Unwirksamkeit einer Kündigung, nach dem Verbrennen von drei Europaletten bei einem Osterfeuer
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hat sich mit der außerordentlichen und fristlosen Kündigung eines Arbeitnehmers befasst (LAG Köln, Urt. v. 06.07.2023 – 6 Sa 94/23). Das Urteil unterstreicht, dass vor dem „erfolgreichen“ Ausspruch einer fristlosen Kündigung hohe Hürden zu überwinden sind.
In den Entscheidungsgründen heißt es:
„(…) Zurecht hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage, die sich gegen die Kündigungserklärung vom 29.03.2022 gerichtet hatte, stattgegeben. Weder liegen Tatsachen vor, die einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellen und damit eine fristlose Kündigung rechtfertigen könnten (a.), noch ist die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung durch Tatsachen sozial gerechtfertigt, die im Verhalten des Klägers liegen (b.).
(…) Tatsachen, die einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellen und damit eine fristlose Kündigung rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Dabei kann offenbleiben, welche Art von Paletten auf Weisung des Klägers in das Auto seiner Ehefrau geladen wurden. Zu Gunsten der Beklagten kann vielmehr unterstellt werden, dass es sich um drei neuwertige Europaletten gehandelt hat und dass das Mitnehmen von (alten) Paletten auch unter der ehemaligen Geschäftsleitung – entgegen der Darstellung des Klägers und des Betriebsrats – nicht üblich war oder ist.
Wie bereits vom Arbeitsgericht zitiert kann das Arbeitsverhältnis nach § 626 Abs. 1 BGB aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände ´an sich´ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar war oder nicht (BAG v. 18.12.2014 – 2 AZR 265/14 -).
(…) Einen im Gewahrsam der Arbeitgeberin stehenden Gegenstand ohne ausdrückliches Einverständnis derselben vom Betriebsgelände schaffen und im Osterfeuer auf dem Sportplatz vernichten zu lassen, stellt eine Verletzung der Interessen der Arbeitgeberin dar, die sich als Pflichtverletzung und daher als ein wichtiger Grund ´an sich´ im Sinne der oben zitierten ständigen Rechtsprechung des 2. Senats des Bundesarbeitsgerichts darstellen kann. Für die Qualifikation eines Pflichtverstoßes als ein wichtiger Grund ´an sich´ ist es noch ohne Belang, welchen Wert die entfernten Sachen haben, ob sie im Eigentum der Arbeitgeberin standen und wie das Geschehen aus strafrechtlichem Blickwinkel zu bewerten ist. Diese Faktoren sind im Rahmen der Interessenabwägung zu würdigen.
Diese Interessenabwägung fällt zu Ungunsten der Beklagten aus. Der hier kündigenden Beklagten war zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung (später hinzutretende Tatsachen mögen bei der Prüfung des Auflösungsantrages geprüft werden) die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – gegebenenfalls nach Ausspruch einer Abmahnung – zumutbar. Sie rechtfertigen folglich nicht die ultima ratio des Arbeitsrechts, also die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Bei der Prüfung, ob der Arbeitgeberin eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse der Arbeitgeberin an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (st. Rspr., bspw. BAG v. 27.09.2012 – 2 AZR 646/11 -). Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob der Arbeitgeberin die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf.
