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Zur Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes

Messerstich in den Oberschenkel als äußerst gefährliche Gewalthandlung
Zur Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes
Aktuelles
29.05.2024

Zur Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes

Messerstich in den Oberschenkel als äußerst gefährliche Gewalthandlung

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zur Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes bei mittäterschaftlicher Begehung einer Straftat entschieden (BGH, Urt. v. 24.04.2024 – 5 StR 510/23). In den Entscheidungsgründen heißt es zu bedingt vorsätzlichem Handeln zunächst allgemein:

„1. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt (Wissenselement) und ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit ihm abfindet (Willenselement). Bei äußerst gefährlichen (Gewalt-)Handlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen, und – weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt – einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Eine hohe und zudem anschauliche konkrete Lebensgefährlichkeit der Tatausführung stellt mithin auf beiden Vorsatzebenen das wesentliche auf bedingten Tötungsvorsatz hinweisende Beweisanzeichen dar. Gleichwohl kann im Einzelfall das Willenselement des Eventualvorsatzes fehlen, etwa wenn der Täter trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Das Vertrauen auf einen glimpflichen Ausgang lebensgefährdenden Tuns darf indes nicht auf bloßen Hoffnungen beruhen, sondern muss sich auf Tatsachen stützen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 14. Februar 2024 – 5 StR 215/23 Rn. 9 mwN).“

Zum konkreten Fall äußert sich der BGH im weiteren sodann wie folgt:

„Die Strafkammer hat als vorsatzkritischen Umstand gewertet, dass der Angeklagte nur ´Messerstiche in die Beinregion´ gesetzt habe. Dabei hat sie aber außer Acht gelassen, dass dieser Messerstich zu einer akuten Lebensgefahr für den Nebenkläger führte. Zudem hat sie die für glaubhaft erachteten Angaben des Nebenklägers, an seinem Oberschenkel sei „das Messer auf einer Seite hinein- und auf der anderen Seite wieder herausgekommen´, und des Zeugen L. , dass aus dem Oberschenkel des Nebenklägers ´das Blut herausgespritzt habe, nicht berücksichtigt. Die Strafkammer hat daher aus dem Blick verloren, dass es sich bei dem Stich in den Oberschenkel schon für sich genommen um eine äußerst gefährliche Gewalthandlung gehandelt haben könnte.

(…) In diesem Zusammenhang hat das Landgericht nicht berücksichtigt, dass die zur ebenfalls als akut lebensbedrohlich eingeordneten Verletzung des Brustkorbes führenden Stiche dem Angeklagten zuzurechnen sein könnten. Insoweit gilt:

Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Falles gerechnet werden muss, werden vom Willen des Mittäters umfasst, auch wenn er sich diese nicht eigens vorgestellt hat; ebenso ist er für jede Ausführungsart einer von ihm gebilligten Straftat verantwortlich, wenn er mit der Handlungsweise seines Tatgenossen einverstanden oder sie ihm zumindest gleichgültig war (vgl. BGH, Urteil vom 6. Januar 2021 – 5 StR 288/20, NStZ 2021, 287, 288). Angesichts des gemeinsamen Zustürmens auf den Nebenkläger und des vorhersehbar dynamischen und unübersichtlichen Kampfgeschehens hätte das Landgericht die Frage erörtern müssen, ob der Angeklagte derart lebensgefährliche Handlungen seiner Mittäter billigend in Kauf genommen hat. Dies gilt umso mehr, als das Landgericht zur angenommenen Mittäterschaft der gefährlichen Körperverletzung ausgeführt hat, dass die Angreifer aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses handelten, sie den Nebenkläger mit Messern verletzen wollten, der Angeklagte ´tatplangemäß´ zuerst zustach und die beiden Mit-

täter fast zeitgleich handelten.

(…) Das Landgericht hat zudem als vorsatzkritischen Umstand berücksichtigt, dass es sich um eine Spontantat gehandelt habe. Diese Annahme ist weder tragfähig belegt, noch hat die Strafkammer in diesem Zusammenhang die naheliegende Frage erörtert, ob einer Spontantat bereits der zeitliche Ablauf entgegenstehen könnte, da der Angeklagte erst etwa 15 bis 30 Minuten nach Verlassen des Parks bewaffnet zurückkehrte.

(…) Die Überzeugung des Landgerichts, der Angeklagte habe ´jedenfalls darauf vertraut, ein tödlicher Erfolg werde nicht eintreten, ist auch im Übrigen nicht tragfähig belegt.“

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Dr. Uwe P. Schlegel
Rechtsanwalt

Mail: koeln@etl-rechtsanwaelte.de


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