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Mögliche Unpfändbarkeit eines Pkw wegen einer psychischen Erkrankung des Schuldners (zu § 811 Abs. 1 Nr. 1 c) ZPO)

Mögliche Unpfändbarkeit eines Pkw wegen einer psychischen Erkrankung des Schuldners (zu § 811 Abs. 1 Nr. 1 c) ZPO)
Aktuelles
16.12.2022

Mögliche Unpfändbarkeit eines Pkw wegen einer psychischen Erkrankung des Schuldners (zu § 811 Abs. 1 Nr. 1 c) ZPO)

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit der Frage der Pfändbarkeit eines Pkw befasst (BGH, Beschl. v. 10.08.2022 – VII ZB 5/22). Die Besonderheit des Falles lag unter darin begründet, dass es sich um ein Schuldner handelte, der psychisch erkrankt war.

In den Entscheidungsgründen heißt es:

„bb) Der rechtlichen Nachprüfung hält die Entscheidung des Beschwerdegerichts jedoch nicht stand, soweit es die Unpfändbarkeit des Pkw im Zusammenhang mit der psychischen Erkrankung des Schuldners abgelehnt hat.

Die Entscheidung des Beschwerdegerichts kann bereits deshalb keinen Bestand haben, weil sie die Vorschrift des § 811 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c ZPO nicht berücksichtigt. Diese ist zwar erst nach Erlass der Entscheidung des Beschwerdegerichts in Kraft getreten, jedoch im weiteren Verfahren gleichwohl zeitlich anwendbar. Danach unterliegen der Pfändung nicht Sachen, die der Schuldner oder eine Person, mit der er zusammen in einem gemeinsamen Haushalt lebt, aus gesundheitlichen Gründen benötigt. Diese Vorschrift, die den bisherigen § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a.F. unter Erweiterung seines Anwendungsbereichs ersetzt (vgl. BT-Drucks. 19/27636, S. 29), ist durch das am 1. Januar 2022 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung des Schutzes von Gerichtsvollziehern vor Gewalt sowie zur Änderung weiterer zwangsvollstreckungsrechtlicher Vorschriften und zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes (BGBl. 2021 I S. 850 ff.) eingeführt worden. Maßstab für die Überprüfung der Beschwerdeentscheidung im Rechtsbeschwerdeverfahren auf Rechtsfehler ist die Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Zu berücksichtigen ist daher auch ein nach Erlass der Beschwerdeentscheidung ergangenes neues Gesetz, sofern es nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfasst (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juni 2017 – VII ZB 17/14 Rn. 5, DGVZ 2017, 174; Beschluss vom 20. Januar 2005 – IX ZB 134/04, NJW 2005, 1508, juris Rn. 12). Das ist hier der Fall. Das genannte Gesetz enthält keine Übergangsregelung und ist auf nicht abgeschlossene Pfändungsmaßnahmen wie im Streitfall anwendbar.

  1. cc) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts stellt sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (vgl. § 577 Abs. 3 ZPO), weil auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass für den Pkw des Schuldners ein Pfändungsverbot nach § 811 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c ZPO besteht. Zwar resultieren aus der vom Schuldner für nötig erachteten Nutzung des Fahrzeugs zum Aufsuchen seiner in H. praktizierenden ärztlichen Therapeutin für sich genommen keine ´gesundheitlichen Gründe´ im Sinne der Vorschrift (siehe unten (1)). Nicht von vornherein ausgeschlossen ist es aber, dass sich die Unpfändbarkeit des Pkw nach § 811 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c ZPO daraus ergibt, dass der Schuldner den Pkw benötigt, um damit die aus seiner psychischen Erkrankung herrührenden Nachteile teilweise zu kompensieren und seine Eingliederung in das öffentliche Leben wesentlich zu erleichtern (siehe unten (2)).

(1) Dass der Schuldner den Pkw, wie er geltend macht, benötigt, um seine langjährige, in H.                praktizierende ärztliche Therapeutin aufzusuchen, reicht für sich genommen für eine Unpfändbarkeit nach § 811 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c ZPO nicht aus. Dabei handelt es sich nicht um ´gesundheitliche Gründe´ im Sinne dieser Vorschrift.

