Ist eine Ausschlussfrist unwirksam, wenn Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit, die auf einer fahrlässigen Pflichtverletzung beruhen, nicht ausgenommen sind?
Nein, meint das Bundesarbeitsgericht, vor allem unter Verweis auf § 310 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 BGB (BAG, Urt. v. 24.05.2022 – 9 AZR 461/21 m. Anm. Zaumseil in DB 2022, 2739). In den Entscheidungsgründen heißt es dazu:
„5. Unter angemessener Berücksichtigung der tatsächlichen und rechtlichen Besonderheiten der Haftung im Arbeitsverhältnis führt es nicht zur Unwirksamkeit, dass die Ausschlussfristenregelung in § 15 Abs. 1 Satz 2 des Arbeitsvertrags nur die Haftung wegen Vorsatzes und grober Fahrlässigkeit ausnimmt, nach ihrem Wortlaut aber entgegen § 309 Nr. 7 Buchst. a BGB Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit, die auf einer fahrlässigen Pflichtverletzung beruhen, verfallen können.
a) Nach § 309 BGB ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ein Ausschluss oder eine Begrenzung der Haftung für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit, die auf einer fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders oder einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Pflichtverletzung eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen des Verwenders beruhen, unwirksam (§ 309 Nr. 7 Buchst. a BGB). Ebenso unwirksam ist ein Ausschluss oder eine Begrenzung der Haftung für sonstige Schäden, die auf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders oder auf einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen des Verwenders beruhen (§ 309 Nr. 7 Buchst. b BGB).
b) § 15 Abs. 1 Satz 2 des Arbeitsvertrags trägt den Klauselverboten des § 309 Nr. 7 BGB nur insoweit Rechnung, als Ansprüche, die auf Handlungen wegen Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruhen, von einem Verfall ausdrücklich ausgenommen sind. Die Haftung der Beklagten für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit, die auf einer fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders oder seiner gesetzlichen Vertreter oder Erfüllungsgehilfen resultieren, wird von der Klausel erfasst.
aa) Entgegen der Ansicht der Klägerin erfasst diese Ausnahme auch Ansprüche, die auf vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzungen eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen des Verwenders beruhen. Die Bestimmung differenziert nicht danach, wer handelt. Sie ist nicht auf Handlungen des jeweiligen Vertragspartners beschränkt, sondern bezieht sich auf sämtliche Handlungen, für die eine Haftung des Vertragspartners in Betracht kommt. Die Beklagte als Verwenderin haftet gemäß § 278 Satz 1 BGB für ihre Erfüllungsgehilfen. Wäre sie gesetzlich vertreten, wäre ihr auch das Handeln ihrer gesetzlichen Vertreter zuzurechnen.
bb) Die ausdrückliche Ausnahme bestimmter Ansprüche in § 15 Abs. 1 Satz 2 und 3 des Arbeitsvertrags zeigt im Umkehrschluss, dass sich der Anwendungsbereich der Ausschlussklausel auf Ansprüche erstrecken soll, die nicht als ausgenommen aufgeführt sind (vgl. BAG 22. Oktober 2019 – 9 AZR 532/18 – Rn. 20, BAGE 168, 186; 28. September 2017 – 8 AZR 67/15 – Rn. 62). Erfasst von der Verfallmöglichkeit nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 des Arbeitsvertrags sind danach die Haftung des Verwenders für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit, die aus einer fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders oder seiner gesetzlichen Vertreter oder Erfüllungsgehilfen resultieren.
c) Es führt nicht zur Unwirksamkeit, dass § 15 Abs. 1 Satz 2 des Arbeitsvertrags Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit, die auf einer fahrlässigen Pflichtverletzung beruhen, nicht von dem Verfall von Ansprüchen ausnimmt und damit den Klauselverboten des § 309 Nr. 7 Buchst. a BGB nicht Rechnung trägt.
aa) Nach § 310 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 BGB sind bei der Anwendung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen – also auch bei der Anwendung von § 309 Nr. 7 BGB – die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen. Erfasst werden nicht nur rechtliche, sondern auch tatsächliche Besonderheiten des Arbeitslebens.
bb) Der Anwendungsbereich und damit die praktische Bedeutung von § 309 Nr. 7 Buchst. a BGB ist im Arbeitsverhältnis durch die Bestimmungen des Rechts der Gesetzlichen Unfallversicherung deutlich begrenzt. Die §§ 104 ff. SGB VII regeln – als im Arbeitsrecht geltende rechtliche Besonderheit – die für das Arbeitsverhältnis typischen Haftungssituationen im Zusammenhang mit Verletzungen von Leben, Körper oder der Gesundheit sondergesetzlich und schließen für die typischen Haftungsrisiken des Arbeitgebers als Verwender der Ausschlussfristenregelung einen Haftungsanspruch des Arbeitnehmers iSv. § 309 Nr. 7 Buchst. a BGB aus. Haftungsansprüche des Arbeitnehmers wegen fahrlässiger Verletzung von Leben, Körper oder Gesundheit können danach nur dann nach einer ´alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis´ erfassenden Ausschlussfristenregelung verfallen, wenn – was in der betrieblichen Praxis den Ausnahmefall darstellt – der Anwendungsbereich der §§ 104 ff. SGB VII nicht eröffnet ist. Erfasst eine Ausschlussfristenregelung diese verbleibenden Haftungsansprüche des Arbeitnehmers wegen fahrlässiger Pflichtverletzung, ist der Verstoß gegen § 309 Nr. 7 Buchst. a BGB unter Berücksichtigung der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten nicht so gewichtig, dass er zur Unwirksamkeit der Verfallklausel führt (mit ausf. Begründung BAG 22. Oktober 2019 – 9 AZR 532/18 – Rn. 23 ff. mwN, BAGE 168, 186).“