Menschenleben versus Datenschutz
Das Coronavirus hat unser Land fest im Griff. Ein Ende ist nicht in Sicht. Inzwischen sind wir in der dritten Welle angekommen. Zwischen der zweiten und dritten Welle war nicht viel Zeit, um Luft zu holen. Gefühlt befinden wir uns spätestens seit dem November des vergangenen Jahres in einer Art Dauerlockdown. Auch wenn uns der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen vielleicht etwas Hoffnung machen möchte. Ein Brücken-Lockdown, von dem er seit den Osterfeiertagen spricht, löst ebenfalls keine Freudensprünge aus.
Was machen wir falsch? Was läuft schief? Neben den üblichen Verdächtigen wie zu wenig Impfstoff, schlechtem Impfmanagement und wissenschaftsfeindlichen Coronaleugnern ist häufig die Rede von der unzureichend arbeitenden Corona-Warn-App. Und Letzteres – so das Standardargument – sei der Datenschutz schuld, vor allem die Datenschutzgrundverordnung, abgekürzt DSGVO. Dem sollte man mal auf den Grund gehen.
Die DSGVO, eine Verordnung die dem innerhalb der Europäische Union vereinheitlichten Recht entspringt, ist seit Mai 2018 anwendbares Recht. Zeitgleich ist das geänderte Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) in Kraft getreten. Im Mittelpunkt des rechtlich verankerten Datenschutzes in DSGVO und dem BDSG steht der Schutz personenbezogener Daten. Nach dem hier vertretenen Standpunkt mutet es geradezu absurd an, DSGVO und BDSG dafür verantwortlich machen zu wollen, dass die Corona-Warn-App nicht das macht, wozu sie erfunden wurde, nämlich vor einer weiteren Ausbreitung des Coronavirus zu warnen. Das ist mitnichten der Fall. Ganz im Gegenteil. Man muss dazu kein Datenschutzexperte sein. Es genügt ein Blick in den Normtext und es wird schnell klar, dass der Datenschutz als Ausrede herhalten muss. So heißt es im Text der DSGVO, nämlich in Art. 6 Abs. 1 DSGVO:
„Die Verarbeitung [personenbezogener Daten] ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist: (…) d) die Verarbeitung ist erforderlich, um lebenswichtige Interessen der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person zu schützen.“
Spannend ist zudem, dass es im Zusammenhang mit der DSGVO offizielle, sogenannte Erwägungsgründe gibt. Damit sind Überlegungen des Verordnungsgebers gemeint, die ihn bewogen haben, die DSGVO mit eben dem Inhalt zu versehen, der aus dem Verordnungstext erkennbar wird. So heißt es im Erwägungsgrund 46 Satz 3 zur DSGVO explizit:
„Einige Arten der [Daten-]Verarbeitung können sowohl wichtigen Gründen des öffentlichen Interesses als auch lebenswichtigen Interessen der betroffenen Person dienen; so kann beispielsweise die Verarbeitung für humanitäre Zwecke einschließlich der Überwachung von Epidemien und deren Ausbreitung oder in humanitären Notfällen insbesondere bei Naturkatastrophen oder vom Menschen verursachten Katastrophen erforderlich sein.“
Damit ist eigentlich alles gesagt. Es ist lediglich zuzugeben, dass man noch sehr viel über das Zusammenspiel zwischen DSGVO und BDSG schreiben könnte. Am Ende würde sich aber rechtlich nicht viel ändern. Es geht um eine Abwägung miteinander im Widerstreit stehender Interessen. Hier der Datenschutz, dort der Schutz vor einer potentiell lebensgefährlichen Erkrankung. Und wenn man dem Schutz Gesundheit Vorrang einräumt, was ja naheliegt, dann steht auch die DSGVO oder das BDSG diesem Ergebnis nicht entgegen.
Warum also führen wir eine rechtlich sinnfreie Diskussion um einen der Corona-Warn-App angeblich entgegenstehenden Datenschutz? Da lässt sich leider nur spekulieren. Ist es die Angst vor selbsternannten Datenschützern, die die Menschen davon abhalten, die App herunterzuladen? Ist es die Angst vor den Coronaleugnern und Anhängern von Verschwörungstheorien, die hinter der Corona-Warn-App nur einen neuerlichen Versuch des Staates erkannt haben wollen, Freiheitsrechte zu beschränken, gar die Bevölkerung einer Art Dauerüberwachung auszusetzen. Nichts Genaues weiß man. Eines steht jedoch fest: Statt eine dummen Ausrede zu bemühen, sollte die öffentliche Hand sagen wie es ist. Es fehlt der politische Mut für eine funktionierende App.