Zur wirksamen Auswahl eines Versammlungsortes für eine Gesellschafterversammlung
Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hatte u. a. darüber zu entscheiden, ob der Ort für eine Gesellschafterversammlung rechtlich wirksam ausgewählt worden war (OLG Hamm, Urt. v. 19.06.2023, 8 U 21/23). In den Entscheidungsgründen heißt es wie folgt:
„Ein Verfahrensfehler liegt allerdings nicht vor, und zwar weder unter dem Aspekt eines Verstoßes gegen eine gesellschaftsvertragliche oder -rechtliche Ordnungsvorschrift noch wegen der Unzumutbarkeit des Versammlungsortes. Der Gesellschaftsvertrag der Verfügungsbeklagten sieht keinen bestimmten Ort für die Durchführung der Gesellschafterversammlung vor. Es kann offenbleiben, ob eine analoge Anwendung des § 121 Abs. 5 Satz 1 AktG, die im GmbH-Recht anerkannt ist (vgl. BGH, Urteil vom 28.01.1985, II ZR 79/84, juris, Rn. 9 für § 121 Abs. 4 AktG a.F.; Beschluss vom 24.03.2016, IX ZB 32/15, juris, Rn. 24), für Personengesellschaften, die nicht einer vergleichbaren Formenstrenge unterliegen, in Betracht kommt. Hierfür könnte sprechen, dass der Zweck der Regelung, die Gesellschafter vor einer willkürlichen Wahl des Versammlungsortes und einer daraus folgenden Beeinträchtigung ihres Teilnahmerechts zu schützen (BGH, Urteil vom 28.01.1985, II ZR 79/84, juris, Rn. 9), auch bei anderen Gesellschaftsformen Geltung beanspruchen kann. Jedenfalls durfte die Streithelferin auch nach Maßgabe der zu § 121 Abs. 5 Satz 1 AktG ergangenen Rechtsprechung einen vom Sitz der Gesellschaft abweichenden Versammlungsort auswählen.
(…) Zumindest in einer Gesellschaft mit einem überschaubaren Gesellschafterkreis darf ein vom Sitz der Gesellschaft abweichender Ort gewählt werden, von dem von vornherein feststeht, dass er die Teilnahme nicht erschwert, weil ihn die Gesellschafter leichter als den Sitz der Gesellschaft erreichen können (BGH, Urteil vom 28.01.1985 (II ZR 79/84, juris, Rn. 9). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, weil der im Ruhrgebiet in Y. gelegene Versammlungsort für die Gesellschafter und ihre Vertreter leichter erreichbar ist als das im Sauerland gelegene R.. Eine konkrete Erschwerung der Teilnahme ist auch nicht dargelegt.
(…) Der ausgewählte Versammlungsort und das Versammlungslokal dürfen darüber hinaus nicht willkürlich oder schikanös oder für einen Gesellschafter unzumutbar sein (vgl. Altmeppen in Altmeppen, GmbHG, 11. Aufl., § 51 Rn. 10). Eine solche unzumutbare Auswahl, auf die sich ein Gesellschafter nicht einlassen muss, kann gegeben sein, wenn verfeindete Gesellschafter in die Wohnung des einen Gesellschafters eingeladen werden. Für die Einladung zerstrittener Mitgesellschafter in die Kanzleiräume des Rechtsanwalts der Gegenpartei gilt nichts Anderes. Der betroffene Mitgesellschafter würde sich dann von vornherein in einer Umgebung befinden, in der sich der andere Mitgesellschafter, mit dem er im Streit liegt, im Gegensatz zu ihm vertraut bewegen kann (BGH, Beschluss vom 24.03.2016, IX ZB 32/15, juris, Rn. 25). Auch diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Selbst wenn unterstellt wird, dass die Räumlichkeiten der E. P. GmbH & Co. KG dem Y.er Stamm „zuzuordnen“ sind, ist die Wahl des Versammlungsortes – auch unter Berücksichtigung der erheblichen Differenzen der Gesellschafter und des angekündigten Beschlussgegenstandes – nicht als treuwidrig zu bewerten.
