Personenbedingte bzw. krankheitsbedingte Kündigung eines Arbeitsverhältnisses
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hatte über eine arbeitgeberseitige, personenbedingte Kündigung zu entscheiden (LAG Köln, Urt. v. 28.03.2023 – 4 Sa 659/22, NJW 2023, 2446). Das Gericht hat in Übereinstimmung mit der Vorinstanz der Klage stattgegeben. In den Entscheidungsgründen heißt es:
„Nach § 1 Absatz 2 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung unter anderem dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe, die in der Person des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist.
Bei häufigen (Kurz-)Erkrankungen ist, damit sie eine Kündigung sozial rechtfertigen können, zunächst eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen – erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes – zweite Stufe – festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung – dritte Stufe – ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen (BAG vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13; BAG vom 10.12.2009, 2 AZR 400/08; BAG vom 07.11.2002, 2 AZR 599/01).
Bereits die erste Stufe war nicht erfüllt, so dass insbesondere die Frage der Verhältnismäßigkeit nicht mehr zu prüfen war. Eine negative Zukunftsprognose konnte zumindest zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Kündigung noch nicht erstellt werden.
Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast in Bezug auf die erste Stufe der negativen Zukunftsprognose galt hierbei folgendes:
Der Arbeitgeber kann sich zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten des Arbeitnehmers in der Vergangenheit mitzuteilen. Hierbei ist nicht auf einen starren Zeitraum abzustellen. Der Arbeitnehmer muss sodann – sofern die vom Arbeitgeber mitgeteilten Zahlen die Annahme einer negativen Zukunftsprognose vermuten lassen – gemäß § 138 Absatz 2 ZPO dartun, weshalb die Besorgnis weiterer Erkrankungen unberechtigt sein soll. Dieser Mitwirkungspflicht genügt er schon dann, wenn er die Behauptung des Arbeitgebers bestreitet und die Ärzte von der Schweigepflicht entbindet, die ihn behandelt haben, soweit darin die Darstellung liegt, die Ärzte hätten die künftige gesundheitliche Entwicklung ihm gegenüber bereits tatsächlich positiv beurteilt. Trägt er selber konkrete Umstände, wie die Krankheitsursache vor, so müssen diese geeignet sein, die Indizwirkung der bisherigen Fehlzeiten zu erschüttern (BAG vom 10.11.2005, 2 AZR 44/05; BAG vom 07.11.2002, 2 AZR 599/01; BAG vom 06.09.1989, 2 AZR 19/89).
Beweispflichtig für die negative Zukunftsprognose ist der Arbeitgeber, § 1 Absatz 2 Satz 4 KSchG (vgl. BAG vom 12.04.2002, 2 AZR 148/01).
Die als unstreitig feststehenden Fehlzeiten der klagenden Partei, ihre jeweilige Dauer und ihre Ursachen sind in erster Linie die für die Rechtfertigung der Besorgnis künftiger Erkrankungen maßgebenden Anhaltspunkte. Ihre Bewertung, ob sie ausreichen, die Annahme künftiger erheblicher Fehlzeiten zu rechtfertigen, ist in erster Linie Sache des Tatrichters, dem hierfür im Rahmen der §§ 144, 286 ZPO ein Ermessensspielraum zusteht (BAG vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13; BAG vom 14.01.1993, 2 AZR 343/92; BAG vom 26.05.1977, 2 AZR 201/76; BAG vom 06.09.1989, 2 AZR 19/89; BAG vom 07.12.1989, 2 AZR 225/89). Der Tatrichter ist im Rahmen seines Ermessens nach § 144 ZPO nur dann zur Erhebung des Sachverständigenbeweises verpflichtet, wenn ihm die Sachkunde zur Prüfung fehlt, ob der bisherige Krankheitsverlauf ausreichende Indizien für eine negative Prognose enthält (BAG vom 06.09.1989, 2 AZR 19/89; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 181)
Jedoch kann bestimmten Ursachen bereits aufgrund ihrer Eigenart die Eignung für eine auf sie aufbauende Gesundheitsprognose abgesprochen werden, so dass es insoweit auf die richterliche Würdigung und den darin enthaltende Ermessensspielraum nicht ankommt. Hierunter fallen alle Erkrankungen, denen ihrer Natur nach oder aufgrund ihrer Entstehung keine Aussagekraft für eine Wiederholungsgefahr beizumessen ist. Dazu gehören in erster Linie Unfälle, soweit es sich nach ihrer Entstehung um einmalige Ereignisse handelt, sowie sonstige offenkundig einmalige Gesundheitsschäden (BAG vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13; BAG vom 08.11.2007, 2 AZR 292/06; BAG vom 10.11.2005, 2 AZR 44/05; BAG vom 06.09.1989, 2 AZR 19/89; BAG vom 02.11.1989, 2 AZR 335/89; BAG vom 07.12.1989, 2 AZR 225/89; NK-ArbR/Christof Kerwer KSchG § 1 Rn. 456 f.).
