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Urlaubsabgeltung bei mehreren unmittelbar aufeinanderfolgenden Beschäftigungsverboten

Urlaubsabgeltung bei mehreren unmittelbar aufeinanderfolgenden Beschäftigungsverboten
Aktuelles
03.12.2024

Urlaubsabgeltung bei mehreren unmittelbar aufeinanderfolgenden Beschäftigungsverboten

Das Bundesarbeitsgericht hatte sich mit der Frage von Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen in Fällen zu befassen, in denen sich mehrere mutterschutzrechtliche Beschäftigungsverbote unmittelbar aneinanderreihen. Es hat entschieden, dass Urlaubsansprüche in diesen Fällen, auch wenn während dieser Zeiten keine Tätigkeiten ausgeübt werden können, entstehen und diese Ansprüche vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen:

BAG, Urteil vom 20.8.2024, Az. 9 AZR 226/23

Auszug aus der Entscheidung:

Leitsatz

§ 24 Satz 2 MuSchG, dem zufolge eine Frau den vor Beginn eines Beschäftigungsverbots nicht (vollständig) erhaltenen Urlaub nach Ende des Beschäftigungsverbots im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr nehmen kann, steht auch einem Verfall solcher Urlaubsansprüche entgegen, die während mehrerer unmittelbar aufeinanderfolgender mutterschutzrechtlicher Beschäftigungsverbote entstanden sind.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Abgeltung von 68 Arbeitstagen Urlaub aus den Jahren 2017 bis 2020.

Mit Wirkung zum 1. Dezember 2017 sprach der Beklagte für die seinerzeit schwangere Klägerin ein Beschäftigungsverbot aus. Der Klägerin standen zu diesem Zeitpunkt aus dem laufenden Kalenderjahr fünf Tage Resturlaub zu. Aufgrund der Mutterschutzfristen und Stillzeiten für ihre im Juli 2018 sowie am 7. September 2019 geborenen Kinder schlossen sich bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nahtlos mehrere Beschäftigungsverbote an.

Mit der dem Beklagten am 26. Juni 2020 zugestellten Klage hat die Klägerin Abgeltung von insgesamt 68 Tagen Urlaub aus den Jahren 2017 bis 2020 (fünf Tage Resturlaub aus dem Jahr 2017, jeweils 28 Tage aus den Jahren 2018 und 2019 und 7 Tage aus dem Jahr 2020) mit 193,04 Euro brutto pro Urlaubstag geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, zusätzlich zu dem Resturlaub aus dem Jahr 2017 seien während der Beschäftigungsverbote Urlaubsansprüche für die Jahre 2018 und 2019 in voller Höhe und für das Jahr 2020 anteilig entstanden und bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. März 2020 nicht erloschen.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, während der Beschäftigungsverbote seien keine Urlaubsansprüche entstanden. Für die Zeiten nahtlos ineinandergreifender Beschäftigungsverbote bestünde keine Arbeitspflicht, die ein Erholungsbedürfnis habe begründen können. Jedenfalls seien etwaige Urlaubsansprüche gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG mit Ablauf des Monats März des jeweiligen Folgejahres erloschen. Dem stehe die Regelung in § 24 Satz 2 MuSchG nicht entgegen. Danach verfalle nur Urlaub nicht, den eine Frau „vor“ Beginn eines Beschäftigungsverbots nicht oder nicht vollständig erhalten habe. Die Vorschrift beziehe sich somit nicht auf Urlaubsansprüche, die – wie im Fall der Klägerin – „während“ eines Beschäftigungsverbots entstanden seien.

Entscheidungsgründe

I. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Forderung der Klägerin auf Abgeltung ihres nicht erfüllten Urlaubs gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG begründet ist.
1. Gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG ist Urlaub abzugelten, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Der Anspruch setzt voraus, dass zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses offene Urlaubsansprüche bestehen, die nicht mehr erfüllt werden können, weil das Arbeitsverhältnis beendet ist (BAG 16. April 2024 – 9 AZR 165/23 – Rn. 9).
2. Zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. März 2020 standen der Klägerin noch 68 Arbeitstage Urlaub aus den Jahren 2017 bis 2020 zu.

a) Zu Beginn des – auf § 4 MuSchG in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (MuSchG aF) beruhenden – Beschäftigungsverbots am 1. Dezember 2017 hatte die Klägerin noch Resturlaub aus dem Jahr 2017 iHv. fünf Arbeitstagen. In den Jahren 2018 und 2019 hat sie jeweils zu Beginn des Jahres einen Urlaubsanspruch im Umfang von 28 Arbeitstagen erworben. Bei Vertragsbeendigung am 31. März 2020 stand ihr gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG ein Teilurlaubsanspruch iHv. sieben Arbeitstagen für das Jahr 2020 zu (28 Arbeitstage/Jahr geteilt durch zwölf Monate multipliziert mit drei Kalendermonaten).

