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Kann dem Wohnungsmieter wegen „Stromdiebstahls“ das Mietverhältnis gekündigt werden?

Kann dem Wohnungsmieter wegen „Stromdiebstahls“ das Mietverhältnis gekündigt werden?
Frage des Tages
07.08.2024

Kann dem Wohnungsmieter wegen „Stromdiebstahls“ das Mietverhältnis gekündigt werden?

Das ist immer eine Frage des Einzelfalls, in dem hier nachfolgend beschriebenen Fall hatten die Kündigungen des Vermieters keinen Erfolg (AG Leverkusen, Urt. v. 17.05.2024 – 22 C 157/23).

In den Entscheidungsgründen des Urteils heißt es:

„Nach §§ 543 Abs. 1 i.V.m. § 569 Abs. 2 BGB liegt ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung vor, wenn eine Vertragspartei den Hausfrieden nachhaltig stört, sodass dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschulden der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

Allgemein wird ein Kündigungsgrund bejaht, wenn ein Mieter Stromleitungen anzapft und auf diese Weise Energie verbraucht, ohne dafür zu bezahlen (Blank, in: Schmidt-Futterer, MietR, 8. Aufl., § 543 Rdnr. 185 m.w. Nachw.; LG Berlin, Beschluss vom 21. Oktober 2014 – 67 S 304/14 -, Rn. 2, juris).

Für die Wirksamkeit einer fristgerechten Kündigung ist die Schwere der Pflichtverletzung des Mieters entscheidend. Die Kündigung ist unwirksam, wenn weder die Menge des unberechtigt entnommenen Strom noch die Dauer der Pflichtverletzung dargelegt wird (Anschluss KG Berlin, 18. November 2004, 8 U 125/04).

(LG Berlin, Beschluss vom 21. Oktober 2014 – 67 S 304/14 -, juris)

Allen Entscheidungen, die einen Stromdiebstahl als Kündigungsgrund ausreichen lassen, ist aber gemein, dass dem Vermieter und/oder der Hausgemeinschaft durch diesen Stromdiebstahl ein beträchtlicher Schaden entstanden ist. In dem vom AG Neukölln entschiedenen Fall (GE 1995, 501) hat der Mieter Hausstrom über eine im Keller befindliche Steckdose entnommen. In einem vom AG Potsdam (WuM 1995, 40) entschiedenen Fall hat der Mieter unberechtigt Strom entnommen um sein Badezimmer aufzuheizen. Das LG Köln (NJW-RR 1994, 909) hatte über einen Fall zu entscheiden, bei dem der Mieter mit dem gestohlenen Strom Kühlschrank und Telefon betrieben hat. Das Landgericht Köln (NJW-RR 1994, 909) hatte über einen Fall zu entscheiden, bei dem der Mieter mit dem gestohlenen Strom Kühlschrank und Telefon betrieben hat.

Verneint wegen Geringfügigkeit hat dies das LG Berlin in einem Fall auf Grund des Umstands, dass die Mieter nur etwa 1 bis 2 mal im Monat den Keller aufsuchten und Licht einschalteten Kosten in einem fast nicht zu berechnenden Umfang (KG Berlin, Urteil vom 18. November 2004 – 8 U 125/04 -, Rn. 10, juris; LG Berlin, Beschluss vom 21. Oktober 2014 – 67 S 304/14 -, Rn. 3, juris).

(…) Nach Maßgabe dessen hat das Gericht bereits durchgreifende Zweifel daran, dass aufgrund des – unstreitigen – Stromdiebstahls eine derart schwerwiegende Störung des Hausfriedens vorliegt, dass alleine dies eine fristlose Kündigung rechtfertigen könnte.

(…)  Zwar ist die entnommene Strommenge sicherlich höher als in dem vom KG Berlin (a.a.O., Kellerlichtfall) entschiedenen Sachverhalt. Das Gericht geht nach dem zugestandenen Vortrag der Beklagten von 10 Ladevorgängen aus.

