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Die sehr lange zurückliegende Vorbeschäftigung von nur sehr kurzer Dauer (§ 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG)

Die sehr lange zurückliegende Vorbeschäftigung von nur sehr kurzer Dauer (§ 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG)
Aktuelles
22.07.2022

Die sehr lange zurückliegende Vorbeschäftigung von nur sehr kurzer Dauer (§ 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG)

Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist bei der sachgrundlosen Beschäftigung ein sog. Vorbeschäftigungsverbot (auch Verbot der Zuvorbeschäftigung genannt) zu beachten. Dazu hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) erneut entschieden (BAG, Urt. v. 15.12.2021 – 7 AZR 530/20, NZA 2022, 774). Bei einer ca. 13 Jahre zurückliegenden Vorbeschäftigung von acht Wochen erkennt das BAG einen Ausnahme vom Vorbeschäftigungsverbot. In den Entscheidungsgründen heißt es:

„(a) Das Bundesverfassungsgericht hat nicht näher ausgeführt, wann eine Vorbeschäftigung ´sehr lang´ zurückliegt, ´ganz anders´, geartet oder ´von sehr kurzer´ Dauer war. Bei der Anwendung und Konkretisierung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe bedarf es einer Würdigung des Einzelfalls (BAG 21. August 2019 – 7 AZR 452/17 – Rn. 23, BAGE 167, 334; 17. April 2019 – 7 AZR 323/17 – Rn. 22 mwN; 23. Januar 2019 – 7 AZR 733/16 – Rn. 24 mwN, BAGE 165, 116).

Die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien enthalten Wertungsspielräume (´unzumutbar´, ´sehr lang´ zurückliegend, ´ganz anders´, geartet, ´von sehr kurzer´ Dauer). Grundsätzlich obliegt diese Bewertung den Gerichten der Tatsacheninstanzen (BAG 21. August 2019 – 7 AZR 452/17 – Rn. 27, BAGE 167, 334), denen dabei ein Beurteilungsspielraum zukommt (BAG 16. September 2020 – 7 AZR 552/19 – Rn. 21). Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, ob die Anwendung des Verbots des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG den Parteien wegen der Erfüllung dieser Kriterien unzumutbar ist, unterliegt in der Revisionsinstanz nur einer eingeschränkten Nachprüfung darauf, ob der Rechtsbegriff selbst verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Umstände bei der Würdigung übersehen wurden (BAG 16. September 2020 – 7 AZR 552/19 – aaO; vgl. zum Prüfungsmaßstab bei unbestimmten Rechtsbegriffen BAG 24. Oktober 2018 – 7 ABR 23/17 – Rn. 21 mwN).

(b) Danach hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Anwendung des Verbots der sachgrundlosen Befristung sei vorliegend für die Parteien nicht zumutbar, einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

(aa) Für das Landesarbeitsgericht war entscheidend, dass die Vorbeschäftigung des Klägers bei der Beklagten im Sommer 2004 sehr kurz gewesen sei und diesem Kriterium Gewicht zukomme, weil sie zwar nicht sehr lang, aber immerhin lang zurückgelegen habe. Bei einer gemeinsamen Wertung beider Kriterien sei anzunehmen, dass die Anwendung von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG in diesem Fall für beide Parteien unzumutbar gewesen sei.

(bb) Damit hat das Landesarbeitsgericht weder den Rechtsbegriff der Unzumutbarkeit noch jenen der sehr kurzen Beschäftigung verkannt.

(aaa) Der Senat geht einerseits davon aus, dass ein Arbeitsverhältnis, das die Länge der Höchstdauer eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG von zwei Jahren hat, keinesfalls als sehr kurz anzusehen ist (vgl. BAG 16. September 2020 – 7 AZR 552/19 – Rn. 24; 17. April 2019 – 7 AZR 323/17 – Rn. 27; 23. Januar 2019 – 7 AZR 161/15 – Rn. 25). In diesem Zusammenhang hat der Senat darauf hingewiesen, dass ein Arbeitnehmer gemäß § 1 Abs. 1 KSchG bereits nach Ablauf von sechs Monaten Kündigungsschutz erwirbt (BAG 17. April 2019 – 7 AZR 323/17 – Rn. 27). Auch eine Vorbeschäftigung von einer Dauer von mehr als sechs Monaten vermag daher – unabhängig vom Vorliegen anderer Umstände – nicht als sehr kurz eingeschätzt zu werden. Um derartige Zeiträume handelt es sich im vorliegenden Fall nicht.

