Kann der Fremdgeschäftsführer einer GmbH Arbeitnehmer sein?
Ja, das ist möglich! Siehe dazu etwa BAG, Urt. v. 25.07.2023 – 9 AZR 43/22, DB 2024, 61 [Leitsatz]:
„Der Fremdgeschäftsführer einer GmbH kann Arbeitnehmer im Sinne des BUrlG sein.“
In den Entscheidungsgründen heißt es:
„Nach § 1 BUrlG hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten. Nach § 2 BUrlG unterliegen dem Geltungsbereich des Bundesurlaubsgesetzes Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Als Arbeitnehmer gelten zudem arbeitnehmerähnliche Personen.
(…) Durch das Bundesurlaubsgesetz werden die Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG umgesetzt. Die nationalen Gerichte sind gehalten, innerstaatliches Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der fraglichen Richtlinie auszulegen, um das in der Richtlinie festgelegte Ziel zu erreichen und damit Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen (EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 58 f.). Für die Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs in § 2 BUrlG bedeutet dies, dass die vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten Grundsätze zum Arbeitnehmerbegriff (vgl. EuGH 17. März 2021 – C-585/19 – [Academia de Studii Economice din Bucureşti] Rn. 58 f.) heranzuziehen sind. Der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff ist maßgeblich, wenn – wie vorliegend mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG – eine unionsrechtliche Regelung angewandt und in nationales Recht richtlinienkonform umgesetzt oder ausgelegt werden muss. Er beeinflusst nationales Recht dort, wo unionsrechtliche Vorgaben für die Regelungsmaterie existieren (BAG 8. Februar 2022 – 9 AZB 40/21 – Rn. 20; 27. April 2021 – 2 AZR 540/20 – Rn. 23).
(…) Der Arbeitnehmerbegriff im Rahmen der Richtlinie 2003/88/EG ist anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichnen. Als „Arbeitnehmer“ ist jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (EuGH 26. März 2015 – C-316/13 – [Fenoll] Rn. 27 mwN). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist es nicht ausgeschlossen, dass das Mitglied eines Leitungsorgans einer Kapitalgesellschaft „Arbeitnehmer“ iSd. Unionsrechts ist, selbst wenn der Grad der Abhängigkeit oder Unterordnung eines Geschäftsführers bei der Ausübung seiner Aufgaben geringer ist als der eines Arbeitnehmers im Sinne der üblichen Definition des deutschen Rechts (vgl. EuGH 9. Juli 2015 – C-229/14 – [Balkaya] Rn. 38; 11. November 2010 – C-232/09 – [Danosa] Rn. 47). Die Eigenschaft als „Arbeitnehmer“ iSd. Unionsrechts hängt von den Bedingungen ab, unter denen das Mitglied des Leitungsorgans bestellt wurde, der Art der ihm übertragenen Aufgaben, dem Rahmen, in dem diese Aufgaben ausgeführt werden, dem Umfang der Befugnisse des Mitglieds und der Kontrolle, der es innerhalb der Gesellschaft unterliegt, sowie der Umstände, unter denen es abberufen werden kann (vgl. EuGH 9. Juli 2015 – C-229/14 – [Balkaya] Rn. 38; 11. November 2010 – C-232/09 – [Danosa] Rn. 47; BAG 17. Januar 2017 – 9 AZR 76/16 – Rn. 24, BAGE 158, 6). In die Gesamtwürdigung der Umstände ist einzubeziehen, in welchem Umfang der geschäftsführende Gesellschafter über seine Anteile an der Willensbildung der Gesellschaft wahrnimmt (vgl. EuGH 9. Juli 2015 – C-229/14 – [Balkaya] Rn. 40).
(…) Danach ist die Klägerin als Arbeitnehmerin iSd. Unionsrechts zu qualifizieren. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war sie weisungsgebunden tätig. Sie hatte auf Anweisung eine Arbeitszeit von 07:00 Uhr bis 18:00 Uhr einzuhalten. Auch die Art der ihr übertragenen Aufgaben spricht für die Arbeitnehmereigenschaft. Diese bestanden im Wesentlichen aus typischen Aufgaben eines Angestellten. So hatte die Klägerin vormittags eine sog. „Kaltakquise“ durchzuführen, indem sie eigeninitiativ Firmen anrief und Leistungen der Z GmbH H, Geschäftsstelle M, anbot. Nachmittags waren im Außendienst Kundenbesuche und Kontroll- und Überwachungsaufgaben zu erledigen. Es bestand die Vorgabe, wöchentlich 40 Telefonate und 20 Besuche durchzuführen und nachzuweisen. Darüber hinaus führte sie die Vorstellungsgespräche und Einstellungsverhandlungen. Nach § 7 des Gesellschaftsvertrags der Beklagten kann ein Geschäftsführer jederzeit abberufen werden. Anhaltspunkt dafür, dass die Klägerin Mehrheitsgesellschafterin war oder eine Sperrminorität besaß, sind nicht ersichtlich.“