Wie weit reichen Warn-, Prüf- und Schutzpflichten einer Bank in „Enkel-Trick-Fällen“?
Zu der aufgeworfenen Frage hat das Landgericht (LG) Dortmund entschieden und die Klage einer durch einen sog. „Enkel-Trick-Fall“ Geschädigten abgewiesen (LG Dortmund, Urt. v. 24.01.2024 – 3 O 340/23). In den Entscheidungsgründen des Urteils heißt es:
„Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus den §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 S. 1 BGB – andere Anspruchsgrundlagen kommen nicht ernsthaft in Betracht und werden auch von der Klägerin nicht angeführt – ist mangels Verletzung einer (Neben-)Pflicht aus dem Girovertrag nicht gegeben.
Die Beklagte hat mit der Auszahlung der 25.000,00 € am 17.07.2023 in bar an die Klägerin keine dieser gegenüber bestehende (neben-)vertragliche Pflicht verletzt. Sie war vielmehr nach § 675o Abs. 2 BGB zur Ausführung des ihr erteilten Zahlungsauftrages gesetzlich verpflichtet.
Es ist gemeinhin anerkannt, dass sich ein Zahlungsdienstleister in der Regel schon wegen der Massenhaftigkeit der Geschäftsvorgänge – auch bei Bargeldauszahlungen am Schalter – auf eine rein formale Prüfung des Inhalts, ob der ihm erteilte Auftrag seinem äußeren Erscheinungsbild nach in Ordnung ist, beschränken darf. Zwar ist ebenso anerkannt, dass Warn- und Hinweispflichten des Kreditinstituts bestehen können; diese sind jedoch auf die seltenen Ausnahmefälle beschränkt, dass Treu und Glauben es nach den Umständen des Einzelfalls gebieten, vor Ausführung des Auftrags vorherige Rückfrage bei dem abhebewilligen Bankkunden zu halten, um diesen vor einem möglicherweise drohenden Schaden zu bewahren. Um die Banken nicht übermäßig zu belasten und auch um Bargeldabhebungen nicht übermäßig zu erschweren, beschränken sich die Warn- und Hinweispflichten auf objektive Evidenz aufgrund massiver Verdachtsmomente; zusätzliche Prüfungspflichten sollen gerade nicht begründet werden (vgl. OLG Köln, Urt. v. 23.06.2022 – 18 U 8/21 – BeckRS 2022, 17622, Rn. 55 f. m.w.N.). Dies entspricht der von der Beklagten auf S. 6 der Klageerwiderungsschrift vom 02.11.2023 (Bl. 44 d.A.) zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Urt. v. 22.06.2004 – XI ZR 90/03 – NJW-RR 2004, 1637, 1638; Urt. v. 06.05.2008 – XI ZR 56/07 – NJW 2008, 2245, 2246, Rn. 15 f.; außerdem: Urt. v. 19.09.2023 – XI ZR 343/22 – NJW 2023, 3719, 3721, Rn. 24 [Mitwirkung des Zahlungsdienstleisters bei unerlaubtem Glücksspiel]).
Wenn nun ein Bankkunde bzw. eine Bankkundin – mag er oder sie auch einen nervösen Eindruck vermitteln – am Schalter die Barauszahlung eines für ihn bzw. sie unüblich hohen Betrages verlangt, hat die Bank ohne Hinzutreten weiterer, außergewöhnlicher Umstände die Motivation für die Abhebung nicht zu hinterfragen. Im Gegenteil ist sie aus dem Girovertrag ihrem Kunden bzw. ihrer Kundin gegenüber zur Ausführung des Auftrags verpflichtet, § 675o Abs. 2 BGB.
Auch aus den von der Klägerin behaupteten Gesamtumständen – wobei dahingestellt bleiben kann, ob ihr Vorname N1 gemeinhin tatsächlich als „altmodisch“ wahrgenommen wird (diese Begrifflichkeit beruht offenbar auf dem von der Klägerin vorgelegten polizeilichen Informationsblatt zum sog. „Enkel-Trick“, Anlage K3 = Bl. 89 f. d.A.), und für das Gericht schwer nachvollziehbar (indes nicht entscheidungserheblich) ist, wie die Klägerin am Telefon die „weitere weinende Frau, die sich als die Tochter der Klägerin ausgegeben habe“ tatsächlich für ihre Tochter halten konnte – musste sich der Beklagten bzw. ihrem Mitarbeiter Herrn T1 nicht aufdrängen, dass die Abhebung des Geldbetrages nicht aus freien Stücken erfolgte. Es geht hier gerade nicht um die Barauszahlung an einen Nichtberechtigten (vgl. zum Pflichtenkreis der Bank, sich selbst und den Kunden durch – neben Prüfung der vorgelegten ec-Karte – zusätzliche Maßnahmen gegen Barauszahlungen an Nichtberechtigte zu schützen: OLG Köln, Urt. v. 25.10.1995 – 13 U 28/95 – NJW-RR 1996, 619; LG Bonn, Urt. v. 23.08.2005 – 3 O 126/05 – NJW-RR 2005, 1645, 1647 f.). Die Klägerin war vielmehr Kontoinhaberin und als solche berechtigt, Bargeld – auch in dieser Höhe – abzuheben. Der Schaden entstand hier auch nicht mit der eigentlichen Bargeldabhebung, sondern erst mit der Weitergabe des Geldes an den nichtberechtigten vermeintlichen Gerichtskassenmitarbeiter. Der innere Beweggrund der Klägerin für die Abhebung des Geldes ist gerade nicht nach außen hervorgetreten und war damit für die Beklagte auch nicht erkennbar. Es würde die oben näher beschriebenen Prüf-, Warn- und Schutzpflichten von Kreditinstituten bei weitem überspannen, wollte man ihnen abverlangen, jede – und sei es: erstmalige – Abhebung eines hohen Bargeldbetrages durch einen älteren – und sei es: nervös wirkenden – Menschen auf Plausibilität zu überprüfen.
Eine Pflichtverletzung der Beklagten ist nach alledem unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ersichtlich, weshalb die Klage der Abweisung zu unterliegen hatte.“