Kündigung eines Arbeitnehmers wegen illegaler „Beschleunigungszahlung“?
Damit ein Abtransport von Gütern von einem Hafengelände beschleunigt durchgeführt wurde, veranlasste ein Arbeitnehmer eine bestechungsähnliche „Beschleunigungszahlung“ in Höhe von mehreren tausend Euros. Nach Aufklärung des Sachverhalts wurde dem Arbeitnehmer ordentlich gekündigt. Das Landesarbeitsgericht (LAG) München hält die durch den Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung – anders als die Vorinstanz – unter Beachtung des hier maßgeblichen Sachverhalts für unverhältnismäßig (LAG München, Urt. v. 11.05.2022 – 11 Sa 809/21).
In den Entscheidungsgründen des Urteils des LAG heißt es:
„2. Hinblick auf diesen Maßstab, erscheint zumindest die Weiterbeschäftigung des Klägers unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls der Beklagten als zumutbar.
a) Zwar ist dem Arbeitsgericht insoweit Recht zu geben, als auch das Berufungsgericht davon ausgeht, dass eine Pflichtverletzung des Klägers vorgelegen hat, da tatsächlich eine illegale Beschleunigungszahlung durch den Kläger freigegeben wurde und auch im Rahmen der Rechnungsstellung des Transporteurs als ´sachlich richtig´ bestätigt wurde. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts Bezug genommen werden, § 69 Abs. 2 ArbGG. Die von Seiten des Klägers im Rahmen der Berufung vorgebrachten Einwände, insbesondere im Zusammenhang mit dem E-Mail Verkehr erscheinen nicht als durchgreifend. Insbesondere die von Seiten des Arbeitsgerichts bereits erwähnten Anspielungen auf den ´kleinen Dienstweg´, die Äußerungen des Klägers (Zigeuner) sowie auch die eigenen Angaben gegenüber dem Vorgesetzten hinsichtlich der Bestechung zeigen, dass der Kläger sich des Vorliegens einer illegalen Zahlung bewusst gewesen ist. Insbesondere auch im Zusammenhang mit den erfolgten Schulungen und den darin enthaltenen Beispielen musste sich dies dem Kläger auch aufdrängen, sodass auch Zweifel bezüglich des Bewusstseins beim Kläger nicht angebracht erscheinen.
b) Der Kläger hat damit und durch die Bestätigung der Rechnung jedenfalls seine
Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis schuldhaft verletzt.
c) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung erscheint es jedoch unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Ablaufs, insbesondere des Hinweises gegenüber dem Vorgesetzten, der Intention des Klägers, weitergehenden Schaden von der Beklagten in Form von Vertragsstrafen und höheren Kosten abwenden zu wollen, was die Beklagte nicht widerlegen kann, der Mithilfe des Klägers bei der Aufklärung und insbesondere der trotz Kenntnisstandes bei der Beklagten monatelang erfolgten Weiterbeschäftigung, einschließlich der Prozessbeschäftigung als zumutbar, den Kläger weiterzubeschäftigen und im Sinne des milderen Mittels vorher eine Abmahnung auszusprechen.
Nach der oben zitierten Rechtsprechung ist die Erteilung einer Abmahnung als milderes Mittel in zwei Fällen ausgeschlossen. Zum einen dann, wenn von einem künftigen Vertragstreuen Verhalten des Arbeitnehmers nicht ausgegangen werden kann. Hierfür besteht jedenfalls kein Anlass, da der Kläger auch selbst an der Aufklärung des Sachverhalts mitgewirkt hat. Zum anderen könnte die Schwere des Verstoßes eine Abmahnung verzichtbar machen. Hierbei ist zumindest zu berücksichtigen, dass der Kläger den Vorfall seinem Vorgesetzten dargelegt hat, die Rechnung nur als sachlich richtig bestätigt hat und auch der Verstoß nicht so schwerwiegend erscheint, als der Kläger insbesondere im Hinblick auf drohende Schäden für die Beklagten, etwa Vertragsstrafen, sein Verhalten so ausgeführt hat. Insofern mag beim Kläger, was nicht auszuschließen ist, auch die Vorstellung vorhanden gewesen sein, dass das Verhalten durch die Beklagte geduldet wird, da anderweitige höhere Schäden vermieden werden. Insofern erscheint auch der Ausspruch einer Abmahnung
als milderes Mittel im Sinne der Verhältnismäßigkeit als erforderlich.
