Sittenwidriges nachvertragliches Wettbewerbsverbot gegenüber einem ehemaligen Geschäftsführer
Das Oberlandegericht (OLG) Köln hatte über die Wirksamkeit eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots gegenüber einem ehemaligen Geschäftsführer zu entscheiden (OLG Köln, Urt. v. 01.06.2023 – 18 U 29/23, NJW-Spezial 2023, 689). In den Entscheidungsgründen heißt es:
„(…) Mit dem Landgericht ist auch davon auszugehen, dass das Wettbewerbsverbot gemäß § 138 BGB i.V.m. Art. 2, 12 GG unwirksam ist.
(…) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterliegen die von einer GmbH mit ihren Geschäftsführern vereinbarten Wettbewerbsklauseln i. S. des § 74 Abs. 1 HGB nicht den für Handlungsgehilfen geltenden Beschränkungen der §§ 74ff. HGB, weil der Geschäftsführer nicht Handlungsgehilfe, sondern Organmitglied ist (BGH, Urteil vom 26.03.1984 – II ZR 229/83, NJW 1984, 2366; vgl. auch BGH, Hinweisbeschluss vom 07.07.2008 – II ZR 81/07, NZG 2008, 753). Stattdessen werden die Grenzen derartiger Wettbewerbsklauseln aus § 138 BGB i.V.m. Art. 2 und 12 GG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung ermittelt. Insofern stellt der Bundesgerichtshof an die Zulässigkeit von Vereinbarungen, die den Geschäftsführer einer GmbH für die Zeit nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses in seiner gewerblichen Betätigung beschränken, strenge Anforderungen. Unter Heranziehung der in den §§ 74ff. HGB zum Ausdruck gekommenen Rechtsgrundsätze sind Wettbewerbsverbote nur dann zulässig, wenn sie dem Schutze eines berechtigten Interesses des Gesellschaftsunternehmens dienen und nach Ort, Zeit und Gegenstand die Berufsausübung und wirtschaftliche Betätigung des Geschäftsführers nicht unbillig erschweren (BGH, Urteil vom 26.03.1984 – II ZR 229/83, NJW 1984, 2366), wobei der insofern vorzunehmende Interessenausgleich eine umfassende Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles erfordert, insbesondere auch die Berücksichtigung des Zwecks, der mit der Vereinbarung des Wettbewerbsverbots verfolgt wird (BGH, Urteil vom 19.11.1973 – II ZR 52/72, BeckRS 2013, 15359). Ihre Rechtfertigung findet die wettbewerbsbeschränkende Abrede allein in dem anerkennenswerten Bestreben des von ihr begünstigten Teils, sich davor zu schützen, dass der andere Teil die Erfolge seiner Arbeit illoyal verwertet oder sich in sonstiger Weise zu seinen Lasten die Freiheit der Berufsausübung missbräuchlich zunutze macht; soweit dieses Interesse nicht betroffen ist, beschränken derartige Abreden die Freiheit der Berufsausübung unangemessen und sind sittenwidrig (BGH, Urteil vom 14.07.1997 – II ZR 238/96, NJW 1997, 3089). Insbesondere darf ein solches Wettbewerbsverbot rechtlich nicht dazu eingesetzt werden, den ehemaligen Geschäftsführer als potenziellen Wettbewerber auszuschalten (vgl. BGH, Urteil vom 08.05.2000 – II ZR 308/98, NJW 2000, 2584).
(…) In Anwendung dieser Grundsätze geht das Landgericht zunächst im Einklang mit obergerichtlichen Entscheidungen zu vergleichbaren Klauseln davon aus, dass das unternehmensbezogene Wettbewerbsverbot nach Ziffer 9.1. (b) – wonach es der Verfügungsklägerin untersagt ist, als Mitglied der Geschäftsführung oder als Angestellter oder Berater oder Vertreter oder auf sonstige Weise für ein Unternehmen oder eine Person direkt oder indirekt tätig sein, die eine Konkurrenztätigkeit ausführt – unwirksam ist, da es jedwede Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen untersagt und damit gegenständlich zu weit geht (vgl. hierzu OLG München, Beschluss vom 2. August 2018 – 7 U 2107/18 –, Rn. 9; OLG Hamm Urt. v. 14.7.2014 – 8 U 131/12, BeckRS 2016, 13633; OLG Hamm Urt. v. 8.8.2016 – 8 U 23/16, BeckRS 2016, 20914 Rn. 23; OLG Hamm NJW-RR 1993, 1314; OLG Düsseldorf NJW-RR 1994, 35; OLG Brandenburg, Urt. v. 15.12.2020 – 6 U 172/18, BeckRS 2020, 40116 Rn. 52). Insofern verbietet die Klausel nämlich eine Tätigkeit der Verfügungsklägerin selbst dann, wenn sie dort bspw. in einem Bereich tätig wäre, in dem das Konkurrenzunternehmen gar nicht konkurriert, was jedoch selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Verfügungsklägerin ihr Wissen aus ihrer 25jährigen Tätigkeit als Gründerin und Geschäftsführerin der Verfügungsbeklagten mitnimmt, nicht mehr zu rechtfertigen ist.
