Was gilt, wenn der Arbeitgeber bezweifelt, dass eine durch eine im EU-Ausland ansässigen Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung missbräuchlich oder betrügerisch ausgestellt worden ist?
Siehe dazu BAG, Beschl. v. 19.02.1997 – 5 AZR 747/93 sowie die Anm. von Neugebauer/Westhues zu BAG, Urt. v. 08.09.2021 in DB 022, 471. Im Leitsatz der Entscheidung des BAG aus dem Jahr 1997 heißt es:
„1. Nach Art. 18 der Verordnung (EWG) Nr 574/72 vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ist der zuständige Träger, auch wenn es sich dabei um den Arbeitgeber und nicht um einen Träger der sozialen Sicherheit handelt, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an die vom Träger des Wohn- oder Aufenthaltsorts getroffenen ärztlichen Feststellungen über den Eintritt und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit gebunden, sofern er die betroffene Person nicht durch einen Arzt seiner Wahl untersuchen läßt (EuGH Urteil vom 3. Juni 1992, C-45/90, EuGHE 1992 I, 3458 = AP Nr. 1 zu Art 18 EWG-Verordnung Nr 574/72).
- Dem Arbeitgeber ist es jedoch nicht verwehrt, Nachweise zu erbringen, anhand deren das nationale Gericht ggf. feststellen kann, daß der Arbeitnehmer mißbräuchlich oder betrügerisch eine gem Art. 18 der Verordnung Nr 574/72 festgestellte Arbeitsunfähigkeit gemeldet hat, ohne krank gewesen zu sein (EuGH Urteil vom 2. Mai 1996, C-206/94, EuGHE I 1996, 2357 = EzA § 5 EFZG Nr 1).
- Das bedeutet:
a. Der Arbeitnehmer hat dann keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach dem Lohnfortzahlungsgesetz i.V.m. Art. 22 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 und den Art. 18 und 24 der Verordnung (EWG) Nr 574/72, wenn er in Wirklichkeit nicht arbeitsunfähig krank war und sein Verhalten mißbräuchlich oder betrügerisch war. Allerdings handelt der Arbeitnehmer in aller Regel mißbräuchlich oder betrügerisch, wenn er sich arbeitsunfähig krankschreiben läßt, obwohl er es nicht ist.
b. Die Beweislast dafür, daß der Arbeitnehmer nicht arbeitsunfähig krank war, trägt der Arbeitgeber. Es reicht – anders als bei im Inland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen – nicht aus, daß der Arbeitgeber Umstände beweist, die nur zu ernsthaften Zweifeln an der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit Anlaß geben.
c. Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. Das Gericht hat dabei auch die prozessualen und vorprozessualen Handlungen, Erklärungen und Unterlassungen der Parteien und ihrer Vertreter zu würdigen.“