Fristlose Kündigung eines Kochs wegen Kirchenaustritts unwirksam
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Stuttgart hält die Kündigung eines Kochs, der in einer evangelischen Kindertagesstätte beschäftigt ist, wegen eines von ihm zuvor erklärten Kirchenaustritts für unwirksam (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 10.02.2021 – 4 Sa 27/20).
In der Pressemitteilung des Gerichts v. 10.02.2021 heißt es:
„Die außerordentliche Kündigung eines Kochs in einer evangelischen Kindertagesstätte wegen Kirchenaustritts ist unwirksam. Die beklagte Evangelische Gesamtkirchengemeinde Stuttgart betreibt ca. 51 Kindertageseinrichtungen mit rund 1.900 Kindern. Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1995 als Koch in einer Kita beschäftigt. Der Kläger erklärte im Juni 2019 seinen Austritt aus der evangelischen Landeskirche. Nachdem die Beklagte von dem Austritt Kenntnis erlangt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich und fristlos mit Schreiben vom 21. August 2019. Die Beklagte sieht ihr Handeln und Verständnis vom besonderen Bild der christlichen Dienstgemeinschaft geprägt. Mit dem Kirchenaustritt verstoße der Kläger deshalb schwerwiegend gegen seine vertraglichen Loyalitätspflichten. Der Kläger hat vorgetragen, dass sich sein Kontakt mit den Kindern auf die Ausgabe von Getränken beschränkt habe. Auch mit dem pädagogischen Personal in der Kita habe er nur alle zwei Wochen in einer Teamsitzung Kontakt gehabt, wo es um rein organisatorische Probleme gegangen sei. Das Arbeitsgericht Stuttgart hat mit Urteil vom 12. März 2020 (22 Ca 5625/19) die Kündigung der Beklagten für unwirksam erklärt. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte am 5. Mai 2020 Berufung eingelegt mit der sie weiterhin die Abweisung der Kündigungsschutzklage verfolgt. Das Landesarbeitsgericht hat wie das Arbeitsgericht Stuttgart die Kündigung der Beklagten für unwirksam erachtet und deshalb die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht schloss sich der Begründung des Arbeitsgerichts an. Die Loyalitätserwartung der Beklagten, dass der Kläger nicht aus der evangelischen Kirche austrete, stelle keine wesentliche und berechtigte Anforderung an die persönliche Eignung des Klägers dar.“
Ergänzende Hinweise
Die Entscheidung der Landesarbeitsgerichts liegt auf der Linie anderer Entscheidungen der Arbeitsgerichtsbarkeit aus jüngerer Zeit, insbesondere entspricht es dem Urteil des BAG im „Chefarzt-Fall“ (BAG, Urt. v. 20.02.2019 – 2 AZR 746/14). Dort war dem Chefarzt eines katholischen Krankenhauses wegen dessen Wiederverheiratung gekündigt worden. In einem länger als zehn Jahre andauernden Rechtsstreit, der unter anderem vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verhandelt wurde, unterlag der kirchliche Arbeitgeber ebenso wie im aktuellen Fall des LAG Stuttgart.
Letztlich sind für Fälle vergleichbarer Natur die Grundsätze maßgeblich, die der EuGH im Chefarzt-Fall aufgestellt hat (EuGH, Urt. v. 11.09.2018 – C-68/17). Danach gilt:
„1. Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass
– zum einen eine Kirche oder eine andere Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht und die eine in Form einer privatrechtlichen Kapitalgesellschaft gegründete Klinik betreibt, nicht beschließen kann, an ihre leitend tätigen Beschäftigten je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit unterschiedliche Anforderungen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne dieses Ethos zu stellen, ohne dass dieser Beschluss gegebenenfalls Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein kann, damit sichergestellt wird, dass die in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie genannten Kriterien erfüllt sind, und
– zum anderen bei Anforderungen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne des genannten Ethos eine Ungleichbehandlung zwischen Beschäftigten in leitender Stellung je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit nur dann mit der Richtlinie im Einklang steht, wenn die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine berufliche Anforderung ist, die angesichts des Ethos der in Rede stehenden Kirche oder Organisation wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, was das nationale Gericht zu prüfen hat.
- Ein mit einem Rechtsstreit zwischen zwei Privatpersonen befasstes nationales Gericht ist, wenn es ihm nicht möglich ist, das einschlägige nationale Recht im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 auszulegen, verpflichtet, im Rahmen seiner Befugnisse den dem Einzelnen aus den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts wie insbesondere dem nunmehr in Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegten Verbot der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung erwachsenden Rechtsschutz zu gewährleisten und für die volle Wirksamkeit der sich daraus ergebenden Rechte zu sorgen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet lässt.“
Zusammengefasst: Innerhalb bestimmter, durch die Rechtsprechung definierter Grenzen dürfen kirchliche Arbeitgeber von ihren Beschäftigten Loyalität verlangen und demzufolge Verletzungen dieser Loyalitätspflicht auch mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses sanktionieren. Dies gilt aber nicht, wenn die Loyalitätserwartung des Arbeitgebers keine wesentliche und berechtigte Anforderung an die persönliche Eignung des Klägers darstellt. Dem Koch im Kindergarten wegen Kirchenaustritts zu kündigen geht demnach grundsätzlich nicht. Heiratet die Erzieherin einer Kindertagesstätte, die den Kindern Religionsunterricht erteilt, ein weiteres Mal, kann das schon anders aussehen. In letzterem Fall mag sich die Erzieherin einen religiös nicht gebundenen Arbeitgeber suchen.