei muss jede Unannehmlichkeit, die untrennbar mit der Erfüllung der dem Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben verbunden ist und durch einen in die Berechnung seines Gesamtentgelts eingehenden Geldbetrag abgegolten wird, zwingend Teil des Betrags sein, auf den der Arbeitnehmer während seines Jahresurlaubs Anspruch hat (EuGH 22. Mai 2014 – C-539/12 – [Lock] Rn. 29). Fortzuzahlen sind auch diejenigen Bestandteile des Gesamtentgelts, die an die persönliche und berufliche Stellung des Arbeitnehmers anknüpfen (vgl. EuGH 22. Mai 2014 – C-539/12 – [Lock] Rn. 30; 15. September 2011 – C-155/10 – [Williams ua.] Rn. 27). Maßgeblich ist, ob ein innerer Zusammenhang zwischen dem Entgeltbestandteil und der Erfüllung der arbeitsvertraglichen Aufgaben besteht (EuGH 22. Mai 2014 – C-539/12 – [Lock] Rn. 32).
(2) In richtlinienkonformer Auslegung von § 1 BUrlG sind erfolgsabhängige Vergütungsbestandteile – unabhängig vom vereinbarten Abrechnungsmodus – Teil des gewöhnlichen Arbeitsverdiensts, wenn sie vom Arbeitgeber für bestimmte Zeitabschnitte als Gegenleistung iSv. § 611 Abs. 2 bzw. seit 1. April 2017 § 611a Abs. 2 BGB zu zahlen sind (vgl. BAG 21. September 2010 – 9 AZR 442/09 – Rn. 23), ihre Höhe zumindest auch von der Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung abhängig ist (vgl. ErfK/Gallner 21. Aufl. BUrlG § 11 Rn. 11) und durch die Freistellung des Arbeitnehmers von der Pflicht zur Arbeitsleistung während des Urlaubs beeinflusst werden kann. Unter den genannten Voraussetzungen sind erfolgsabhängige Vergütungsbestandteile unmittelbar mit der Tätigkeit des Arbeitnehmers verbunden.
- cc) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der in den jeweiligen Referenzzeiträumen verdiente variable Gehaltsbestandteil stelle keinen Arbeitsverdienst im Sinne von § 11 Abs. 1 BUrlG dar, weil er unabhängig von seiner regelmäßigen tatsächlichen Anwesenheit am Arbeitsplatz geleistet werde und nicht auf die tägliche, wöchentliche oder monatliche Tätigkeit des Klägers bezogen sei, trifft nicht zu.
(1) Nach den vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen wird mit dem erfolgsabhängigen Gehaltsbestandteil die Gesamtverantwortung des Klägers und seine Gesamtleistung im Abrechnungszeitraum honoriert. Dieser knüpft an seine persönliche und berufliche Stellung an und wird für die Wahrnehmung seiner verantwortlichen Position als Vertriebsbeauftragter gezahlt. Der Grad der Zielerreichung und damit die Höhe seines Arbeitsverdiensts sind von der Qualität seiner Arbeitsleistung abhängig. Ob der Kläger seine Ziele im Abrechnungszeitraum erreicht, hängt davon ab, wie er seinen Kundenkreis betreut, seine Webshops führt, mit den ihm zugeordneten Außendienstmitarbeitern und Drittanbietern konstruktiv zusammenarbeitet und wie engagiert diese wiederum ihre Aufgaben erfüllen. Ließe man den variablen Gehaltsbestandteil bei der Bemessung des Urlaubsentgelts außer Betracht oder berücksichtigte diesen nicht in voller Höhe, würde der Kläger während des Urlaubs nicht in die Lage versetzt, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist.
(2) Die quartals- bzw. halbjahresbezogene Festlegung der Zielvorgaben und Abrechnung des variablen Gehaltsbestandteils lässt – ebenso wie die Bezeichnung der variablen Vergütung im Arbeitsvertrag – keine Rückschlüsse auf die Rechtsnatur der Leistung zu.
dd) Die bisherigen Feststellungen rechtfertigen auch nicht die Annahme der Vorinstanzen, die Berücksichtigung des variablen Gehaltsbestandteils führe zu einer Doppelbelastung der Beklagten. Diese resultiert nicht daraus, dass die Beklagte das Festgehalt und den Abschlag auf den variablen Gehaltsbestandteil auch in den Monaten, in denen der Kläger Urlaub in Anspruch nahm, fortzahlte und bei der späteren Abrechnung des variablen Gehaltsbestandteils die während der Urlaubsabwesenheit des Klägers fakturierten Umsätze in gleicher Weise berücksichtigte wie außerhalb des Urlaubszeitraums. Die von der Beklagten für die streitgegenständlichen Urlaubstage bereits als Urlaubsentgelt geleisteten Zahlungen lässt sich der Kläger anrechnen. Mit der Stufenklage verfolgt er allein das Ziel, weitergehende Urlaubsentgeltansprüche durchzusetzen.
ee) Der Einwand der Beklagten, bei der Festlegung der Zielvorgaben seien Urlaubszeiten bereits berücksichtigt, denn die Ziele seien so festgelegt, dass eine Zielerreichung in Höhe von 100 %, auch bei Inanspruchnahme von Urlaub möglich sei, rechtfertigt es nicht, den individuellen variablen Gehaltsbestandteil außer Betracht zu lassen. Diese von der Beklagten nicht näher erläuterte Berücksichtigung der Urlaubszeiten des Klägers bei der Bemessung der Jahresziele löst die Bemessung des Urlaubsentgelts bei variabler Vergütung unzulässig von der in § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG vorgesehenen Methode, die auf den individuellen durchschnittlichen Arbeitsverdienst abstellt, den der Arbeitnehmer in den letzten 13 Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat.
ff) Der variable Gehaltsbestandteil ist auch bei der Bemessung des Urlaubsentgelts für Tage einzubeziehen, an denen der Kläger seinen vertraglichen Mehrurlaub in Anspruch genommen hat. Die Parteien haben die Berechnung des Urlaubsentgelts nicht abweichend von den gesetzlichen Vorgaben geregelt. § 4 des Arbeitsvertrags bestimmt einen über den gesetzlichen Mindesturlaub (§§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG) hinausgehenden Umfang des Urlaubsanspruchs des Klägers, nicht aber die Modalitäten der Berechnung des Urlaubsentgelts. Es gelten deshalb gleichlaufend mit dem Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub für den vertraglichen Mehrurlaub die gesetzlichen Bestimmungen (vgl. zu den Voraussetzungen eines Gleichlaufs BAG 19. Februar 2019 – 9 AZR 321/16 – Rn. 51 f. mwN; zu tarifvertraglichen Regelungen BAG 29. September 2020 – 9 AZR 364/19 – Rn. 21; 29. September 2020 – 9 AZR 113/19 – Rn. 12).“