Missbrauch befristeter Arbeitsverhältnisse im Gesundheitswesen
Der EuGH hat am 19.03.2020 entschieden, dass die Mitgliedstaaten den Fall eines Arbeitnehmers, der dauerhaft eine Vertretungsstelle innehatte und dessen Arbeitsverhältnis von Jahr zu Jahr verlängert wurde, nicht vom Begriff „aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverhältnisse“ im Sinne der Richtlinie zur Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (1999/70/EG) vom Schutz vor Missbrauch ausnehmen dürfen (EuGH, Urt. v. 19.03.2020 – C-234/18, C-103/18). Auch der Umstand, dass ein Arbeitnehmer der Begründung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverhältnisse zugestimmt habe, beraube ihn nicht des Schutzes, den er aufgrund der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge genieße, so der EuGH.
Der Fall
Es ging um mehrere Personen, die seit langem im Rahmen befristeter Arbeitsverhältnisse im spanischen Gesundheitsdienst tätig sind. Sie beantragten, als festangestelltes Personal anerkannt zu werden. Dies wurde ihnen verweigert. Die mit ihren dagegen erhobenen Klagen befassten spanischen Verwaltungsgerichte haben dem EuGH eine Reihe von Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die insbesondere die Auslegung der Rahmenvereinbarung betreffen.
Die Entscheidung(en) des EuGH
Der EuGH hat entschieden, dass die Mitgliedstaaten und/oder die Sozialpartner einen Fall, in dem ein Arbeitnehmer, der auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsverhältnisses tätig ist, im Rahmen mehrerer Einstellungen über mehrere Jahre hinweg unterunterbrochen dieselbe Stelle innehatte sowie stetig und kontinuierlich dieselben Aufgaben erfüllte, wobei er dauerhaft auf dieser Stelle blieb, weil der Arbeitgeber seiner gesetzlichen Verpflichtung, fristgerecht ein Auswahlverfahren zur endgültigen Besetzung der freien Stelle durchzuführen, nicht nachkam und das Arbeitsverhältnis daher von Jahr zu Jahr implizit verlängert wurde, nicht vom Begriff „aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse“ i.S.v. § 5 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge ausnehmen dürfen. Greift ein öffentlicher Arbeitgeber missbräuchlich auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverhältnisse zurück, ist der Umstand, dass der betreffende Beschäftigte der Begründung und/oder Verlängerung solcher Arbeitsverhältnisse zugestimmt hat, nicht geeignet, dem Verhalten des Arbeitgebers aus diesem Blickwinkel jeden missbräuchlichen Charakter zu nehmen, mit der Folge, dass die Rahmenvereinbarung auf den Fall dieses Arbeitnehmers nicht anwendbar wäre.
Nach Auffassung des EuGH besteht eines der Ziele der Rahmenvereinbarung darin, den wiederholten Rückgriff auf befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse, in dem eine Quelle potenziellen Missbrauchs zulasten der Arbeitnehmer gesehen wird, einzugrenzen, und dass es Sache der Mitgliedstaaten und/oder der Sozialpartner ist, unter Einhaltung des Ziels, des Zwecks und der praktischen Wirksamkeit dieser Vereinbarung festzulegen, unter welchen Voraussetzungen diese Arbeitsverträge oder -verhältnisse als „aufeinanderfolgend“ angesehen werden. Bei einer gegenteiligen Auslegung könnten Arbeitnehmer über Jahre hinweg in unsicheren Verhältnissen beschäftigt werden, und sie könnte nicht nur dazu führen, dass eine große Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse de facto von dem mit der Richtlinie 1999/70 und der Rahmenvereinbarung angestrebten Schutz ausgeschlossen würde, so dass das mit ihnen verfolgte Ziel weitgehend ausgehöhlt würde, sondern auch dazu, dass es den Arbeitgebern ermöglicht würde, solche Arbeitsverhältnisse in missbräuchlicher Weise zur Deckung eines ständigen und permanenten Arbeitskräftebedarfs zu nutzen.
*Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 33/2020 v. 19.03.2020