Mangels konkreter Angaben zum Umfang der Ladevorgänge kann das Gericht den Schaden nur schätzen. Nach den allgemein zugänglichen Quellen zu den Betriebskosten für Plugin Hybridfahrzeuge (Fundstelle: : https://www.greengear.de/ elektroautospluginhybridautosaufladenkostenpreisedaheimzuhause/) geht das Gericht abhängig von den marküblichen Batteriekapazitäten von Plugin Hybridfahrzeugen von 5,7 kWh bis 14,1 kWh von durchschnittlichen Kosten einer Aufladung von 3,48 Euro bis 4,20 Euro aus. Die Mehrkosten betragen dann bei eingeräumten 10 Ladevorgängen zwischen 34,80 Euro und 42,00 Euro insgesamt.

Das Gericht hält einen solchen Schaden wegen Stromentnahme für gering. Dabei orientiert sich das Gericht an der gesetzlichen Wertung von §§ 248c Abs. 3 i.V.m. 248a StGB. Es obliegt dabei der Rechtsprechung, eine Wertgrenze als ´gegriffene Größe´ zu ziehen (Vogel/Brodowski in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 248a StGB, Rn. 6). Die Grenze wird vermehrt bei 50,00 Euro gesehen (Geringwertigkeit: OLG Frankfurt, Beschluss vom 9. Mai 2008 – 1 Ss 67/08 -, juris; Vogel/ Brodkowski a.a.O. m.w.n.), vereinzelt bereits bei 100,00 Euro (im Disziplinarrecht zur Geringfügigkeitsschwelle: Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Urteil vom 5. August 2020 – 22 A 4/15 -, Rn. 59, juris). Nach Maßgabe dessen handelt es sich vorliegend um eine allenfalls geringwertige Stromentnahme, deren etwaige Strafverfolgung einem Antragserfordernis unterläge.

(…) Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Beklagten überkompensatorisch angeboten haben, 600,00 Euro als pauschalen Schadensersatz zu leisten, obgleich ein derart hoher Schaden weder plausibel ist noch im konkreten Fall nachgewiesen werden kann.

Hinzu kommt, dass die Beklagten von Anfang an die unbefugte Stromentnahme eingeräumt, sich entschuldigt und Wiedergutmachung angeboten haben.

Zudem kam es unstreitig nach der ersten Kündigung zu keiner weiteren Stromentnahme.

(…) Unter zusammenfassender Würdigung der vorgenannten Umstände sieht das Gericht den Hausfrieden zwar als gestört an, jedoch nur in sehr geringfügigem Maße. Warum sich die Hausgemeinschaft in der von dem Kläger vorgetragenen Umfange unversöhnlich zeigt, dass selbst ein vom Gericht vorgeschlagener Vergleich das Haus nicht befrieden kann, ist von der Sache her allein mit dem Umfange des Schadens angesichts der angebotenen großzügigen Wiedergutmachung nicht zu erklären.

(…) Auch die von Klägerseite vorgelegten Beschwerde-Emails der weiteren Mieter im Haus können eine beachtliche Störung des Hausfriedens nicht begründen. Aus den vom Kläger vorgelegten E-Mails ergibt sich lediglich die Aufforderung, die unerlaubte Stromentnahme solle untersagt und für die Zukunft unterbunden werden. Außerdem solle das, was die Beklagten bis jetzt verbraucht haben, pauschal angerechnet werden. Das Gericht sieht durch das Angebot der Schadenswiedergutmachung und das weitere Verhalten der Beklagten nach der ersten Kündigung den Hausfrieden aus Sicht der Mitmieter als in vollem Umfange wiederhergestellt an.

Keiner der aufgebrachten Mieter hatte vom Kläger verlangt, dass den Beklagten sofort und fristlos gekündigt werden sollte. Es geht den Mietern nach den vorgelegten E-Mails allein um Schadenswiedergutmachung und Einhaltung der Gemeinschaftsordnung.

(…) Unter diesen Umständen vermutet das Gericht hinter dem Festhalten an der fristlosen Kündigung weitere bislang unbenannte Kündigungsgründe, welche aber mangels Kundgabe vorliegend nicht berücksichtigt werden können. Im Übrigen dient das Kündigungsrecht nicht der Bestrafung der Mieter. Dafür sind allein die Strafverfolgungsbehörden zuständig.

