Ausländische Arbeitskräfte haben Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn
Nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreuungskräfte haben Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeitsstunden, einschließlich Bereitschaftsdienst. Ein solcher Bereitschaftsdienst kann auch darin bestehen, dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen muss und grundsätzlich verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 24.06.2021 – 5 AZR 505/20.*
Mit ihrer im August 2018 erhobenen Klage hat eine bulgarische Sozialassistentin unter Berufung auf das Mindestlohngesetz (MiLoG) für den Zeitraum Mai bis August 2015 und Oktober bis Dezember 2015 hat die Klägerin zuletzt die Zahlung von 42.636,00 Euro brutto abzüglich erhaltener 6.680,00 Euro netto verlangt. Sie hat geltend gemacht, bei der Betreuung nicht nur die vertraglich vereinbarten 30 Wochenstunden, sondern rund um die Uhr gearbeitet zu haben oder in Bereitschaft gewesen zu sein. Selbst nachts habe die Tür zu ihrem Zimmer offenbleiben müssen, damit sie auf Rufen der der über 90-jährigen zu betreuenden Hilfe habe leisten können. nebst Prozesszinsen begehrt.
Das Landesarbeitsgericht hat der Klage überwiegend entsprochen und ist im Wege einer Schätzung von einer Arbeitszeit von 21 Stunden kalendertäglich ausgegangen. (Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. August 2020 – 21 Sa 1900/19 -)
Die Revision der Beklagten und die Anschlussrevision der Klägerin hatten Erfolg. Zwar hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen, dass die Verpflichtung zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns nach § 20 i.V.m. § 1 MiLoG auch ausländische Arbeitgeber träfe, wenn sie Arbeitnehmer nach Deutschland entsendeten. Hierbei handele es sich um Eingriffsnormen i.S.v. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO, die unabhängig davon gelten würden, ob ansonsten auf das Arbeitsverhältnis deutsches oder ausländisches Recht Anwendung fände.
Die Revision der Beklagten rüge jedoch mit Erfolg, das Berufungsgericht hätte ihren Vortrag zum Umfang der geleisteten Arbeit nicht ausreichend gewürdigt und deshalb unzutreffend angenommen, die tägliche Arbeitszeit der Klägerin habe unter Einschluss von Zeiten des Bereitschaftsdienstes 21 Stunden betragen. Das Landesarbeitsgericht habe rechtsfehlerhaft bei der nach § 286 ZPO gebotenen Würdigung des gesamten Parteivortrags den Hinweis der Beklagten auf die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit von 30 Stunden/Woche nicht berücksichtigt, sondern hierin ein rechtsmissbräuchliches widersprüchliches Verhalten gesehen. Das führe zur Aufhebung des Berufungsurteils. Aber auch die Anschlussrevision der Klägerin sei begründet. Für die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe geschätzt täglich drei Stunden Freizeit gehabt, fehle es bislang an ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten, so dass auch aus diesem Grund das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben war.
Die Sache war an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um insoweit den Sachverhalt weiter aufzuklären, den Vortrag der Parteien umfassend zu würdigen und festzustellen, in welchem Umfang die Klägerin Vollarbeit oder Bereitschaftsdienst leisten musste und wie viele Stunden Freizeit sie hatte. Dass die Klägerin mehr als die im Arbeitsvertrag angegebenen 30 Stunden/Woche zu arbeiten hatte, dürfte – nach Aktenlage – nicht fernliegend sein.
* Aus der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts Nr. 16/21