(…) Zum einen ist unstreitig, dass nicht nur während der Corona-Pandemie, sondern auch zuvor Gesellschafterversammlungen der Verfügungsbeklagten in den Räumlichkeiten der E. P. GmbH & Co. KG stattfanden, und zwar konkret am 03.07.2014, am 07.07.2016 und am 28.06.2018 (Anlage STH 7, Bl. 934 ff. eGA I). Der Versammlungsort war den Gesellschaftern des R. Stammes damit bereits seit längerem vertraut. Die Verfügungsklägerin behauptet auch nicht, dass die Verfügungsbeklagte über eigene Räumlichkeiten verfüge, die als „ständiger“ Versammlungsort zu qualifizieren seien. Es handelt sich bei dem Versammlungsort um Büroräumlichkeiten und nicht um eine Privatwohnung oder Kanzleiräume eines anwaltlichen Beistandes einer Gesellschafterin. Die E. P. GmbH & Co. KG ist eine Beteiligungsgesellschaft der P. Holding, an der beide Gesellschaftergruppen beteiligt sind. Die Differenzen zwischen den Gesellschaftern bestanden im Übrigen schon seit einiger Zeit, auch wenn die Ausschließung aus wichtigem Grund eine weitere Eskalation der Auseinandersetzungen bedeutet. Bei dieser Sachlage bedurfte es entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin nicht ihrer Zustimmung zum gewählten Versammlungsort.
(…) Darüber hinaus hatte sich während der Corona-Pandemie die Nutzung der Räumlichkeiten der E. P. GmbH & Co. KG für Gesellschafterversammlungen der Verfügungsbeklagten eingebürgert, weil die Räumlichkeiten im Hinblick auf ihre Größe und Lüftungsmöglichkeiten sehr gut geeignet sind, um das Risiko für die Teilnehmer der Gesellschafterversammlung, sich mit dem Covid-19-Virus zu infizieren, gering zu halten (S. 9 des angefochtenen Urteils). Die (erneute) Auswahl dieses Versammlungsortes ist vor diesem Hintergrund nicht willkürlich oder schikanös, sondern sachlich begründet. Denn Maßnahmen zum Infektionsschutz im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie waren im Dezember 2022 noch nicht völlig entbehrlich. Zwar waren viele Auflagen zu diesem Zeitpunkt bereits weggefallen, die letzten staatlichen Maßnahmen liefen allerdings erst im Frühjahr 2023 aus. Gerade in den Wintermonaten – auch im Jahr 2022 – kam es in Deutschland noch zu Infektionsgeschehen. Auch wenn wegen der zunehmenden Immunisierung der Bevölkerung in den meisten Fällen keine schweren Krankheitsverläufe mehr drohten, war eine Infektion wegen der Isolierungspflichten für Corona-Infizierte gemäß der Corona-Test- und Quarantäneverordnung NRW gerade für im Geschäftsleben tätige Personen mit gravierenden Einschränkungen für die persönliche Bewegungsfreiheit verbundenen. Die Quarantänepflicht lief in Nordrhein-Westfalen erst zum 01.02.2023 aus.
(…) Schlussendlich ist auch nicht dargelegt, dass sich die Wahl des Versammlungsortes auf den Ablauf der Gesellschafterversammlung, die Verteidigungsmöglichkeiten der Verfügungsklägerin oder das Stimmverhalten der Gesellschafter ausgewirkt hat; eine solche Beeinflussung kann vielmehr nach Lage der Dinge ausgeschossen werden. Die Verfügungsklägerin, deren anwaltlichem Beistand die Teilnahme an der Gesellschafterversammlung gestattet wurde, konnte sich umfangreich zur Sache einlassen und einen eigenen Beschlussvorschlag einbringen. Die Gesellschafter zogen sich mehrfach zur Beratung zurück, um ihre weitere Vorgehensweise zu besprechen. Die nur behauptete, aber nicht glaubhaft gemachte ´Einschüchterungstaktik´ durch die Durchführung an einem Versammlungsort, der dem ´feindlichen´ Lager zuzuordnen sei, spiegelt sich im Versammlungsprotokoll und den Darlegungen der Parteien zum Ablauf der Versammlung nicht wider.“