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Zur (Un)Wirksamkeit einer Probezeitkündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers ohne Präventionsverfahren

Zur (Un)Wirksamkeit einer Probezeitkündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers ohne Präventionsverfahren
Aktuelles
11.10.2024

Zur (Un)Wirksamkeit einer Probezeitkündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers ohne Präventionsverfahren

Arbeitgeber sind verpflichtet, auch innerhalb der sog. Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG, §§ 173 Abs. 1, 168 SGB IX, in denen ein schwerbehinderter Mensch noch keinen Kündigungsschutz genießt, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Dies hat das LAG entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BAG zur bis 2017 geltenden Vorgängernorm des § 84 SGB IX entschieden.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hat in seinem kürzlich ergangenen Urteil (Az. 6 SLa 76/24) entschieden, dass eine während der Probezeit ausgesprochene Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer rechtswirksam ist. Dieses Urteil stellt eine Abänderung der Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln dar, welches die Kündigung zuvor für unwirksam erklärte.

Kern des Streits:
Ein wesentlicher Streitpunkt in diesem Fall war die Frage, ob die Arbeitgeberin verpflichtet gewesen wäre, vor Ausspruch der Kündigung ein Präventionsverfahren gemäß § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Dieses Verfahren zielt darauf ab, bei Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis mit schwerbehinderten Menschen präventiv tätig zu werden, um das Arbeitsverhältnis zu erhalten und zu stabilisieren.

Hintergrund des Präventionsverfahrens:
Der Kläger argumentierte, dass seine Leistungen während der Einarbeitungszeit aufgrund seiner Behinderung beeinträchtigt gewesen seien und dass ein Präventionsverfahren notwendig gewesen wäre, um angemessene Anpassungen zu finden und ihm eine faire Chance zur Eingliederung zu geben.

Sachverhalt:
Der 39-jährige schwerbehinderte Kläger war seit Januar 2023 als Mitarbeiter im Bauhof tätig. Über seine Leistungen während der Einarbeitung gab es gemischte Rückmeldungen. Während seiner Tätigkeit traten wiederholt Konflikte auf, und es wurde bemängelt, dass er Anweisungen nicht folgte und sich nicht ins Team integrierte. Vor Ausspruch der Kündigung wurden der Personalrat, die Schwerbehindertenvertretung sowie die Gleichstellungsbeauftragte angehört, welche keine Einwände gegen die Kündigung hatten. Die Kündigung erfolgte fristgerecht zum 31. Juli 2023.

Position des Arbeitsgerichts Köln:
Das Arbeitsgericht hatte in erster Instanz die Kündigung für unwirksam erklärt, da es annahm, die Arbeitgeberin habe das Präventionsverfahren unterlassen und damit möglicherweise gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass die Unterlassung eines solchen Verfahrens eine Diskriminierung aufgrund der Behinderung darstellen könne.

Urteilsbegründung des LAG Köln:
Das LAG Köln wies jedoch darauf hin, dass das Präventionsverfahren nicht zwingend vor jeder Kündigung eines schwerbehinderten Menschen durchgeführt werden muss, insbesondere wenn die Kündigung innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit erfolgt. Das Gericht erklärte, dass das Präventionsverfahren zwar eine wichtige Rolle spielt, um die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen zu fördern und zu schützen, jedoch keine automatische Unwirksamkeit der Kündigung begründet, wenn es unterlassen wird. Es sah keine ausreichenden Beweise dafür, dass die Behinderung des Klägers ein Motiv für die Kündigung war oder dass die Kündigung in direktem Zusammenhang mit der Unterlassung des Präventionsverfahrens stand.

Das LAG Köln stellte fest, dass die Kündigung nicht sozialwidrig war und die Zustimmung des Integrationsamtes nicht erforderlich sei, da die sechsmonatige Wartezeit noch nicht abgelaufen war. Die Kündigung sei auch nicht sittenwidrig oder treuwidrig und verstoße nicht gegen das Diskriminierungsverbot, da keine hinreichenden Anhaltspunkte vorlagen, dass die Behinderung des Klägers ein Grund für die Kündigung war. Das Gericht betonte, dass der Arbeitgeber seine Pflichten hinsichtlich der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen während der Probezeit korrekt erfüllt habe.

Fazit:
Die Entscheidung des LAG Köln verdeutlicht, dass Arbeitgeber die Möglichkeit haben, das Arbeitsverhältnis während der Probezeit auch mit schwerbehinderten Mitarbeitern zu beenden, solange die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden.

Diese Entscheidung des LAG Köln betont die Bedeutung des Präventionsverfahrens, stellt jedoch klar, dass dessen Unterlassung nicht automatisch zu einer Unwirksamkeit der Kündigung führt. Sie zeigt auch die Grenzen auf, die Arbeitgebern in der Probezeit in Bezug auf die Kündigung schwerbehinderter Mitarbeiter gesetzt sind, und wie diese Grenzen rechtlich bewertet werden. Die Revision wurde zugelassen, was bedeutet, dass das Thema weiterhin von hoher Rechtsunsicherheit geprägt sein könnte, bis eine endgültige Entscheidung auf höherer Ebene getroffen wird.

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Autor(en)


Aigerim Rachimow
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht, Fachanwältin für Medizinrecht

Mail: rostock@etl-rechtsanwaelte.de


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