Zum Mordmerkmal der Heimtücke (hier: möglicherweise fehlende Arglosigkeit)
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zum Mordmerkmal der Heimtücke wie folgt entschieden (BGH, Beschl. v. 15.02.2022 – 4 StR 491/21):
„a) Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 21. Januar 2021 ‒ 4 StR 337/20, NStZ 2021, 609 Rn. 12; vom 20. August 2014 ‒ 2 StR 605/13, NStZ 2014, 574; Beschlüsse vom 29. April 2014 ‒ 3 StR 21/14, NStZ 2014, 633; vom 10. Januar 1989 ‒ 1 StR 732/88, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 7; Urteil vom 13. November 1985 ‒ 3 StR 273/85, BGHSt 33, 363, 365). Ohne Bedeutung für die Frage der Arglosigkeit ist dabei, ob das Opfer gerade einen Angriff gegen das Leben erwartet (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 1989 oder es die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in ihrer vollen Tragweite überblickt. Besorgt das Opfer einen gewichtigen Angriff auf seine körperliche Integrität, ist es vielmehr selbst dann nicht arglos, wenn es etwa wegen fehlender Kenntnis von der Bewaffnung des Täters die Gefährlichkeit des erwarteten Angriffs unterschätzt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. September 2010 ‒ 2 StR 274/10, NStZ-RR 2011, 10; Urteil vom 9. Januar 1991 ‒ 3 StR 205/90, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13).
b) Von diesem rechtlichen Maßstab ausgehend, lässt sich die Arglosigkeit der beiden Tatopfer entgegen den Ausführungen der Strafkammer nicht damit begründen, dass sie nicht mit einem bewaffneten oder sonst lebensbedrohenden Angriff des Angeklagten rechneten. Allein maßgeblich ist vielmehr, ob die Tatopfer zu dem Zeitpunkt, als der Angeklagte mit Tötungsabsicht die Waffe aus dem Hosenbund zog, jeweils irgendwie geartete erhebliche tätliche Angriffe gegen ihre Person erwarteten. Hierzu verhalten sich die Urteilsfeststellungen aber in keiner Weise. Zu dem Bruder des Angeklagten ist der Sachverhaltsschilderung des angefochtenen Urteils zu entnehmen, dass er im Anschluss an das Eindringen des Angeklagten in das Wohnzimmer davon ausging, der Angeklagte wolle sich mit ihm schlagen, wobei allerdings unklar bleibt, ob die tätliche Auseinandersetzung aus Sicht des Opfers im weiteren Handlungsablauf unmittelbar bevorstand oder von ihm nach einer Zäsur mit zeitlichem Abstand erwartet wurde. Bezüglich der Getöteten lassen schließlich auch die Ausführungen der Strafkammer zur rechtlichen Würdigung nicht hinreichend erkennen, ob sie in der Tatsituation einen tätlichen Angriff des Angeklagten auf ihre Person für möglich hielt.
Das Mordmerkmal der Heimtücke bedarf daher einer erneuten tatrichterlichen Prüfung und Entscheidung.“