Zur unterschiedlichen Anhebung der Vergütung nach durch den Vorgesetzen eines Arbeitnehmers festgelegten Kriterien
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf hat in einem Fall, in dem es um eine unterschiedlich hohe Anpassung der Vergütung verschiedener Arbeitnehmer gegangen war, entschieden, dass dem klagenden Arbeitnehmer nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz prinzipiell ein Anspruch auf Gehaltsanpassung „nach oben“ zusteht (LAG Düsseldorf, Urt. v. 20.04.2023 – 13 Sa 535/22).
In den Entscheidungsgründen heißt es:
„(…) Dem Kläger stehen die bereits erstinstanzlich ausgeurteilte Summe sowie die zusätzlich verlangten Beträge zu. Aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz folgt, dass dem Kläger ein Anspruch auf Gehaltsanpassung in dem höchsten Prozentsatz zusteht, den die Beklagte bei einem ihrer leitenden Angestellten angewendet hat.
(…) Das Arbeitsgericht hat sein Urteil auf § 315 BGB gestützt. Dabei handelt es sich hier im Verhältnis zu einer Prüfung nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht um einen anderen Streitgegenstand. Vielmehr stellt sich nur die Frage, ob der Antrag unter Zugrundelegung desselben Lebenssachverhalts erfolgreich auf die genannte Norm oder den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gestützt werden kann.
(…) Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ist die Berufungskammer der Ansicht, dass die Regelung des § 315 BGB auf den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt unanwendbar ist.
Sie setzt nämlich voraus, dass die Leistung durch einen der Vertragschließenden bestimmt werden soll. Dabei muss dieses Leistungsbestimmungsrecht zwischen den vertragsschließenden Parteien vereinbart worden sein. Eine bloße faktische Befugnis zur Leistungsbestimmung durch eine Partei bildet keinen Fall des § 315 BGB (BGH 05.12.2012 – IV ZR 110/10 – juris RN 21 mwN). Eine Vereinbarung der Parteien dazu, dass und nach welchen Maßstäben Gehaltsanpassungen erfolgen, ist nicht ersichtlich. Vielmehr liegt sowohl das ´Ob´ als auch das ´Wie´ ausschließlich in der Entscheidung der Beklagten.
(…) Die streitgegenständlichen Zahlungsansprüche stehen dem Kläger jedoch aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu, so dass sich seine Berufung insofern als begründet, die gegen die Zahlung gerichtete Anschlussberufung als unbegründet erweisen.
(…) Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz stellt die privatrechtliche Ausprägung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG dar. Er findet stets Anwendung, wenn der Arbeitgeber Leistungen nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip aufgrund einer abstrakten Regelung gewährt, indem er bestimmte Voraussetzungen oder einen bestimmten Zweck festlegt. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet den Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen seiner Arbeitnehmer, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gegebenen Regel gleichzubehandeln. Er verbietet nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung. Stellt der Arbeitgeber hingegen nur einzelne Arbeitnehmer unabhängig von abstrakten Differenzierungsmerkmalen in Einzelfällen besser oder ist die Anzahl der begünstigten Arbeitnehmer im Verhältnis zur Gesamtzahl der betroffenen Arbeitnehmer sehr gering, kann ein nicht begünstigter Arbeitnehmer aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz nichts herleiten (vgl. nur BAG 20.03.2018 – 3 AZR 861/16 – juris RN 28; BAG 21.08.2012 – 3 AZR 81/10 juris – RN 24 f. mwN). Trotz des Vorrangs der Vertragsfreiheit ist der Gleichbehandlungsgrundsatz auch bei der Zahlung der Arbeitsvergütung anwendbar, wenn diese durch eine betriebliche Einheitsregelung generell angehoben wird oder der Arbeitgeber die Leistung nach einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, indem er Voraussetzungen oder Zwecke festlegt (BAG 27.04.2016 – 5 AZR 311/15 – juris RN 35). Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz findet auch dann Anwendung, wenn der Arbeitgeber – nicht auf besondere Einzelfälle beschränkt – nach Gutdünken oder nach nicht sachgerechten oder nicht bestimmbaren Kriterien Leistungen erbringt (BAG 27.04 2021 – 9 AZR 662/19 – RN 17 mwN; BAG 12.10.2022 – 5 AZR 135/22 – RN 25).
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verlangt, dass eine vorgenommene Differenzierung sachlich gerechtfertigt ist. Eine sachverhaltsbezogene Ungleichbehandlung verstößt erst dann gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, wenn sie willkürlich ist, weil sich ein vernünftiger Grund für die Differenzierung nicht finden lässt (vgl. nur BAG 12.08.2014 – 3 AZR 764/12 – juris RN 25 mwN). Maßgeblich für die Beurteilung, ob für die unterschiedliche Behandlung ein hinreichender Sachgrund besteht, ist vor allem der Regelungszweck; dieser muss die Gruppenbildung rechtfertigen; die Gruppenbildung muss einem legitimen Zweck dienen und zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich und angemessen sein (BAG 14.11.2017 – 3 AZR 516/16 – juris RN 20; BAG 12.08.2014 – 3 AZR 764/12 – juris RN 26 mwN).
