Niedrige Beweggründe, die zugleich spezielle Mordmerkmale erfüllen (zu § 211 StGB)
Der Bundesgerichtshof hat sich zu der Frage geäußert, ob niedrige Beweggründe, die zugleich spezielle Mordmerkmale erfüllen, einem Angeklagten gewissermaßen „doppelt“ angelastet werden dürfen (BGH, Beschl. v. 13.03.2024 – 4 StR 448/23). In den Entscheidungsgründen heißt es:
„Die Jugendkammer hat dem Angeklagten zu Unrecht angelastet, neben dem Mordmerkmal der Ermöglichungsabsicht auch das der niedrigen Beweggründe verwirklicht zu haben.
(…) Zwar ist sie zutreffend davon ausgegangen, dass die Beantwortung der Frage, ob Beweggründe zur Tat ´niedrig´ sind, also nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen, aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 12. November 2019 – 1 StR 370/19 Rn. 3; Beschluss vom 7. November 2017 – 4 StR 327/17 Rn. 8 mwN). Sie hat jedoch übersehen, dass niedrige Beweggründe, die zugleich spezielle Mordmerkmale erfüllen und denen darüber hinaus kein weiterer Unrechtsgehalt zukommt, von diesen speziellen Mordmerkmalen verdrängt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2017 – 4 StR 327/17 Rn. 8 [Habgier]; Urteil vom 17. Mai 2011 – 1 StR 50/11, BGHSt 56, 239, Rn. 24; Urteil vom 10. März 1999 – 3 StR 1/99, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 38 [Verdeckungsabsicht]).
(…) Danach war hier für die Annahme niedriger Beweggründe kein Raum. Die Jugendkammer hat ihre Wertung, der Angeklagte habe das Mordmerkmal der Ermöglichungsabsicht verwirklicht, rechtsfehlerfrei darauf gestützt, dass er sich den Gewahrsam an dem Fahrzeug mittels Gewalt gegen den Geschädigten verschaffen wollte und dabei dessen Tod als Folge der die Wegnahme zumindest erleichternden Gewalteinwirkung billigend in Kauf nahm (vgl. zu einer solchen Fallkonstellation BGH, Urteil vom 9. März 1993 – 1 StR 870/92, BGHSt 39, 159, 160). Diesen für den Angeklagten im Vordergrund stehenden Handlungsantrieb (Besitzerlangung an dem Pkw) hat die Jugendkammer sodann aber auch in maßgeblicher Weise zur Begründung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe herangezogen. Dass daneben auch andere Beweggründe vorlagen, die für sich genommen als ´niedrig´ im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB zu bewerten sind, ergeben die Urteilsgründe nicht. Soweit es dem Angeklagten darum ging, mit dem erbeuteten Fahrzeug einer jungen Frau zu imponieren, kann daraus für sich genommen noch kein niedriger Beweggrund abgeleitet werden. Auch die Feststellung eines krassen Missverhältnisses zwischen Tatanlass und Tötung genügt allein für diese Annahme nicht, insbesondere wenn der Täter – wie vorliegend festgestellt – den Tötungsentschluss spontan fasste (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 2004 – 4 StR 349/04, Rn. 11; Urteil vom 11. Januar 2000 – 1 StR 505/99 Rn. 8).“