(a) Die Pfändungsverbote des § 811 Abs. 1 ZPO dienen dem Schutz des Schuldners im öffentlichen Interesse und beschränken die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen mit Hilfe staatlicher Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Sie sind Ausfluss der in Art. 1 und Art. 2 GG garantierten Menschenwürde beziehungsweise allgemeinen Handlungsfreiheit und enthalten eine Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG). Dem Schuldner soll dadurch die wirtschaftliche Existenz erhalten werden, um – unabhängig von Sozialhilfe – ein bescheidenes, der Würde des Menschen entsprechendes Leben führen zu können (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juni 2011 – VII ZB 12/09 Rn. 7, NJW-RR 2011, 1367; Beschluss vom 19. März 2004 – IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789, juris Rn. 8).

(b) In diesem Regelungszusammenhang steht auch die Vorschrift des § 811 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c ZPO als Nachfolgebestimmung von § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a.F., wonach künstliche Gliedmaßen, Brillen und andere wegen körperlicher Gebrechen notwendige Hilfsmittel unpfändbar waren, soweit diese Gegenstände zum Gebrauch des Schuldners und seiner Familie bestimmt waren. Der Wortlaut des § 811 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c ZPO ist nach der Neufassung weiter, so dass die Vorschrift nun allgemein Hilfs- und Therapiemittel erfasst, die zum Ausgleich oder zur Minderung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung benötigt werden (vgl. BeckOK ZPO/Uhl, Stand: 1. Juli 2022, § 811 Rn. 23; Musielak/ Voit/Flockenhaus, ZPO, 19. Aufl., § 811 Rn. 19). Mit der Neufassung gemäß § 811 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c ZPO sollen etwa auch Sachen geschützt sein, die der Schuldner aufgrund einer psychischen Erkrankung – wie beispielsweise eine Staffelei im Rahmen einer Kunsttherapie – benötigt (vgl. BT-Drucks. 19/27636, S. 29 f.); die in § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a.F. enthalten gewesene Beschränkung auf körperliche Gebrechen ist entfallen (vgl. Herberger, DGVZ 2021, 253, 255). Die neugefasste Vorschrift soll den veränderten rechtlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten sowie den gewandelten gesellschaftlichen Realitäten Rechnung tragen (vgl. BT-Drucks. 19/27636, S. 1 f.). Der Normzweck hat sich durch die Neufassung vom Grundsatz her hingegen nicht geändert: Er liegt darin, eine gesundheitliche Beeinträchtigung zu behandeln beziehungsweise die aus einer gesundheitlichen Beeinträchtigung resultierenden Nachteile auszugleichen oder zu verringern und dem Schuldner so ein angemessenes Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 16. Juni 2011 – VII ZB 12/09 Rn. 8, NJW-RR 2011, 1367; Beschluss vom 19. März 2004 – IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789, juris Rn. 11; jeweils zum Aspekt des Nachteilsausgleichs im Rahmen der Vorgängerregelung des § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a.F.). Dem Schuldner sollen die dafür notwendigen Gegenstände belassen werden.

(c) Dabei ist ein dahingehender Zusammenhang, dass der unpfändbare Gegenstand selbst bereits das Hilfs- oder Therapiemittel bezüglich der gesundheitlichen Beeinträchtigung sein muss, indes nicht entbehrlich und die Vorschrift entsprechend einschränkend auszulegen. Die Vorgängerregelung in § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a.F. war insofern von ihrem Wortlaut her eindeutig (´künstliche Gliedmaßen, Brillen und andere wegen körperlicher Gebrechen notwendige Hilfsmittel´). Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber diesen Zusammenhang im Zuge der Neufassung der Vorschrift aufgeben wollte. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass es sich bei § 811 ZPO um eine Ausnahmevorschrift handelt, die nicht entsprechend angewandt oder zu weit ausgelegt werden darf (vgl. Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 43. Aufl., § 811 Rn. 1). Es reicht daher nicht aus, dass – wie der Schuldner geltend macht – der Pkw lediglich als Beförderungsmittel dazu dienen soll, an den Ort zu gelangen, an dem die Therapeutin praktiziert. Eine entsprechende Auslegung würde den Anwendungsbereich von § 811 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c ZPO übermäßig ausdehnen. So müsste dann etwa auch ein vom Schuldner beiseitegelegter Geldbetrag für den Erwerb eines Pkw für Arztbesuche oder auch jeder anderweitige Gegenstand, den der Schuldner zu veräußern beabsichtigt, um aus dem Erlös einen so zu verwendenden Pkw zu finanzieren, ´aus gesundheitlichen Gründen´ unpfändbar sein. Ein derart weitgehendes Verständnis kann der Vorschrift nicht entnommen werden und würde zudem zu kaum überwindbaren Abgrenzungs- und Nachweisproblemen führen.