So verhielt es sich hier. Aufgrund der Eigenart der streitgegenständlichen Krankheitsursachen schied eine negative Zukunftsprognose aus:
Die Klägerin hatte – unstreitig – im streitgegenständlichen Zeitraum 2 Unfälle: Am 14.05.2019 sowie am 14.04.2020.
Der Unfall vom 14.05.2019 führte zunächst zu einem Meniskusriss links, einer Fraktur des Tibiaschaftes links – also einem Abschnitt vom Schienbein – sowie zu einer Verstauchung und Zerrung des linken Knies. Diese unmittelbaren Folgen führten zu einer Arbeitsunfähigkeit bis zum 20.09.2019 (= 91 Tage). Mittelbare Folge dieses Unfalls war eine Entzündung der linken Achillessehne aufgrund des verletzten Knies, welche zu einer Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum vom 21.11.2019 bis zum 04.12.2019 (= 11 Tage) führte. Damit verblieben für das Jahr 2019 allenfalls (130 – 102) 28 Tage, die möglicherweise für die Frage der Indizwirkung herangezogen werden könnten. Selbst wenn es sich – was von der Beklagten nicht vorgetragen wurde – bei den aufgeführten Tagen allein um Arbeits- und nicht Kalendertage gehandelt haben sollte, wäre bei Herausrechnung der Unfallfolgen der Zeitraum von 6 Wochen im Jahr 2019 nicht überschritten. Die Erkrankungen im Jahr 2019 waren mithin nicht geeignet, eine negative Zukunftsprognose annehmen zu können.
Gleiches gilt für das Folgejahr:
Der Unfall vom 14.04.2020 führte zu einer Verletzung des rechten Knies, was zu einer Arbeitsunfähigkeit bis zum 28.06.2020 (= 50 Tage) führte. Damit verblieben für das Jahr 2020 allein noch (60 – 50) 10 Tage, die geeignet sein könnten, um eine negative Zukunftsprognose erstellen zu können. Dieser Zeitraum liegt deutlich unter 6 Wochen, ist also kündigungsrechtlich ohne Bedeutung.
Damit waren auch die Krankheitszeiten im Jahr 2020 ebenfalls nicht geeignet, eine Indizwirkung für eine negative Zukunftsprognose anzunehmen, so dass es nicht mehr darauf ankam, dass die Klägerin für die Folgezeit – also ab dem 28.06.2020 – zu pauschal vorgetragen hatte.
Im Jahr 2021 verhielt es sich nicht anders:
Die erheblichen Krankheitstage resultierten im Wesentlichen aus einer ununterbrochenen Arbeitsunfähigkeit seit dem 06.07.2021, welche nach dem insoweit nicht näher bestrittenen Sachvortrag der Klägerin mittelbare Folge des Unfalls vom 14.04.2020 waren, da es infolge des Unfalls und seiner Folgen im weiteren Verlauf zu einer Verletzung der rechten Achillessehne kam. Auch diese Krankheitsphase ist daher auf ein einmaliges Ereignis zurückzuführen und daher nicht prognosegeeignet.
Irrelevant war in diesem Zusammenhang zudem, ob – wie von der Klägerin behauptet – die Verletzung an der Achillessehne annähernd ausgeheilt war. Die Beklagte mag bestritten haben, dass die Verletzung ausgeheilt sei. Hierauf kam es aufgrund oben dargestellter Grundsätze jedoch nicht an: Ob eine Verletzung aufgrund eines Unfalls zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung tatsächlich ausgeheilt ist, ist kündigungsrechtlich nicht relevant. Die höchstrichterliche Rechtsprechung differenziert nach den dargestellten Grundsätzen nicht zwischen ausgeheilten, unfallbedingten Verletzungen und nicht ausgeheilten, unfallbedingten Verletzungen. Stattdessen geht das BAG davon aus, dass grundsätzliche sämtliche Erkrankungen, die aufgrund eines einmaligen Ereignisses – wie ein Unfall – auftreten, nicht prognosegeeignet sind. Es wird eben gerade nicht danach differenziert, ob diese zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung tatsächlich schon ausgeheilt waren.
Nach alldem war jedenfalls zum Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung eine negative Zukunftsprognose, die die Beklagte hätte darlegen und beweisen müssen, nicht anzunehmen.“