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Ersatz fiktiver Reparaturkosten nach einem Verkehrsunfall

Zur Schadengeringhaltungspflicht im Hinblick auf die Wahl einer nicht markengebundenen Werkstatt
Ersatz fiktiver Reparaturkosten nach einem Verkehrsunfall
Aktuelles
03.07.2020

Ersatz fiktiver Reparaturkosten nach einem Verkehrsunfall

Zur Schadengeringhaltungspflicht im Hinblick auf die Wahl einer nicht markengebundenen Werkstatt

Das OLG Düsseldorf hatte über die einem nach einem Verkehrsunfall Geschädigten zustehenden Schadensersatzansprüche zu entscheiden (OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.09.2019 – I-1 U 84/19). Dabei ging es vor allem um die Frage, ob der Geschädigte einen Anspruch auf Ersatz der in einer markengebundenen Fachwerkstatt anfallenden Reparaturkosten besitzt. In den Entscheidungsgründen heißt es dazu:

Der Kläger kann den Ersatz fiktiver Reparaturkosten wie folgt geltend machen:

a) Der Geschädigte hat in der Regel einen Anspruch auf Ersatz der in einer markengebundenen Fachwerkstatt anfallenden Reparaturkosten. Dieser Anspruch ist unabhängig davon, ob der Geschädigte das Fahrzeug tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt. Allerdings muss der Geschädigte nach dem in § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB enthaltenen Wirtschaftlichkeitsgebot im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten hierdurch beeinflussen kann. Dem entspricht der Geschädigte im Allgemeinen im Reparaturfall, wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legt, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. nur BGH, Urteil vom 29. April 2003 – VI ZR 398/02 -, BGHZ 155, 1-8). Wählt der Geschädigte den vorbeschriebenen Weg der Schadensberechnung und genügt er damit bereits dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, so begründen besondere Umstände, wie das Alter des Fahrzeuges oder seine Laufleistung, keine weitere Darlegungslast des Geschädigten (BGH, Urteil vom 23. Februar 2010 – VI ZR 91/09 -, Rn. 8 – 9, juris).

b) Jedoch muss sich der Geschädigte im Hinblick auf seine Schadensgeringhaltungspflicht, § 254 II 1 BGB, auf die günstigere Reparatur in einer mühelos und ohne weiteres zugänglichen freien Fachwerkstatt verweisen lassen, wenn der Schädiger darlegt und ggf. beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt im Qualitätsstandard der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er ggf. vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen (BGH, Urteil vom 25. September 2018 – VI ZR 65/18 -, Rn. 6, juris).

aa) Insoweit kann dahinstehen, ob – wie das Landgericht als erwiesen angesehen hat – die Beklagten den Kläger auf die Werkstatt F.-M. G. in Köln verweisen könnten, weil diese die von den Beklagten genannten günstigen Konditionen mit Stundenverrechnungssätze in Höhe von 95,00 € für Reparaturarbeiten und in Höhe von 98,00 € für Lackierarbeiten zzgl. 45 % für Lackiermaterial tatsächlich auch für alle Kunden anbietet oder ob sich in dieser Preisgestaltung vertragliche Vereinbarungen mit Haftpflichtversicherern niederschlagen.

bb) Denn die zwischen dem Wohnort des Klägers und der Werkstatt F.-M. G. bestehende Entfernung von knapp 38 km ist zu weit, als dass diese Werkstatt für den Kläger mühelos und ohne weiteres zugänglich wäre.