(…) Eine außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund wegen Stromdiebstahls durch den Untermieter ist dann unwirksam, wenn der Hauptmieter nicht abgemahnt wurde und das Untermietverhältnis unverzüglich beendet hat (LG Berlin, Urteil vom 6. Mai 2002 – 34 O 554/01 -, juris). Vor dem Ausspruch einer außerordentlichen fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses wegen sog. Stromdiebstahls ist der Ausspruch einer Abmahnung erforderlich. (LG Berlin, Beschluss vom 21. Oktober 2014 – 67 S 304/14 -, juris). Eine Abmahnung nach § 543 Abs. 3 BGB wegen unbefugter Stromentnahme im Keller ist jedenfalls dann erforderlich, wenn der behauptete Stromverbrauch durch den Mieter so gut wie nicht messbar ist (KG Berlin, Urteil vom 18. November 2004 – 8 U 125/04 -, juris) oder im konkreten Fall nicht nachgewiesen wurde (LG Frankfurt, Urteil vom 1. Juni 2017 – 2-11 S 326/16 -, Rn. 35, juris). Eine außerordentliche fristlose Kündigung des Mietverhältnisses ist hingegen ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt, wenn der Mieter oder ein Dritter, dessen Verhalten sich der Mieter zurechnen lassen muss, seine Wohnung über ein an die von ihm wieder in Betrieb genommene Baustromversorgung angeschlossenes Kabel mit Strom versorgt (AG Wedding, Urteil vom 10. Februar 2015 – 11 C 103/14 -, juris).

(…) Nach Maßgabe dessen ist die erste fristlose Kündigung vom 19.9.2023 in jedem Falle unwirksam, da unstreitig keine vorherige Abmahnung erfolgte. Eine solche war im vorliegenden Fall auch nicht gem. § 543 Abs. 3 Nr. 2 BGB entbehrlich, da auch unter Abwägung der beiderseitigen Interessen keine Gründe für eine sofortige und abmahnungslose Kündigung vorliegen. Denn der eingetretene Schaden liegt unter 50,00 Euro und ist damit als gering zu bezeichnen. Der Aufladevorgang des Plugin-Hybrid PKW ist nicht zu vergleichen mit der massiven Entnahme von Baustrom (AG Wedding a.a.O.). Die Beklagten waren zudem von Anfang an einsichtig, haben ihr Verhalten wunschgemäß eingestellt und sind zur Schadenwiedergutmachung bereit.

(…) Die ordentliche Kündigung vom 19.09.2023 ist ebenfalls nicht wirksam geworden. Denn aus den vorgenannten Gründen kann eine mehr als unerhebliche Pflichtverletzung im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB, die zu einer fristgemäßen Kündigung berechtigen würde, gerade nicht festgestellt werden. Der durch das unerlaubte Verhalten der Beklagten eingetretene Schaden ist allenfalls gering und liegt unter 50,00 Euro. Die Beklagten wollen den Schaden wieder gutmachen und es besteht keine Wiederholungsgefahr.

(…) Die mit der Klageschrift ausgesprochene fristlose Prozesskündigung vom 27.10.2023 ist nicht wirksam geworden. Denn es liegt seit der als erste Abmahnung auszulegenden Kündigung vom 19.09.2023 kein weiterer nachweisbarer Verstoß der Beklagten gegen ihre Pflichten aus dem Mietverhältnis vor. Unstreitig sind alleine die unerlaubten Stromaufladungen vor dem 19.09.2023. Danach hat es derartige Ladevorgänge nicht mehr geben. Solche sind weder vorgetragen noch vom Kläger in der Prozesskündigung mitgeteilt worden.

(…) Auch die mit der Klage ausgesprochene weitere ordentliche Prozesskündigung vom 27.10.2023 ist nicht wirksam geworden. Die Kündigung wurde dabei wieder auf denselben Kündigungsgrund wie die Kündigung vom 19.09.2023 gestützt. Diese begründen jedoch nach dem zuvor Ausgeführten keine Kündigung, da keine nicht unerhebliche Mieterpflichtverletzung der Beklagten vorliegt, § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB.“

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Autor(en)


Holger Pape
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Steuerrecht

Mail: erfurt@etl-rechtsanwaelte.de


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