(bbb) Der Senat hat andererseits bereits mehrfach auf die Vorschrift des § 622 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 BGB Bezug genommen (vgl. BAG 17. April 2019 – 7 AZR 323/17 – Rn. 27; 23. Januar 2019 – 7 AZR 161/15 – Rn. 25). Mit einer vorübergehenden Aushilfe kann nach dieser Vorschrift einzelvertraglich keine kürzere als die in Abs. 1 genannte Kündigungsfrist vereinbart werden, wenn das Arbeitsverhältnis über die Zeit von drei Monaten hinaus fortgesetzt wird. Der Gesetzgeber sieht danach ein Arbeitsverhältnis von höchstens drei Monaten Dauer als so kurz an, dass ein schwächerer Bestandsschutz gerechtfertigt erscheint. Der Senat hat des Weiteren auf die sozialversicherungsrechtliche Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV Bezug genommen (vgl. zu § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV in der bis zum 31. Dezember 2005 geltenden Fassung BAG 12. Juni 2019 – 7 AZR 429/17 – Rn. 31). Nach der aktuell geltenden Fassung der Norm liegt eine zeitgeringfügige Beschäftigung ua. vor, wenn die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens drei Monate oder 70 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 450,00 Euro im Monat übersteigt. Auch hier verknüpft der Gesetzgeber einen geringeren (sozialversicherungsrechtlichen) Schutz des Beschäftigten mit einem höchstens dreimonatigen Bestand des Beschäftigungsverhältnisses (vgl. zu § 8 Abs. 1 SGB IV als Ausnahmevorschrift, die bestimmte Beschäftigte weitgehend vom Sozialversicherungsschutz ausschließt zB BSG 24. November 2020 – B 12 KR 34/19 R – Rn. 21 mwN, BSGE 131, 99). Eine Dauer des Arbeitsverhältnisses von höchstens drei Monaten stellt im Vergleich zur zulässigen Gesamtdauer nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG von 24 Monaten gerade 1/8 dar. Insofern ist es nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht das im Sommer 2004 für acht Wochen bestehende Arbeitsverhältnis der Parteien als ein solches von sehr kurzer Dauer angesehen hat.

(ccc) Zu Unrecht meint der Kläger, dem Urteil des Senats vom 12. Juni 2019 (BAG 12. Juni 2019 – 7 AZR 429/17 – Rn. 32) entnehmen zu können, selbst eine Vorbeschäftigung von nur sechswöchiger Dauer könne die Unanwendbarkeit von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht bedingen. Der Senat hat lediglich – vor dem Hintergrund, dass das Landesarbeitsgericht in dem seinerzeit zu entscheidenden Streitfall die Nichtanwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG in verfassungskonformer Normauslegung gar nicht geprüft hatte – ausgeführt, allein die sechswöchige Dauer eines zuvor bestehenden Arbeitsverhältnisses schließe dessen Berücksichtigung als Vorbeschäftigung iSv. § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht ´zwingend´ aus. Nach den Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts für das verfassungskonforme Verständnis von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG kann eine tatrichterliche Würdigung im Einzelfall ergeben, dass allein die sehr kurze Dauer des früheren Arbeitsverhältnisses zur Unzumutbarkeit der Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG für ein sachgrundlos befristetes Folgearbeitsverhältnis führt. Dies folgt schon daraus, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung die drei Fallgruppen der Unzumutbarkeit ausdrücklich alternativ (´oder´) und nicht kumulativ (´und´) aufgezeigt hat (vgl. BVerfG 6. Juni 2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 – Rn. 63, BVerfGE 149, 126; vgl. auch Spielberger NJW 2020, 22, 24 in kritischer Auseinandersetzung mit der Rspr. des Senats). Entsprechend hat der Senat in einem Fall die Unanwendbarkeit des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG im Wesentlichen auf die lange Zeitdauer von 22 Jahren gestützt, die zwischen den beiden Arbeitsverhältnissen lag, und nur ergänzend festgestellt, dass keine besonderen Umstände erkennbar seien, die die Anwendung des Verbots dennoch gebieten könnten (BAG 21. August 2019 – 7 AZR 452/17 – Rn. 24 f., BAGE 167, 334).

