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Zur Anrechnung böswillig unterlassenen, anderweitig möglichen Verdienstes nach § 11 KSchG bzw. § 615 BGB

Zur Anrechnung böswillig unterlassenen, anderweitig möglichen Verdienstes nach § 11 KSchG bzw. § 615 BGB
Aktuelles
30.04.2020

Zur Anrechnung böswillig unterlassenen, anderweitig möglichen Verdienstes nach § 11 KSchG bzw. § 615 BGB

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg hat entschieden (LAG Nürnberg, Urt. v. 12.11.2019 – 7 Sa 81/19 m. Anm. Blattner, DB 2020, 510):

(1) Besteht nach der Entscheidung des Gerichts im Kündigungsschutzprozess das Arbeitsverhältnis fort, muss sich der Arbeitnehmer nach § 11 S. 1 Nr. 2 KSchG auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, das anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. § 11 S. 1 KSchG ist eine Sonderregelung zu § 615 S. 2 BGB. Die beiden Vorschriften sind inhaltsgleich, BAG, Urteil vom 16.06. 2004 – 5 AZR 508/03 -, dort Rdz. 16, zitiert nach juris.

Dabei ist zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben, § 242 BGB, sowie unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl, Art. 12 GG, die Aufnahme einer anderweitigen Arbeit zumutbar war. Der Arbeitnehmer unterlässt böswillig anderweitigen Verdienst, wenn er vorsätzlich ohne ausreichenden Grund angebotene Arbeit ablehnt. Böswilligkeit setzt dabei nicht voraus, dass der Arbeitnehmer in der Absicht handelt, den Arbeitgeber zu schädigen. Der Arbeitnehmer muss vorsätzlich eine ihm gebotene Arbeit nicht angetreten haben. Fahrlässiges, auch grob fahrlässiges Verhalten reicht nicht aus. Die angebotene Arbeit muss dem Arbeitnehmer nach den konkreten Umständen des Falles zumutbar sein. Die fehlende Zumutbarkeit kann sich aus der Art der Arbeit, den sonstigen Arbeitsbedingungen oder der Person des Arbeitgebers ergeben. Die Frage der Zumutbarkeit ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles nach Treu und Glauben zu bestimmen.
Die Anrechnung nach §
11 S. 1 Nr. 2 KSchG kommt auch in Betracht, wenn der Arbeitgeber, der sich mit der Annahme der Dienste in Verzug befindet, eine zumutbare Arbeit anbietet, BAG, Urteil vom 11.01.2006 – 5 AZR 98/05 -, dort Rdz. 18, zitiert nach juris. Dies gilt insbesondere für den Fall einer bis zur endgültigen Entscheidung des Kündigungsrechtsstreits befristeten Weiterbeschäftigung zu denselben Arbeitsbedingungen. Die Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer hängt hier vornehmlich von der Art der Kündigung und ihrer Begründung sowie dem Verhalten des Arbeitgebers im Kündigungsprozess ab. Allerdings ist vom Arbeitnehmer grundsätzlich nicht geschuldet, sich auf eine dauerhafte Änderung der vertraglichen Bedingungen seiner Weiterbeschäftigung beim bisherigen Arbeitgeber einzulassen. Nach § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG geht es nur um eine Obliegenheit des Arbeitnehmers zum Erwerb von Zwischenverdienst, BAG, Urteil vom 11.01.2006, aaO., dort Rdz. 24, zitiert nach juris. Dabei kann es dem Arbeitnehmer im Rahmen dieser Obliegenheit zum Zwischenerwerb auch zumutbar sein, eine minderbezahlte Arbeit anzunehmen, Urteil vom 11.10.2006 – 5 AZR 754/05 -, dort Rdz. 22, zitiert nach juris.

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die angebotene Beschäftigung unzumutbar ist, liegt beim Arbeitnehmer, BAG, Urteil vom 24.09.2003 – 5 AZR 500/02 -, dort Rdz. 27, zitiert nach juris für die Weiterbeschäftigung beim bisherigen Arbeitgeber und BAG, Urteil vom 22.03.2017 – 5 AZR 337/16 -, dort Rdz. 23, zitiert nach juris für die Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber.

Bei der Abrechnung sind die Ansprüche des Klägers aus § 615 Satz 1 BGB festzustellen. Ferner ist der böswillig unterlassene Verdienst nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 KSchG festzustellen. Beides ist im Wege der Gesamtsaldierung miteinander zu verrechnen. Anzurechnen ist ausschließlich das, was der Kläger durch anderweitige Verwendung desjenigen Teils seiner Arbeitskraft hätte erwerben können, den er der Beklagten zur Verfügung zu stellen verpflichtet war. Gegenüberzustellen ist damit der Vergütungsanspruch für die Zeit, für welche Arbeitsleistungen zu erbringen waren, und der Verdienst, den er in dieser Zeit anderweitig hätte erwerben können. Der erzielbare Zwischenverdienst ist folglich in dem Umfang anzurechnen, wie er dem Verhältnis der bei der Beklagten ausgefallenen Arbeitszeit zu der bei Annahme zumutbarer Arbeit zu leistenden entspricht, BAG, Urteil vom 22.03.2017 – 5 AZR 337/16 -, dort Rdz. 33, zitiert nach juris.

(2) Für den vorliegenden Fall ergibt sich hieraus:

a) a. Der Kläger hat ein ihm zumutbares Beschäftigungsangebot der Beklagten böswillig ausgeschlagen.

Mit dem Vertragsangebot vom 14.03.2016 ging es nicht grundsätzlich darum, das Arbeitsverhältnis der Parteien dauerhaft auf eine neue vertragliche Basis zu stellen. Insoweit ist zwischen den Parteien unstreitig, dass eine dauerhafte Änderung der vertraglichen Grundlagen des Arbeitsverhältnisses nicht beabsichtigt war. Es sollte damit auch kein Einfluss genommen werden auf den zu diesem Zeitpunkt noch laufenden Kündigungsschutzprozess. Die Parteien haben insoweit ihr gemeinsames Verständnis des Vertragsangebotes in der streitigen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Bayreuth vom 15.11.2018 bekundet. Danach war mit dem Vertragsangebot eine Auswirkung auf das Kündigungsschutzverfahren nicht beabsichtigt. Dieses Verfahren hätte weitergeführt werden sollen. Der ursprüngliche Arbeitsvertrag hätte im Falle des Obsiegens des Klägers im Kündigungsschutzverfahren dann auch nicht durch den neu angebotenen Arbeitsvertrag ersetzt werden sollen. Damit sollte es sich nach dem gemeinsamen Verständnis der Parteien um ein Art Prozessbeschäftigung handeln. Da es um keine dauerhafte Änderung der vertraglichen Beziehungen der Parteien ging, war aus diesem Grund die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung bei der Beklagten nicht ausgeschlossen.

Das Vertragsangebot vom 14.03.2016 war auch in den einzelnen angebotenen Konditionen zumutbar.

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Dr. Uwe P. Schlegel
Rechtsanwalt



Jens Reininghaus
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, Fachanwalt für IT-Recht

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