Insofern kommt es nicht entscheidend darauf an, ob Ziffer 9.1. (b) tatsächlich so weitgehend zu verstehen ist, dass hiermit tatsächlich auch solche Tätigkeiten gemeint waren, die – wie bspw. als Hausmeisterin – offenkundig in keinerlei Bezug zur Tätigkeit der Verfügungsklägerin bei der Verfügungsbeklagten stehen. Denn auch wenn der Umfang des Wettbewerbsverbots zunächst einmal nach den allgemeinen
Grundsätzen der Vertragsauslegung zu ermitteln ist (vgl.MüKoGmbHG/Jaeger/Steinbrück, 4. Aufl. 2023, § 35 Rn. 389 Fn. 885), ist die Klausel – deren Formulierung unstreitig von der Verfügungsbeklagten stammt – derart weit formuliert, dass eine Tätigkeit für ein konkurrierendes Unternehmen umfassend ausgeschlossen werden sollte und damit jedenfalls auch – unzulässigerweise – eine Vielzahl von ernsthaft in Betracht zu ziehenden Tätigkeitsbereichen in einem solchen Unternehmen, die keinen Bezug zu der vorangegangenen Tätigkeit der Verfügungsklägerin bei der Verfügungsbeklagten aufweisen, ausgeschlossen werden.
(…) Soweit die Verfügungsbeklagte beanstandet, dass das Landgericht sich nicht mit dem tätigkeitsbezogenen Wettbewerbsverbot in Ziffer 9.1. (a) – welches der Verfügungsklägerin die direkte oder indirekte Ausübung von Geschäftsaktivitäten untersagt, die mit den Geschäftstätigkeiten der Gesellschaft im Tätigkeits-Gebiet am Kündigungstag konkurrieren – befasst habe, vermag dies ihrer Berufung im Ergebnis ebenfalls nicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn unabhängig von der Frage, ob diese Klausel überhaupt die von der Verfügungsklägerin beabsichtigte unselbständige Tätigkeit erfasst, wird auch ein derart weit gefasstes tätigkeitsbezogenes Wettbewerbsverbot, das seinem Gegenstand nach auf eine vollständige Ausschaltung als Wettbewerber abzielt, in der Rechtsprechung als unzulässig angesehen (vgl. BGH NJW 1984, 2366; OLG Düsseldorf, Urteil vom 10. März 2000 – 17 U 133/99 –, Rn. 15). Insofern wendet die Verfügungsklägerin insbesondere zu Recht ein, dass ihr dadurch, dass die Klausel auf sämtliche Geschäftstätigkeiten der Verfügungsbeklagten abstellt, auch solche Tätigkeiten verboten werden, die keinen Bezug zu ihrer eigenen Tätigkeit bei der Verfügungsbeklagten haben.
(…) Da das streitgegenständliche Wettbewerbsverbot hiernach sowohl in seiner tätigkeitsbezogenen als auch in der unternehmensbezogenen Ausformung gegenständlich derart weit gefasst ist, dass es nur dazu dient, die Verfügungsklägerin als ehemalige Geschäftsführerin vollständig als potenziellen Wettbewerber auszuschalten und es aus diesem Grund bereits sittenwidrig und damit nichtig ist, kommt es nicht darauf an, ob dem Verstoß – wie das Landgericht ausführt und die Verfügungsbeklagte beanstandet – wegen der vereinbarten Vertragsstrafe noch ein besonderes Gewicht zukommt. Es kann auch dahinstehen, ob entgegen der Auffassung des Landgerichts die Vereinbarung einer Karenzentschädigung bei der im Rahmen des § 138 BGB erforderlichen umfassenden Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles bei der Bewertung einer unbilligen Erschwerung des Fortkommens grundsätzlich berücksichtigungsfähig wäre (ablehnend OLG München, Beschluss vom 2.8.2018 – 7 U 2107/18, Rn. 8; OLG Hamm Urt. v. 14.7.2014 – 8 U 131/12, BeckRS 2016, 13633). Denn die hier vereinbarte Karenzentschädigung in Höhe von 75% der zuletzt erhaltenen Vergütung ist jedenfalls nicht hinreichend, um das weit über die Tätigkeit der Verfügungsklägerin bei der Verfügungsbeklagten hinausgehende Wettbewerbsverbot zu kompensieren.“