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Unwirksame Fortbildungsvereinbarung mit Rückzahlungsklausel

Unwirksame Fortbildungsvereinbarung mit Rückzahlungsklausel
Aktuelles
21.07.2022

Unwirksame Fortbildungsvereinbarung mit Rückzahlungsklausel

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hat zu einer sog. Fortbildungsvereinbarung, kombiniert mit einer Rückzahlungsklausel entschieden (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 03.05.2022 – 5 Sa 210/21).

In den Entscheidungsgründen heißt es:

„Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.

Unangemessen ist jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses des Arbeitnehmers, die nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt ist oder durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen wird. Die Feststellung einer unangemessenen Benachteiligung setzt eine wechselseitige Berücksichtigung und Bewertung rechtlich anzuerkennender Interessen der Vertragspartner voraus. Dabei bedarf es einer umfassenden Würdigung der beiderseitigen Positionen unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Bei der Beurteilung der Unangemessenheit ist ein genereller, typisierender, vom Einzelfall losgelöster Maßstab anzulegen. Abzuwägen sind die Interessen des Verwenders gegenüber den Interessen der typischerweise beteiligten Vertragspartner. Im Rahmen der Inhaltskontrolle sind Art und Gegenstand, Zweck und besondere Eigenart des jeweiligen Geschäfts zu berücksichtigen (BAG, Urteil vom 01. März 2022 – 9 AZR 260/21 – Rn. 20, juris; BAG, Urteil vom 22. Oktober 2020 – 6 AZR 566/18 – Rn. 29, juris = NZA 2021, 273).

Einzelvertragliche Vereinbarungen, nach denen sich ein Arbeitnehmer an den Kosten einer vom Arbeitgeber finanzierten Ausbildung zu beteiligen hat, soweit er vor Ablauf bestimmter Fristen aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, sind grundsätzlich zulässig. Sie benachteiligen den Arbeitnehmer nicht generell unangemessen. Es ist jedoch nicht zulässig, die Rückzahlungspflicht schlechthin an das Ausscheiden aufgrund einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers innerhalb der vereinbarten Bindungsfrist zu knüpfen. Vielmehr muss nach dem Grund des vorzeitigen Ausscheidens differenziert werden. Zahlungsverpflichtungen des Arbeitnehmers, die an eine von diesem ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses anknüpfen, können im Einzelfall gegen Treu und Glauben verstoßen. Da sie geeignet sind, das Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG einzuschränken, muss einerseits die Rückzahlungspflicht einem begründeten und billigenswerten Interesse des Arbeitgebers entsprechen und andererseits den möglichen Nachteilen für den Arbeitnehmer ein angemessener Ausgleich gegenüberstehen. Letzteres ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer mit der Ausbildungsmaßnahme eine angemessene Gegenleistung für die Rückzahlungsverpflichtung erhält. Insgesamt muss die Erstattungspflicht – auch dem Umfang nach – dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben zumutbar sein. Ist dies nicht der Fall, verbleibt es dabei, dass Verluste, die eintreten, weil Investitionen in die Aus- und Weiterbildung des Arbeitnehmers nachträglich wertlos werden, grundsätzlich der Arbeitgeber als Betriebsausgaben zu tragen hat (BAG, Urteil vom 01. März 2022 – 9 AZR 260/21 – Rn. 21, juris; BAG, Urteil vom 11. Dezember 2018 – 9 AZR 383/18 – Rn. 24, juris = NZA 2019, 781).

Eine Rückzahlungsklausel stellt nur dann eine ausgewogene Gesamtregelung dar, wenn es der Arbeitnehmer selbst in der Hand hat, durch eigene Betriebstreue der Rückzahlungsverpflichtung zu entgehen. Verluste aufgrund von Investitionen, die nachträglich wertlos werden, hat grundsätzlich der Arbeitgeber zu tragen. Hätte der Arbeitnehmer die in seine Aus- und Weiterbildung investierten Betriebsausgaben auch dann zu erstatten, wenn die Gründe für die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausschließlich dem Verantwortungs- und Risikobereich des Arbeitgebers zuzurechnen sind, würde er mit den Kosten einer fehlgeschlagenen Investition des Arbeitgebers belastet. Sieht eine Vertragsklausel auch für einen solchen Fall eine Rückzahlungspflicht vor, berücksichtigt sie entgegen § 307 Abs. 1 BGB nicht die wechselseitigen Interessen beider Vertragspartner, sondern nur diejenigen des Arbeitgebers. Dadurch wird der Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt (BAG, Urteil vom 18. März 2014 – 9 AZR 545/12 – Rn. 18, juris = NZA 2014, 957; BAG, Urteil vom 28. Mai 2013 – 3 AZR 103/12 – Rn. 18, juris = ZTR 2013, 576; BAG, Urteil vom 13. Dezember 2011 – 3 AZR 791/09 – Rn. 26, juris = NZA 2012, 738).