(…) Auf dieser Grundlage liegt im Vorgehen der Beklagten ein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
Ihre Entscheidung, für Anpassungen der Gehälter ihrer leitenden Angestellten zu einem bestimmten Stichtag ein festgelegtes Budget zur Verfügung zu stellen, unterliegt dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Sie gewährt damit nicht nur im Einzelfall Leistungen, ohne hierfür nachvollziehbare Kriterien festzulegen. Die Verteilung des Budgets überlässt sie ihren Vorgesetzten, ohne diesen Vorgaben zu machen. Das steht einer Leistung nach Gutdünken gleich. Es schließt zwar nicht aus, dass der einzelne Vorgesetzte nach einem abstrakten Prinzip vorgeht, möglicherweise sogar einem solchen, das dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz genügt. Allein die fehlende Vorgabe und die damit verbundene Zufälligkeit und Unterschiedlichkeit im Handeln der Vorgesetzten führt jedoch zu einer Leistung nach Gutdünken. Das System einer Verteilung nach nicht festgelegten Kriterien gibt die Beklagte den Vorgesetzten vor. Deren Handeln ist ihr damit zuzurechnen. Als Aktiengesellschaft kann sie ohnehin nicht persönlich agieren. Nicht der Vorgesetzte, sondern die Beklagte ist Vertragspartner des Klägers.
Das Vorgehen der Beklagten erklärt sich dabei nur als – vergeblicher – Versuch, eine gerichtliche Überprüfung der Gehaltsanpassungen zu vermeiden. Bezweckt bzw. jedenfalls zwangsläufig verbunden ist damit zugleich, dass weniger ein Leistungsanreiz für die leitenden Angestellten gesetzt wird, sondern deren Disziplinierung die Folge ist. Ein legitimer Zweck, der geeignet ist, einen sachlichen Grund zu bilden, liegt hierin nicht.
Eine Differenzierung nach leitenden Angestellten ohne und solche mit Führungsverantwortung erfolgt dabei nicht. Die Angestellten beider Funktionen tragen in derselben Höhe, nämlich mit dem einheitlich festgelegten Budgetprozentsatz, zu der Gehaltsanpassung bei. Bereits das Arbeitsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass eine aus der fraglichen Funktion unterschiedliche Wertigkeit der Tätigkeit bereits im Gehalt abgebildet wird. Eine unterschiedliche Erhöhung würde diese Relation verschieben. Ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung ist daher in keiner Weise gegeben. Die Beklagte trägt auch selbst nicht vor, ihren Vorgesetzten eine unterschiedliche Behandlung bezogen auf die fraglichen Funktionen vorzugeben. Erst recht gilt Vorstehendes für die Ansicht der Beklagten, die einzelnen leitenden Angestellten seien untereinander aufgrund ihrer unterschiedlichen Funktionen und Verantwortlichkeiten sämtlich nicht vergleichbar.
(…) Die Zahlungsanträge sind in der geltend gemachten Höhe begründet.
(…) Rechtsfolge einer Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist die Korrektur des arbeitgeberseitigen gleichbehandlungswidrigen Vorgehens durch ein gleichbehandlungskonformes. Der Arbeitnehmer, der ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandelt wurde, kann die Leistung, von der er nach der Regelbildung des Arbeitgebers wegen Nichterfüllung des gleichbehandlungswidrigen Tatbestandsmerkmals ausgeschlossen war, von diesem verlangen, wenn es keine weiteren Voraussetzungen gibt oder etwaige weitere Voraussetzungen von ihm erfüllt werden (BAG 03.06.2020 – 3 AZR 730/19 – RN 46; BAG 14.08.2018 – 1 AZR 287/17 – RN 25; BAG 21.05.2014 – 4 AZR 50/13 – juris RN 22 f. mwN).
Kann der Arbeitgeber den Begünstigten die in der Vergangenheit gewährten Leistungen nicht mehr entziehen, kommt regelmäßig nur eine Anpassung ´nach oben´ in Betracht, um die Diskriminierung zu beseitigen. Die Anpassung „nach oben“ beruht auf dem u. a. durch das nationale Recht vorgegebenen Rechtsbefehl, eine den Gleichbehandlungsgeboten entsprechende Ordnung herzustellen. Sie berücksichtigt damit nicht zuletzt auch, dass ein den rechtlichen und gesellschaftlichen Zielvorstellungen entsprechender Zustand nicht erreicht werden kann, wenn es sich ´nicht lohnt´, auf eine sachwidrige Ungleichbehandlung mit einem Gang vor Gericht zu reagieren. Die Anpassung ´nach oben´ scheidet selbst dann nicht aus, wenn sie zu erheblichen finanziellen Belastungen des Arbeitgebers führt (BAG 09.12.2020 – 10 AZR 334/20 – RN 88; BAG 21.02.2013 – 8 AZR 68/12 – juris RN 26).
(…) Danach kann der Kläger eine Erhöhung seines Gehalts um den höchsten Prozentsatz verlangen, um den die Beklagte eine Gehaltsanpassung bei einem leitenden Angestellten vorgenommen hat. Nur diese beseitigt die gesetzeswidrige Ungleichbehandlung vollständig. Allerdings macht der Kläger weniger, nämlich die durchschnittliche Erhöhung der positiv bedachten leitenden Angestellten geltend. In der Sache handelt es sich damit um eine zulässige Teilklage. Nach § 308 ZPO ist die Berufungskammer gehindert, dem Kläger höhere Beträge zuzusprechen.“