Im Rahmen einer solchen Interessenabwägung war hier zu berücksichtigen, dass der Kläger als Produktionsleiter eine Vorbildfunktion auszuüben hat. Als Vorbild hat man nichts mitzunehmen – auch keine Paletten. Es war weiter zu berücksichtigen, dass im Rahmen des Gesprächs vom 02.02.2022 in Anwesenheit des Klägers deutlich gemacht wurde, dass die für den 18.03.2022 geplante Aktion, im Rahmen derer Plastikboxen und Kisten an die Beschäftigten verschenkt werden sollten, Paletten gerade nicht erwähnt worden sind. Dem gegenüber musste aber auch in die Interessenabwägung einfließen, dass der Kläger seit über zehn Jahren im Betrieb beschäftigt ist. Auch auf ausdrückliche Nachfrage im Verhandlungstermin vor der Berufungskammer hat die Beklagte nichts zu sonstigen Hintergründen der Kündigung geäußert; es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger bisher jahrelang beanstandungslos seine Arbeitsleistung als Produktionsleiter erbracht hat und hier die erste Pflichtverletzung einer solchen Art zu Tage getreten ist. Der Kläger ist Familienvater; er ist verheiratet und er hat drei Kinder. Neuwertige Europaletten haben einen Buchwert – je nach aktuellem Holzpreis – in einer Höhe zwischen 10 EUR und 15 EUR. Insgesamt geht es hier also um einen Schaden von unter 50 EUR. Es geht nicht um die Mitnahme von Produkten der Beklagten, von Geld, von Wertgegenständen oder von werthaltigen Produktionsmitteln; es geht hier um die Mitnahme von Transporthilfsmitteln, die üblicherweise in einem Pfandsystem zirkulieren, bis sie so beschädigt sind, dass sie entsorgt werden müssen. Entgegen der Auffassung der Beklagten war das Verhalten des Klägers alles andere als heimlich: Er hat die Paletten nicht ´in Nacht und Nebel beseitigt´, sondern am helllichten Tag seine Frau mit dem Auto kommen lassen und den Zeugen N angewiesen, ihr zu helfen; dann ist der Zeuge Ad vorbeigekommen und bot seinerseits Unterstützung an; der Zeuge W hat die Szene aus dem Fenster beobachtet ohne nachzufragen, was hier passiert. Der Kläger hat sich mit den Paletten nicht in dem Sinne bereichert, dass er sie mit Gewinnerzielungsabsicht hat weiterverkaufen wollen. Das bedeutet nicht, dass er selbstlos gehandelt hätte; er hat sich mit den Paletten im Sportverein (möglicher- und klassischerweise ´großtuerisch´) als einer der Vereinsunterstützer darstellen können, die wegen ihres Einsatzes und ihrer ´Freigiebigkeit´ geschätzt und geachtet werden.
Insgesamt reduziert sich aber der Sachverhalt auf das Kernphänomen, dass hier eine Arbeitgeberin einen verdienten langjährigen Beschäftigten ohne vorherige Abmahnung fristlos aus dem Arbeitsverhältnis entfernt wissen will, weil er Verpackung bei einem Osterfeuer verbrannt hat.
Der durch diese Pflichtverletzung möglicherweise eingetretene Vertrauensverlust rechtfertigt nicht die für eine fristlose Kündigung notwendige negative Zukunftsprognose, also die Prognose, dass die Wiederherstellung des verletzten Vertrauens als unmöglich erscheint. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil der Arbeitgeberin sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Mittel gegenüber der außerordentlichen Kündigung sind neben der ordentlichen Kündigung auch Abmahnung und Versetzung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung künftiger Störungen – zu erreichen. Einer nach § 314 Abs. 2 BGB für jede fristlose Kündigung vorgeschriebenen Abmahnung bedarf es demnach nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin erkennbar – ausgeschlossen ist.
Daran gemessen ist die hier streitgegenständliche außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig. Der Pflichtverletzung des Klägers – das Wegschaffen dreier neuwertiger Paletten – hätte mit einer Abmahnung erfolgversprechend begegnet werden können. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger sich eine Abmahnung nicht hätte zur Warnung gereichen lassen und dass sie nicht ausgereicht hätte, ihn anzuhalten, künftig das Recht seiner Arbeitgeberin an Sachen ihres Gewahrsams besonders sorgfältig zu achten. Eine Abmahnung war auch nicht im Hinblick auf eine etwaige Schwere des Vorwurfs entbehrlich. Dafür ist der Wert der Paletten zu gering, dafür zeigt sich bei der Tat zu wenig kriminelle Energie, dafür ist die Tatbegehung zu wenig heimlich und dafür ist das Gesamtbild der Tat – Verbrennen von Verpackung beim Osterfeuer – zu banal.
Eine einschlägige Abmahnung liegt nicht vor. Die außerordentliche Kündigung erweist sich daher jedenfalls wegen des Fehlens einer Abmahnung als unverhältnismäßig.
Auch durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung ist das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet worden. Die streitgegenständliche Kündigung ist an den Vorgaben des Kündigungsschutzgesetzes zu messen, da die Voraussetzungen für dessen Anwendbarkeit erfüllt sind. Die Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, weil sie nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG durch Tatsachen bedingt ist, die im Verhalten des Klägers liegen. Auch vor Ausspruch einer ordentlichen Kündigung ist die Verhältnismäßigkeit zu prüfen und damit die Tatsache, ob nicht weniger einschneidende Tatsachen geeignet sind, die durch die Vertragspflichtverletzung eingetretene Störung des Vertrauensverhältnisses zu überwinden. Hier gilt das oben zur fristlosen Kündigung Ausgeführte entsprechend: Vor Ausspruch einer Beendigungserklärung war als milderes Mittel eine Abmahnung auszusprechen.“