(ddd) Entgegen der Ansicht des Klägers bedurfte es keiner weiteren Feststellungen in Bezug auf sein legitimes Interesse an einer auch nur befristeten Beschäftigung und das legitime Flexibilisierungsinteresse der Beklagten. Diese typischerweise bestehenden Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern sind nach dem Bundesverfassungsgericht der Anlass für die Prüfung der Unzumutbarkeit des Verbots (vgl. BVerfG 6. Juni 2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 – Rn. 62, BVerfGE 149, 126) und müssen nicht im Einzelfall gesondert festgestellt werden (BAG 21. August 2019 – 7 AZR 452/17 – Rn. 27, BAGE 167, 334; teilw. aA wohl Lembke/Tegel NZA 2019, 1029, 1034).

(cc) Das Landesarbeitsgericht hat auch weder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt noch wesentliche Umstände bei der Würdigung übersehen.

(aaa) Insbesondere ist seine Annahme, es sei zu berücksichtigen, dass die vorangegangene (sehr kurze) Tätigkeit bereits 13 Jahre zurücklag, nicht zu beanstanden. Zwar trifft es zu, dass gerade bei der Fallgruppe der sehr kurzen Vorbeschäftigung zu prüfen ist, ob es sich angesichts besonderer Umstände von vornherein verbietet, eine Nichtanwendung von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG anzunehmen. Dies betrifft vor allem die Anzahl der Vorbeschäftigungen. Unter Berücksichtigung des Normzwecks des Ausschlusses von Kettenbefristungen in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer erscheint es beispielsweise ausgeschlossen, von einer Nichtanwendbarkeit des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nach mehreren kurzzeitigen Vorbeschäftigungen auszugehen. Dies bedarf aber vorliegend keiner Prüfung, da der Kläger mit der Beklagten vor 2017 nur ein Arbeitsverhältnis begründet hatte.

(bbb) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auch die Zeitspanne zwischen Vorbeschäftigungsverhältnis und Abschluss des sachgrundlos befristeten Vertrags in seine Gesamtbetrachtung mit einbezogen. Diesem Umstand kann besondere Bedeutung zukommen. So ist etwa der unmittelbare Anschluss eines sachgrundlos befristeten Vertrags an einen zunächst unbefristet geschlossenen Arbeitsvertrag unzulässig. Die Möglichkeit, ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zB zwei Wochen nach Vertragsbeginn sachgrundlos zu befristen, würde den vom Gesetzgeber mit der Regelung in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG verfolgten Zweck, das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten, gefährden (BAG 12. Juni 2019 – 7 AZR 548/17 – Rn. 20). Entsprechende Umstände sind vorliegend nicht erkennbar. Es liegt innerhalb des Beurteilungsspielraums der Tatsachengerichte, die Unzumutbarkeit der Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG anzunehmen, wenn eine sehr kurze Vorbeschäftigung bei Abschluss des sachgrundlos befristeten Vertrags bereits 13 Jahre zurücklag. Anderes folgt nicht aus der Entscheidung des Senats vom 12. Juni 2019 (BAG 12. Juni 2019 – 7 AZR 429/17 – Rn. 32). In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt lag die Vorbeschäftigung nur etwa neun Jahre zurück. Ausgehend von der Dauer eines typischen Erwerbslebens von 40 Jahren (vgl. BAG 12. Juni 2019 – 7 AZR 429/17 – Rn. 26; 18. März 2014 – 3 AZR 69/12 – Rn. 27, BAGE 147, 279) liegt im vorliegenden Fall zwischen dem Ende des ersten Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten und dem Abschluss des befristeten Arbeitsverhältnisses mehr als ein Viertel des Erwerbslebens des Klägers.

(ccc) Ohne revisiblen Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht der Beschäftigung des Klägers als Leiharbeitnehmer im Betrieb der Beklagten im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit der Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG keine Bedeutung beigemessen. Das in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG geregelte Verbot der sachgrundlosen Befristung ist auf eine Vorbeschäftigung bei demselben Vertragsarbeitgeber beschränkt (vgl. BAG 12. Juni 2019 – 7 AZR 429/17 – Rn. 34).“

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Dr. Stefan Müller-Thele
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