Bezeichnung einer Transfrau als „Mann“ ist eine unzulässige Meinungsäußerung
Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat sich mit der Bezeichnung einer Transfrau als Mann befasst (OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 15.02.2024 – 16 U 93/23, NJW 2024, 2047). In den Gründen des Beschlusses heißt es:
„Auch im Lichte des weiteren Vortrags der Berufung stellt die Bezeichnung der Verfügungsklägerin als ´Mann´ sowohl unter Berücksichtigung des Satzes, in dem die Äußerung von der Autorin erfolgt, als unter Beachtung des Gesamtkontexts des Beitrags eine Meinungsäußerung der Autorin dar, durch die Klägerin herabgesetzt wird.
Für die vom Senat vorgenommene Sinndeutung und die Abgrenzung der Äußerungstypen kommt es entgegen der Berufung weder darauf an, wie der Äußernde seine Aussage gemeint hat oder verstanden wissen wollte, noch darauf, wie der von der Äußerung Betroffene diese subjektiv aufgefasst hat. Abzustellen ist allein auf den Verständnishorizont des unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums der jeweiligen Publikation, und zwar unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs und Kontextes, der ´Eigengesetzlichkeiten´ des jeweiligen Übertragungsmediums sowie der erkennbaren Begleitumstände der jeweiligen Äußerung (vgl. Korte, Praxis des Presserechts, 2. Aufl. § 2 Rn 162 m.w.N.; BGH Urteil vom 10.04.2018, VI ZR 396/16, BeckRS 2018, 5861 ´Bio-Hühnerställe´; BVerfG Beschluss vom 06.02.2010, 1 BvR 371/04, NJW 2010, 2103 ´Ausländer-Rück-Führung´).
Gemessen daran, ist entgegen der Berufung die streitige Motivation der Autorin hinsichtlich der Verwendung der Bezeichnung als ´Mann´ unmaßgeblich. Allein maßgeblich ist, wie der Leser diese Bezeichnung im Kontext versteht. Wie bereits im Beschluss vom 21.12.2023 dargelegt, erhält unter Berücksichtigung der Struktur des Satzes und der dort verwendeten stilistischen Mittel, in dem die Bezeichnung ´Mann´ verwendet wird, für den Leser diese Bezeichnung eine herabwürdigende Bedeutung. Dies wird insbesondere für den Leser bewirkt durch die im Verlauf des Beitrags erfolgte gewisse rhetorische Steigerung der von der Autorin für die Klägerin verwendeten Bezeichnungen, die in dem Schlusssatz in der Formulierung ´Mann´ gipfelt. Durch die überdies in dem Satz erfolgte Gegenüberstellung der jungen Doktorandin, die nach Auffassung der Autorin das Opfer ist, und dem über 60-jährigen ´Mann´, der nach der Auffassung der Autorin die ihm von der Stiftung gewährte finanzielle Unterstützung nicht verdient hatte, und in den unmittelbaren inhaltlichen Zusammenhang mit einer Beteiligung am ´Frauenhass´ gerückt wird, wird eine deutlich herabsetzende Bedeutung dieses Begriffes im konkreten Zusammenhang für den unvoreingenommenen Leser vermittelt.
Ein bewusster Einsatz der Bezeichnung ´Mann´ für die Verfügungsklägerin durch die Autorin darf überdies unabhängig von den obigen Auslegungserwägungen unterstellt werden, da eine versehentliche Verwendung aufgrund des Umstandes, dass der Autorin die Lebensgeschichte und das biologische Geschlecht der Klägerin ausweislich des Beitrags bekannt war, ausgeschlossen werden kann.
(…) Auch unter Berücksichtigung der weiteren Ausführungen der Berufung hält der Senat an seiner Auffassung fest, dass es sich bei der streitgegenständlichen Äußerung um eine Meinungsäußerung handelt. Für den verständigen Leser stellt der Satz, in dem die beanstandete Bezeichnung der Verfügungsklägerin als ´Mann´ erfolgt, eine einheitliche wertende Zusammenfassung der in dem Beitrag ausgedrückten Kritik der Autorin an den Ereignissen um die Anfeindungen, denen sich die Beruf1 A ausgesetzt sehe, der damit verbundenen rechtlichen Auseinandersetzung und dem Umstand der Kostenübernahme der Verteidigungskosten der Verfügungsklägerin durch die Stiftung, dar. Nach dem zugrunde zu legenden Leserverständnis ist die von der Berufung vorgenommene Trennung des Satzes in eine zusammenfassende Kritik zum Vorgehen der Stiftung und eine Tatsachenbehauptung über das biologische Geschlecht der Verfügungsklägerin nicht ersichtlich. Die Bezeichnung der Verfügungsklägerin als ´Mann´ ist in den Satz sowohl grammatikalisch als auch im Sinngehalt vollständig eingebettet und für den Leser nicht als eigenständige Äußerung zum Geschlecht der Klägerin erkennbar. Zwar ist der Berufung zuzugeben, dass die Formulierung dieses Satzes an den Einleitungssatz angelehnt ist mit dem Unterschied, dass in der Einleitung die Verfügungsklägerin als ´Transfrau´ und im Schluss als ´Mann´ bezeichnet wird. Das durchaus in Artikeln übliche Aufgreifen des Eingangs im Schlussteil ändert jedoch nichts daran, dass der Satz an sich vom Leser als eine einheitliche Äußerung verstanden wird. Auch im Einleitungssatz wird die Bezeichnung als ´Transfrau´ nicht als eigenständige Tatsachenbehauptung über die Verfügungsklägerin verstanden, sondern vielmehr als eine begriffliche Umschreibung der Verfügungsklägerin, ohne ihren Namen nennen zu müssen, gleich der dort ebenfalls verwendeten anonymisierten Umschreibung der Beruf1 A als ´eine junge Doktorandin´, um die es als Protogonisten in den von der Autorin im Beitrag kritisierten Ereignissen geht.
(…) Diese Meinungsäußerung ist entgegen der Auffassung der Berufung auch unzulässig. Zwar ist der Berufung zuzugeben, dass grundsätzlich auch scharfe und abwertende Äußerungen von der Meinungsfreiheit geschützt sein können, selbst wenn der Betroffene sie als ehrschmälernd empfindet. Allerdings ist im Rahmen der bei ehrverletzenden Äußerungen vorzunehmenden Gesamtabwägung der widerstreitenden Interessen vorliegend zu berücksichtigen, dass es sich bei der Bezeichnung der Klägerin als ´Mann´ um einen Eingriff in einen zentralen Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin handelt, was zu ihren Gunsten besonders zu gewichten ist. Denn mit dieser Bezeichnung wird ihr ihre seit Jahrzehnten nach außen gelebte geschlechtliche Identität abgesprochen, was von ihr nicht hinzunehmen ist.“