Aufhebungsvertrag wegen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns rechtlich nicht bindend
Das LAG Mecklenburg Vorpommern hat einen Aufhebungsvertrag, den ein Arbeitnehmer und sein Arbeitgeber geschlossen haben, als im Ergebnis rechtlich nicht bindend angesehen, weil der Arbeitgeber gegen das Gebot fairen Verhandelns verstoßen haben soll (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 19.05.2020 – 5 Sa 173/19). In den Leitsätzen der zitierten Entscheidung heißt es:
1. Hat der Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns abgeschlossen, hat er nach § 249 Abs. 1 BGB den Zustand herzustellen, der ohne die Pflichtverletzung bestünde. Der Arbeitnehmer ist dann so zu stellen, als hätte er den Aufhebungsvertrag nicht geschlossen.
2. Eine Verhandlungssituation ist als unfair zu bewerten, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht.
In den Entscheidungsgründen heißt es weiter:
Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch den Aufhebungsvertrag vom 26.10.2018 beendet worden. Der Aufhebungsvertrag ist unwirksam, da er unter Verstoß gegen das sog. Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen ist (§ 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1, § 249 Abs. 1 BGB).
Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB). Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (§ 249 Abs. 1 BGB).
Nach § 241 Abs. 2 BGB kann das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten. Dies gilt auch bei Vertragsverhandlungen, insbesondere über die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Bei Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags kann eine Seite gegen ihre Verpflichtungen aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen, wenn sie eine Verhandlungssituation herbeiführt oder ausnutzt, die eine unfaire Behandlung des Vertragspartners darstellt. Das Gebot fairen Verhandelns wird missachtet, wenn die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners in zu missbilligender Weise beeinflusst wird. Es geht dabei nicht um ein Erfordernis der Schaffung einer für den Vertragspartner besonders angenehmen Verhandlungssituation, sondern um das Gebot eines Mindestmaßes an Fairness im Vorfeld des Vertragsschlusses. Eine rechtlich zu missbilligende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit ist aber noch nicht gegeben, wenn der eine Auflösungsvereinbarung anstrebende Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht einräumt. Auch ist eine Ankündigung der beabsichtigten Aufhebungsvereinbarung nicht erforderlich. Eine Verhandlungssituation ist vielmehr erst dann als unfair zu bewerten, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht (BAG, Urteil vom 07. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 – Rn. 34, juris = NJW 2019, 1966; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Dezember 2019 – 10 Sa 1319/19 – Rn. 47, juris; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. März 2019 – 7 Sa 421/18 – Rn. 65, juris = AuA 2019, 674).
Hat der Arbeitgeber den Aufhebungsvertrag unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns abgeschlossen, hat er nach § 249 Abs. 1 BGB den Zustand herzustellen, der ohne die Pflichtverletzung bestünde. Der Arbeitnehmer ist dann so zu stellen, als hätte er den Aufhebungsvertrag nicht geschlossen (BAG, Urteil vom 07. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 – Rn. 39, juris = NJW 2019, 1966).
Der Aufhebungsvertrag zwischen den Parteien vom 26.10.2018 ist unter Verletzung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen. Das beklagte Land hat beim Kläger eine psychische Drucksituation geschaffen und diese ausgenutzt, um den Aufhebungsvertrag zu schließen.
Zunächst hat das beklagte Land in dem unbefristeten, wenige Wochen zuvor geschlossenen Arbeitsvertrag vom 13.09.2018 ausdrücklich unter Hinweis auf § 2 Abs. 4 TV-L eine Probezeit vereinbart, obwohl nur die ersten sechs Monate einer Beschäftigung als Probezeit gelten. Die ununterbrochenen Vorbeschäftigungen des Klägers ab dem 01.11.2016 waren dem Schulamt bekannt. Da der Kläger anders als das Schulamt nicht über nähere Kenntnisse des Tarifrechts verfügt, musste er davon ausgehen, sich vorerst in der Probezeit zu befinden und ohne weitere Begründung kündbar zu sein. Der Kläger durfte die vom Schulamt vorgelegten Vertragsbestimmungen für wirksam halten.
Des Weiteren kannte das beklagte Land den bisherigen Bildungs- und Berufsweg des Klägers. Da der Kläger keine pädagogische Ausbildung absolviert hat und nicht über eine Lehrbefähigung verfügt, musste der Einsatz als Lehrer an einer Förderschule für ihn zwangsläufig eine besondere Herausforderung darstellen. Diese Lehrtätigkeit erfordert regelmäßig ein mehrjähriges fachbezogenes Studium. Der Kläger verfügt nicht über die methodischen und didaktischen Kenntnisse für den Unterricht an dieser Schulform, wie die Schulleiterin schon nach kurzer Zeit feststellte. Mit welchem Wortlaut sich die Schulleiterin nach ihrer Hospitation am 25.10.2018 noch im Klassenzimmer gegenüber dem Kläger geäußert und wie dieser die Äußerung im Hinblick auf sein Arbeitsverhältnis verstanden hat, kann dahinstehen. Selbst eine Äußerung wie „So geht es bei uns an der Schule nicht“ baute bei dem nicht einschlägig ausgebildeten und im Förderschulunterricht unerfahrenen Kläger einen massiven Druck auf. Der Kläger musste daraufhin jedenfalls an sich und seinen Fähigkeiten zweifeln.
Diese Situation hat das Schulamt ausgenutzt, um das Arbeitsverhältnis mit dem zu diesem Zeitpunkt arbeitsunfähigen Kläger durch Aufhebungsvertrag zu beenden. Der Kläger war nach Aussage des die Verhandlungen führenden Justiziars „völlig verzweifelt“ und „mit seinen Nerven am Ende“. Der Justiziar wusste aufgrund eines Telefonats mit der Schulleiterin, dass der Kläger den Unterricht abgebrochen und bereits die Schulschlüssel abgegeben hatte. Der Kläger hatte aufgrund der Kürze des Gesprächs gar keine Gelegenheit, sich zu beruhigen und einen klaren Gedanken zu fassen. Es wurde weder über die Ursachen der Verzweiflung gesprochen noch alternative Einsatzmöglichkeiten oder anderweitige Hilfestellungen erörtert. Der Kläger war angesichts seines aufgelösten Zustandes erkennbar nicht in der Lage, seine Interessen wahrzunehmen und eine freie und überlegte Entscheidung zu treffen.
Ergänzende Hinweise
Der Fall ist beeindruckend. Er zeigt mit aller Deutlichkeit, welche Folgen ein durch das LAG in den Entscheidungsgründen zitiertes Urteil des BAG aus dem Jahr 2019 haben kann (BAG, Urt. v. 07.02.2019 – 6 AZR 75/18). Keinesfalls möchte das LAG sagen, dass Aufhebungsverträge nicht bindend sind. Dennoch macht die LAG-Entscheidung deutlich, vor welchen Hürden der Arbeitgeber steht, wenn er den Versuch unternimmt, einen rechtlich bindenden Aufhebungsvertrag zu schließen.