Das Interesse des Arbeitgebers, der seinem Arbeitnehmer eine Aus- oder Weiterbildung finanziert, geht typischerweise dahin, die vom Arbeitnehmer erworbene Qualifikation möglichst langfristig für seinen Betrieb nutzen zu können. Dieses grundsätzlich berechtigte Interesse gestattet es dem Arbeitgeber, als Ausgleich für seine finanziellen Aufwendungen von einem sich vorzeitig abkehrenden Arbeitnehmer die Kosten der Ausbildung ganz oder zeitanteilig zurückzuverlangen. Wollte oder konnte der Arbeitgeber die durch die Fortbildung erlangte weitere Qualifikation des Arbeitnehmers nicht nutzen, kann der Bleibedruck, den die Dauer der Rückzahlungsverpflichtung auf den Arbeitnehmer ausübt und durch den er in seiner durch Art. 12 GG geschützten Kündigungsfreiheit betroffen wird, nicht gegen ein Interesse des Arbeitgebers an einer möglichst weitgehenden Nutzung der erworbenen Qualifikation des Arbeitnehmers abgewogen werden (BAG, Urteil vom 18. März 2014 – 9 AZR 545/12 – Rn. 19, juris = NZA 2014, 957). Eine Abwälzung der Fortbildungskosten auf den Arbeitnehmer ist unzulässig, wenn der Arbeitgeber nicht bereit oder nicht in der Lage ist, den Arbeitnehmer seiner neu erworbenen Qualifikation entsprechend zu beschäftigen (vgl. BAG, Urteil vom 18. November 2008 – 3 AZR 192/07 – Rn. 35, juris = NZA 2009, 435).

Nach der Fortbildungsvereinbarung vom 15.03.2017 ist die Beklagte zur Rückzahlung der entstandenen Teilnahmegebühren verpflichtet, wenn sie vor Ablauf der Bindungsfrist aus persönlichen Gründen aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Der Begriff ´persönliche Gründe´ differenziert nicht hinreichend zwischen den möglichen Ursachen einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses und deren Zuordnung zur Sphäre des Arbeitgebers bzw. derjenigen des Arbeitnehmers.

Persönliche Gründe sind solche, die ihren Ursprung in der Person des Arbeitnehmers haben, also von ihm ausgehen. Der Begriff ´Person´ bezeichnet den Menschen als individuelles Wesen (Duden, Bedeutungswörterbuch, 5. Aufl. 2018, Stichwort ´Person´). Persönliche Beweggründe für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses können unterschiedlicher Natur sein. Darunter fallen sowohl von dem Arbeitnehmer zu vertretende als auch von ihm nicht zu vertretende Gründe. Ein nicht zu vertretender Grund liegt beispielsweise vor, wenn es einem Arbeitnehmer unverschuldet dauerhaft nicht mehr möglich ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (BAG, Urteil vom 01. März 2022 – 9 AZR 260/21 – Rn. 23, juris). Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund familiärer Verpflichtungen kann ebenfalls ein persönlicher Grund sein, der von dem Arbeitnehmer nicht zu vertreten ist. Darüber hinaus kann die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ihren Ursprung in der Person des Arbeitnehmers haben, obwohl der Arbeitgeber das Ausscheiden durch eine Maßnahme veranlasst hat, die seinem Verantwortungs- und Risikobereich zuzurechnen ist. In Betracht kommen beispielsweise ein Fehlverhalten anderer Mitarbeiter, aber auch organisatorische Veränderungen, die der geplanten Verwertung der erworbenen Qualifikation entgegenstehen.

Unabhängig von dem abstrakten Prüfungsmaßstab liegt auch im Einzelfall eine unangemessene Benachteiligung vor. Die Beklagte hat ihr Arbeitsverhältnis zwar aus Gründen beendet, die auf ihre Person zurückgehen. Den Anlass hierfür hat jedoch der Kläger gesetzt. Nach dem Ende des Masterstudiums hatte der Kläger, nachdem er zunächst von einem überwiegenden dienstlichen Interesse an der Fortbildung ausgegangen war, keine Verwendung mehr für die erhöhte Qualifikation der Beklagten. Nachdem sich die bisherigen Planungen des Klägers – aus welchen Gründen auch immer – zerschlagen hatten, war sein Interesse an einem zeitnahen Einsatz der Beklagten mit der erworbenen Qualifikation entfallen. Die Rückzahlungsklausel sollte es dem Kläger ermöglichen, die finanzielle Investition in die Beklagte nach Abschluss der Fortbildung zumindest für einen Zeitraum von drei Jahren nutzen zu können. Der Kläger wollte jedoch diese Investition nicht mehr zeitnah nutzen, sondern die Beklagte in der bisherigen Position weiterbeschäftigen. Das Risiko, eine Investition in die Fortbildung später verwerten zu können oder zu wollen, ist von dem Kläger zu tragen, nicht von der Beklagten. Demgegenüber hatte die Beklagte ein schützenswertes Interesse daran, die erworbene höherwertige Qualifikation alsbald praktisch einzusetzen.“

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Dr. Stefan Müller-Thele
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