(2) Die Unpfändbarkeit des Pkw kann sich aber daraus ergeben, dass ihn der Schuldner benötigt, um damit die aus seiner psychischen Erkrankung herrührenden Nachteile teilweise zu kompensieren und seine Eingliederung in das öffentliche Leben wesentlich zu erleichtern.

(a) So unterliegt der Pkw eines gehbehinderten Schuldners nach der bereits zu § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a.F. ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht der Pfändung, wenn die Benutzung des Pkw erforderlich ist, um die Gehbehinderung teilweise zu kompensieren und die Eingliederung des Schuldners in das öffentliche Leben wesentlich zu erleichtern. Die Pfändung eines Fahrzeugs hat demnach zu unterbleiben, wenn sie dazu führt, dass der Schuldner in seiner Lebensführung stark eingeschränkt und im Vergleich zu einem nicht behinderten Menschen entscheidend benachteiligt wird (BGH, Beschluss vom 16. Juni 2011 – VII ZB 12/09 Rn. 8, NJW-RR 2011, 1367; Beschluss vom 19. März 2004 – IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789, juris Rn. 11). Diese Rechtsprechung kann angesichts des erweiterten sachlichen Anwendungsbereichs der Neuregelung in § 811 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c ZPO nunmehr auch bei psychischen Erkrankungen anwendbar sein: Ist dem Schuldner wegen einer psychischen Erkrankung die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar, kann auch dies zur Unpfändbarkeit eines Pkw des Schuldners ´aus gesundheitlichen Gründen´ führen, wenn die Benutzung des Pkw erforderlich ist, um die Erkrankung teilweise zu kompensieren und die Eingliederung des Schuldners in das öffentliche Leben, wozu auch das etwa nötige Aufsuchen von Ärzten gehört, wesentlich zu erleichtern (vgl. – bereits zu § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a.F. – Lackmann in Henning/Lackmann/Rein, Privatinsolvenz, 1. Aufl., § 811 ZPO Rn. 27).

(b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist es auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht von vornherein ausgeschlossen, dass für den Pkw des Schuldners ein Pfändungsverbot nach § 811 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c ZPO besteht. Denn nach dem in der Entscheidung des Beschwerdegerichts wiedergegebenen Vorbringen des Schuldners, von dem mangels gegenteiliger Feststellungen des Beschwerdegerichts jedenfalls für die Rechtsbeschwerdeinstanz auszugehen ist, kann dieser aufgrund seiner psychischen Erkrankung insbesondere in den akuten Krankheitsphasen keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, da er sich dann von anderen Menschen bedroht fühle und ohne Anlass aggressiv reagiere. Unter Zugrundelegung dieses Vorbringens des Schuldners, auf das die Rechtsbeschwerdebegründung rekurriert, könnte dem Pkw die Funktion zukommen, die aus seiner psychischen Erkrankung herrührenden Nachteile teilweise zu kompensieren und ihm die Eingliederung in das öffentliche Leben einschließlich des nötigen Aufsuchens von Ärzten wesentlich zu erleichtern.

Soweit das Beschwerdegericht – bei der Subsumtion unter § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a.F. – davon ausgegangen ist, dass der Schuldner aufgrund seiner psychischen Krankheit zur Pflege seiner allgemeinen sozialen Kontakte grundsätzlich nicht auf den Pkw angewiesen sei, sind die diesbezüglichen Feststellungen jedenfalls lückenhaft und vermögen den vom Beschwerdegericht gezogenen Schluss nicht zu tragen.“

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Autor(en)


Ira Heinrichs
Rechtsfachwirtin

Mail: koeln@etl-rechtsanwaelte.de


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Dr. Uwe P. Schlegel
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