d) Selbst wenn man dies nicht bejahen würde, so hat jedenfalls das Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit den vorliegenden Verstößen gezeigt, dass es der Beklagten schon nach eigener Verhaltensweise nicht unzumutbar erscheint, den Kläger weiterzubeschäftigen. Nach eigener Darlegung der Beklagten wurde diese im September 2020 über die Vorfälle informiert. Im Anschluss daran erfolgten weitere Ermittlungen, wobei aus dem E-Mail Verkehr, den insbesondere der Kläger im Rahmen der Berufungsbegründung vorgelegt hat, erkennbar ist, dass bereits im September 2020 weitgehende Ermittlungen der Beklagten abgeschlossen waren, was insbesondere die Feststellung der Gründe für die Gewichtsdifferenz bei den LKWs anbelangt. Die Kenntnis von den E-Mails lag bei der Beklagten vor, Maßnahmen gegen die Spedition waren eingeleitet worden, um die erhaltene Zahlung zurückzuerhalten, sodass nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen ist, was die Beklagte darüber hinaus, außer einem nochmaligen Nachfragen bei der Spedition, noch ermittelt hat. Erst im März 2021 wurde der Kläger daraufhin angehört. Anschließend wurde die Kündigung erst im Juli 2021 ausgesprochen. Die Beklagte hat daher ausgehend von Ende September 2020 den Kläger ca. neun Monate weiterbeschäftigt, zumindest nach Anhörung des Klägers und insofern vorhandenem Kenntnisstand über drei Monate. Im Anschluss an die ausgesprochene Kündigung und den Ablauf der Kündigungsfrist hat die Beklagte den Kläger des Weiteren zwar im Rahmen eines Prozessarbeitsverhältnisses, aber jedoch tatsächlich weiterbeschäftigt. Hätte, was dem Kläger vorgeworfen wird, der Kläger Bestechung begangen und sich daher insoweit sogar strafbar gemacht, so wäre auch eine fristlose Kündigung an sich gerechtfertigt gewesen, jedenfalls wäre sogar eine Suspendierung des Klägers, wegen zu vermutender weiterer Schädigung des Arbeitgebers möglich gewesen. Dem entgegengesetzt hat die Beklagte die Arbeitskraft des Klägers durchaus in Anspruch genommen und auch eine Weiterbeschäftigung durchgeführt. Sie hat dabei zu erkennen gegeben, dass es ihr anscheinend durchaus zumutbar war über Monate hinweg, also nicht nur für die Kündigungsfrist oder einen kurzen Zeitraum darüber hinaus, die Arbeitskraft des Klägers entgegenzunehmen. Insofern erscheint die Behauptung der Beklagten, es sei ihr unzumutbar, den Kläger weiterzubeschäftigen, als widerlegt.
e) Hinzu kommt, dass der Kläger im Rahmen der Prozessarbeitsbeschäftigung nach eigener Darlegung der Beklagten mit rein administrativen und nicht mehr derart verantwortungsvollen Tätigkeiten beschäftigt wurde. Insofern erscheint es durchaus auch als milderes Mittel im Rahmen der Verhältnismäßigkeit als denkbar, den Kläger mit derartigen Tätigkeiten zu beschäftigen, also ihm einen anderen Arbeitsplatz etwa im Wege der Änderungskündigung aus verhaltensbedingten Gründen zu übertragen. Auch dieses mildere Mittel, etwa auch nach Aussprache einer Abmahnung, erscheint im Rahmen der Verhältnismäßigkeit als ausreichend, gerade im Hinblick auf das dem Kündigungsrecht zugrunde liegenden Prognoseprinzip, wonach nicht der Verstoß in der Vergangenheit der Kündigungsgrund ist, sondern ein zu erwartendes künftiges Fehlverhalten des Klägers, was insbesondere etwa im Zusammenhang mit der Beschäftigung noch vor Ausspruch der Kündigung, dem Verhalten des Klägers vor dem streitgegenständlichen Vorfall ohne Fehlverhalten sowie auch im Rahmen der Prozessbeschäftigung als nicht zu erwarten anzusehen ist.“