Zur Frage der heimtückischen Tötung eines wenige Wochen oder Monate alten Kindes
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zur Möglichkeit einer heimtückischen Tötung eines wenige Wochen oder Monate alten Kindes entschieden (BGH, Beschl. v. 12.07.2023 – 6 StR 231/23, L&L 2024, 97). In den Entscheidungsgründen heißt es:
„Bei der Tötung eines wenige Wochen oder Monate alten Kleinkindes kommt es für die Frage der Heimtücke nicht auf dessen Arg- und Wehrlosigkeit an, weil es aufgrund seines Alters noch nicht zu Argwohn und Gegenwehr fähig ist, sondern auf die Arg- und Wehrlosigkeit eines im Hinblick auf das Kind schutzbereiten Dritten (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2014 – 1 StR 340/14, NStZ 2015, 215). Dies ist jede Person, die den Schutz des Kindes vor Leib- oder Lebensgefahr dauernd oder vorübergehend übernommen hat und im Tatzeitpunkt entweder tatsächlich ausübt oder dies deshalb nicht tut, weil sie dem Täter vertraut (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 2012 – 2 StR 309/12, NStZ 2013, 158) oder vom Täter ausgeschaltet wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2005 – 5 StR 401/05, NStZ-RR 2006, 43).
Der potentiell schutzbereite Dritte muss nach den Umständen des Einzelfalls den Schutz wirksam erbringen können. Dies setzt zwar nicht voraus, dass er unmittelbar zugegen ist, unerlässlich ist aber eine ´gewisse räumliche Nähe´ (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 21. November 2012 – 2 StR 309/12, aaO; vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93, 94). An diesem Erfordernis fehlt es jedenfalls dann, wenn aufgrund der räumlichen Entfernung vom Tatort der tödliche Angriff schon gar nicht wahrgenommen werden kann und eine Gegenwehr des Dritten auch deshalb zu spät käme, weil hierfür erst eine erhebliche räumliche Distanz überwunden werden muss (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2014 – 1 StR 340/14, aaO).
(…) Hieran gemessen begegnet die Ansicht des Landgerichts, der Ehemann der Angeklagten sei im Zeitpunkt des Angriffs auf das Leben des Kindes ´schutzbereiter Dritter´ gewesen, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Aus den bislang getroffenen Feststellungen ergibt sich schon nicht, dass er an seinem Standort im Außenbereich des Geländes die Möglichkeit hatte, einen Angriff auf das Kind – etwa einen Schrei nach einer ersten Verletzung – wahrzunehmen; mit Blick auf die festgestellte Entfernung von 360 Metern liegt dies auch fern.“