Die Erreichbarkeit der Werkstatt wird durch Faktoren wie die Entfernung, die Fahrzeiten und sonstige konkrete örtliche Gegebenheiten – so etwa die Erreichbarkeit von Alternativwerkstätten – jeweils anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls bestimmt (BGH, Urteil vom 28. April 2015 – VI ZR 267/14 -, Rn. 14, juris). Die auch vom Landgericht angeführten Entscheidungen nehmen etwa eine mühelose Erreichbarkeit bei einer Entfernung von etwa 21 km – bei einer nicht vorhandenen markengebundenen Fachwerkstatt in einer deutlich geringeren Entfernung zum Wohnort (BGH, Urteil vom 23. Februar 2010 – VI ZR 91/09 -, Rn. 12, juris) – an oder stellen auf den Vorteil eines kostenlosen Hol- und Bringservices ab (Senat, Urteil vom 27. März 2012 – I-1 U 139/11 -, Rn. 59, juris: 10 – 15 km, LG Saarbrücken, Urteil vom 20. Februar 2015 – 13 S 197/14 -, Rn. 12, juris: ca. 27 km; LG Frankenthal, Urteil vom 28. August 2013 – 2 S 87/13 -, Rn. 11, juris: 29,5 km). Kriterium für die Beurteilung der Zumutbarkeit ist auch die Entfernung zwischen dem Wohnort des Geschädigten und einer markengebundenen Fachwerkstatt oder der zusätzliche Zeitaufwand für den Transport und die Gefahr zusätzlicher Schäden bei längeren Transportstrecken. Von Bedeutung ist auch der dem Geschädigten zugemutete Aufwand bei der Geltendmachung etwaiger Nacherfüllungsansprüche im Rahmen der Gewährleistung bei mangelhaften Reparaturleistungen (BGH, Urteil vom 28. April 2015 – VI ZR 267/14 -, Rn. 14, juris).

Die von den Beklagten benannte Werkstatt F.-M. G. liegt nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts über 37 km vom Wohnort des Klägers entfernt (dies bestätigt auch eine Abfrage bei google.com/maps). Dagegen liegt die im Schadensgutachten ausgewiesene Reparaturwerkstatt, die M. H. G., in Grevenbroich und damit im Wohnort des Klägers (Bl. 10 d.A.). Einen für den Kläger kostenlosen Hol- und Bringservice bietet die Werkstatt F.-M. G. nicht an, weil der Wohnort des Klägers außerhalb eines Radius von 20 km liegt, in dem der Hol- und Bringservice dem Zeugen zufolge kostenlos angeboten wird. Im Falle des Klägers fielen nach Schätzung des Zeugen I. ca. 1,5 Karosseriestundensätze und damit ca. 142,50 € netto an. Über die Autobahnen BAB 46 und 57 beträgt die Fahrzeit bei regulärem Verkehr ca. 30 Minuten.

In Anbetracht dieser Gesamtumstände kann nicht mehr von einer mühelosen Erreichbarkeit der Werkstatt F.-M. G. für den Kläger ausgegangen werden. Die Entfernung von nahezu 38 km liegt 80 % über dem Wert von 21 km, die der Bundesgerichtshof in der vorzitierten Entscheidung auch deswegen als mühelos erreichbar angesehen hat, weil eine geringere Entfernung zu einer markengebundenen Werkstatt nicht feststellbar war. Hingegen liegt die im Schadensgutachten des Klägers benannte markengebundene Werkstatt nur 6 km und 9 Autominuten von seinem Wohnort entfernt. Die Fahrzeit von ca. 30 Minuten lässt sich nur erreichen, wenn die Autobahnen frei sind, was im morgend- und nachmittäglichen Berufsverkehr nach den eigenen Erfahrungen des Senats häufig nicht der Fall ist. Der Transport des Fahrzeugs über fast 38 km ist auch kein unerheblicher Aufwand, wenn sich in der unmittelbaren Umgebung zahlreiche andere Werkstätten und vor allem eine markengebundene Mercedes-Werkstatt befinden. Zu beachten ist schließlich, dass der Kläger im Falle einer mangelhaften Ausführung der Reparatur weitere Zeit und Kosten investieren würde, um die notwendigen Nachbesserungsarbeiten durchführen zu lassen. Eine zumutbare Alternative ist dem Kläger daher durch den Verweis auf die Möglichkeit, sein Fahrzeug durch die F. M. G. in Köln reparieren zu lassen, nicht aufgegeben worden.

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