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Außerordentliche Kündigung eines Vorstandsanstellungsvertrages / Nachschieben von Kündigungsgründen / Verdachtskündigung

Außerordentliche Kündigung eines Vorstandsanstellungsvertrages / Nachschieben von Kündigungsgründen / Verdachtskündigung
Aktuelles
05.05.2020

Außerordentliche Kündigung eines Vorstandsanstellungsvertrages / Nachschieben von Kündigungsgründen / Verdachtskündigung

Das Oberlandesgericht (OLG) München hat zu einer Reihe von Fragen im Zusammenhang der Kündigung eines Vorstandsanstellungsvertrages durch eine AG entschieden (OLG München, Urt. v. 04.12.2010 – 7 U 2464/18 – DB 2020, 784).

In den Entscheidungsgründen heißt es zur Notwendigkeit des Vorliegens eines wichtigen Grundes nach § 626 Abs. 1 BGB:

Dahin stehen können in diesem Zusammenhang die (aus der Sicht des Senats zutreffenden) Ausführungen des Landgerichts zu den Formalien der Kündigungserklärung sowie die Frage der Einhaltung der Kündigungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB (bei der die Ausführungen des Landgerichts die Problematik jedenfalls nicht erschöpfen würden). Denn jedenfalls fehlt es an einem Kündigungsgrund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB.

I. Nach der genannten Vorschrift kann ein befristetes Dienstverhältnis dann gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, die es unter Abwägung der Interessen beider Parteien dem Kündigenden unzumutbar machen, das Dienstverhältnis bis zum Eintritt des Befristungstermins fortzusetzen. Dieser Obersatz entspricht einem allgemeinen Rechtsgedanken, wie er etwa auch in den §§ 314, 543 BGB, 89 a HGB zum Ausdruck kommt. Die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Dienstverhältnisses kann sich dabei insbesondere dann ergeben, wenn das wechselseitige Vertrauen zwischen den Parteien durch einen vom Kündigungsempfänger zu verantwortenden Umstand so weit zerstört ist, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht mehr möglich erscheint.

Vor diesem Hintergrund teilt der Senat die Einschätzung des Landgerichts, dass in Fällen wie dem vorliegenden, wo Dienstverhältnisse zu einer Muttergesellschaft und einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft bestehen, Pflichtverletzungen des Klägers gegenüber der einen Gesellschaft auch Kündigungsgründe für das Dienstverhältnis gegenüber der anderen darstellen können. Denn insoweit ist vorstellbar, dass das Vertrauen des zuständigen Organs (hier des jeweiligen Aufsichtsrats) der einen Gesellschaft in den Dienstnehmer auch durch Pflichtverletzungen gegenüber der anderen erschüttert wird, zumal Mutter- und Tochtergesellschaft über ihre jeweiligen Vermögensinteressen (nicht nur rechtlich, sondern auch) wirtschaftlich verbunden sind.

II. Vor diesem Hintergrund trägt der vom Landgericht herangezogene Kündigungsgrund die außerordentliche Kündigung des Klägers nicht.

Weiter führt das OLG zur Möglichkeit des Nachschiebens von Kündigungsgründen sowie zum möglichen Ausspruch einer Verdachtskündigung wie folgt aus:

1. Massive Bedenken bestehen im vorliegenden Fall schon aus grundsätzlichen dogmatischen Erwägungen gegen das Nachschieben von Kündigungsgründen, von denen die Beklagte (bzw. ihr für die Rechtsbeziehungen zum Kläger zuständiger Aufsichtsrat) erst Anfang 2019 erfahren haben will, also zu einer Zeit, als das Dienstverhältnis zwischen den Parteien jedenfalls durch Fristablauf schon beendet war.

a) Zwar ist anerkannt, dass Kündigungsgründe, die vor dem Kündigungszeitpunkt (hier: 16.8.2016) entstanden sind, aber erst nach dem Kündigungszeitpunkt bekannt werden, zur Begründung der Kündigung ohne Rücksicht auf die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nachgeschoben werden können (BAG, Urteil vom 18.6.2015 – 2 AZR 256/14, Rz. 46). Dies gilt jedenfalls bei unbefristeten Dienstverhältnissen unbeschränkt.

Vorliegend ist jedoch zu beachten, dass das Dienstverhältnis der Parteien auf den 30.9.2017 befristet war. Obersatz für die außerordentliche Kündigung ist, dass dem Kündigenden das Festhalten am Vertrag bis zur ordentlichen Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zuzumuten ist, insbesondere weil das nötige Vertrauen in den Kündigungsgegner zerstört ist (vgl. oben I.). Dies rechtfertigt es, beim unbefristeten Dienstvertrag Kündigungsgründe, die im Zeitpunkt der Kündigung unbekannt waren, nachzuschieben; denn auch bei nachträglicher Kenntniserlangung kann das Vertrauen des Kündigenden für die Zukunft zerstört sein. Anders liegt es aber nach Auffassung des Senats beim befristeten Dienstverhältnis, wenn die nachgeschobenen Kündigungsgründe dem Kündigenden erst bekannt werden, nachdem die Frist für die reguläre Beendigung des Vertrages eingetreten ist. Denn hier kann denknotwendig bei Bekanntwerden der Kündigungsgründe kein Vertrauen in die weitere Zusammenarbeit mehr zerstört werden.

Die vom Schriftsatz der Beklagten vom 13.8.2019 herangezogenen Entscheidungen stehen der vorstehend skizzierten Rechtsauffassung nicht entgegen. Diese haben zwar überwiegend befristete Vorstands- bzw. Geschäftsführerdienstverträge zum Gegenstand, befassen sich aber nicht explizit mit der Frage, welche Bedeutung die Kenntniserlangung von einem potentiellen Kündigungsgrund erst nach ordentlichem Vertragsende (= Eintritt der Befristung) für die Möglichkeit, diesen Kündigungsgrund nachzuschieben, hat.

b) Vorstehende Überlegungen gelten auch und erst Recht, soweit die in der Berufungsinstanz neu vorgebrachten Sachverhalte als Verdachtskündigungsgründe nachgeschoben werden.

Eine Verdachtskündigung ist unter bestimmten engen Voraussetzungen (starke Verdachtsmomente, objektive Anhaltspunkte, Zerstörung des Vertrauensverhältnisses durch den Verdacht, große Wahrscheinlichkeit, dass Verdacht zutrifft) möglich (BAG, Urteil vom 23.5.2013 – 2 AZR 102/12, Rz. 19 – 21). Unter diesen Voraussetzungen können Verdachtskündigungsgründe auch nachgeschoben werden (BAG vom 18.6.2015, a.a.O. Rz. 46).

Vorliegend hat die Beklagte ihren Verdacht nach ihrem eigenen Vortrag erst Anfang 2019, also zu einer Zeit, als der Dienstvertrag längst ordentlich beendet war, gefasst. Die Verdachtskündigung rechtfertigt sich wie dargestellt vor allem daraus, dass auch ein begründeter Verdacht wegen des dadurch zerstörten Vertrauens die weitere Zusammenarbeit unzumutbar macht. Wird der Verdacht – wie vorliegend – aber erst nach regulärem Ende der Vertragslaufzeit gefasst, kann er denknotwendig das Vertrauen in die weitere Zusammenarbeit nicht mehr beeinträchtigen und stellt damit kein Kriterium für die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Klägers dar.

2. Aber auch unabhängig von den Überlegungen unter 1. rechtfertigen die in der Berufungsinstanz nachgeschobenen Sachverhalte die außerordentliche Kündigung nicht.

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Dr. Uwe P. Schlegel
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