b) Die Urlaubsansprüche sind entstanden, obwohl die Klägerin ihre Tätigkeit als Zahnärztin in der Zeit vom 1. Dezember 2017 bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. März 2020 nicht ausüben konnte. Ihre Ausfallzeiten beruhten auf nahtlos aneinander anschließenden Beschäftigungsverboten. Sie werden nach § 17 Satz 1 MuSchG aF bzw. § 24 Satz 1 MuSchG in der ab dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung (MuSchG) bei der Berechnung des Anspruchs auf bezahlten Erholungsurlaub als Beschäftigungszeiten behandelt. Während § 3 Abs. 1 BUrlG die Zahl der Urlaubstage ausgehend vom Erholungszweck grundsätzlich in Abhängigkeit von der Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht bestimmt, stellt § 17 MuSchG aF bzw. § 24 Satz 1 MuSchG Ausfallzeiten wegen eines Beschäftigungsverbots bei der Urlaubsberechnung Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung gleich (vgl. grundlegend BAG 19. März 2019 – 9 AZR 406/17 – Rn. 22, BAGE 166, 176). Bei unionsrechtskonformem Verständnis erfasst diese Ausnahmeregelung nicht nur den gesetzlichen Mindesturlaub, sondern auch einen diesen übersteigenden Mehrurlaub (vgl. EuGH 18. März 2004 – C-342/01 – [Merino Gómez] Rn. 44).

c) Die Beschäftigungsfiktion erfasst unterschiedslos Ausfallzeiten, die auf generellen oder individuellen Beschäftigungsverboten beruhen (vgl. zu § 17 Satz 2 MuSchG aF BAG 9. August 2016 – 9 AZR 575/15 – Rn. 16, BAGE 156, 65; 15. Dezember 2015 – 9 AZR 52/15 – Rn. 14, BAGE 154, 1). Für § 24 Satz 2 MuSchG folgt dies aus § 2 Abs. 3 Satz 1 MuSchG, der den Begriff des Beschäftigungsverbots iSd. Mutterschutzgesetzes unter Bezugnahme auf die Beschäftigungsverbote nach den §§ 3 bis 6, 10 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Nr. 3 und § 16 MuSchG abschließend („nur“) gesetzlich definiert. Als Beschäftigungszeiten für die Urlaubsberechnung gelten danach Schutzfristen vor und nach der Entbindung (§ 3 MuSchG) sowie Beschäftigungsverbote nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 MuSchG wegen unverantwortbarer Gefährdungen iSv. § 11 MuSchG (unzulässige Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen für schwangere Frauen) sowie nach § 12 MuSchG (unzulässige Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen für stillende Frauen).

3. Die Urlaubsansprüche aus den Jahren 2017 bis 2020, deren Abgeltung die Klägerin begehrt, sind vor dem Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsverhältnis der Parteien endete, nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass § 17 Satz 2 MuSchG aF bzw. § 24 Satz 2 MuSchG einem Erlöschen des Urlaubs entgegenstehen.

a) Nach § 24 Satz 2 MuSchG – bis zum 31. Dezember 2017 nach § 17 Satz 2 MuSchG aF – kann eine Frau Urlaub, den sie vor Beginn eines Beschäftigungsverbots nicht oder nicht vollständig erhalten hat, nach dem Ende des Beschäftigungsverbots im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr beanspruchen. Die Vorschrift regelt eine Ausnahme von dem Grundsatz des § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG, dass der Erholungsurlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss (vgl. ausf. BAG 15. Dezember 2015 – 9 AZR 52/15 – Rn. 21 f., BAGE 154, 1).

b) Die Vorschrift des § 24 Satz 2 MuSchG knüpft ihre Rechtsfolge fortlaufend an das Ende eines jeden einzelnen Beschäftigungsverbots. Folgen mehrere Beschäftigungsverbote nahtlos aufeinander, kann die Arbeitnehmerin ihren – ggf. über mehrere Beschäftigungsverbote angesammelten – Urlaub nicht vor Beginn des letzten Beschäftigungsverbots „erhalten“. Die Arbeitnehmerin kann in diesem Fall den gesamten bis dahin aufgelaufenen Urlaub gemäß § 24 Satz 2 MuSchG nach Ende des letzten Beschäftigungsverbots im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr beanspruchen.

1. Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Abgeltung des nicht erfüllten Urlaubs entsteht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird zu diesem Zeitpunkt fällig. § 7 Abs. 4 BUrlG enthält jedoch keine Bestimmung einer Leistungszeit iSd. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB (BAG 6. August 2013 – 9 AZR 956/11 – Rn. 22; 7. August 2012 – 9 AZR 353/10 – Rn. 45).

2. Die Klägerin kann somit erst ab dem 27. Juni 2020 Prozesszinsen nach § 291 iVm. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB beanspruchen. Ein auf die Abgeltung von Urlaub bezogenes Prozessrechtsverhältnis ist zwischen den Parteien am 26. Juni 2020 begründet worden, als dem Beklagten die Klageschrift vom 18. Juni 2020 zugestellt worden ist. Der Zinsanspruch besteht gemäß § 187 Abs. 1 BGB ab dem Tag nach der Zustellung (BAG 20. August 2019 – 9 AZR 41/19 – Rn. 29, BAGE 167, 319).

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Autor(en)


Markus Golz
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Mail: erfurt@etl-rechtsanwaelte.de


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