Gibt es einen Anspruch des Auftraggebers auf Schadensersatz, wenn der Auftragnehmer mangelhaft arbeitet, die Abnahme aber ohne Mängelvorbehalt erfolgt ist?
Ja, meint das Oberlandesgericht (OLG) Köln (OLG Köln, Beschl. v. 01.12.2021 – 16 U 115/21, NJW-Spezial 2022, 140). In den Entscheidungsgründen heißt es:
„b. Zu Unrecht wendet sich die Berufung zum anderen auch gegen die Ansicht des Landgerichts, dass selbst auf Basis des Beklagten-Vorbringens, wonach seitens des Klägers eine Abnahme ohne Mängelvorbehalt erfolgt sei, der Schadensersatzanspruch des Klägers nicht ausgeschlossen sei, weil § 640 Abs. 3 BGB diese Folge nicht vorsieht.
Diese Auffassung des Landgerichts entspricht der herrschenden Ansicht (s. BGH, Urt. v. 12.05.1980 – VII ZR 228/79 = BGHZ 77, 134 ff., zitiert nach juris, Rz. 12 ff.; OLG Köln, Urt. v. 14.02.2006 – 3 U 41/05, zitiert nach juris, Rz. 15; Busch in MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 640 Rz. 39 f.; Voit in BeckOK, BGB, Stand 1,5,2020, § 640 Rz. 45; Kögl in BeckOGK, BGB, Stand 15.08.2021, § 640, Rz. 223; Erman/Rodemann, BGB, 16. Aufl., § 640 Rz. 15; Palandt/Retzlaff, BGB, 80. Aufl., § 640 Rz. 22; Genius in JurisPK-BGB, 9. Aufl., 2020, § 640, Rz. 60; Pause/Vogel in Kniffka, Bauvertragsrecht, 3. Aufl. 2018, § 640 BGB, Rz. 88; Jansen NZBau 2016, 688; Schwenker NJW 2016, 1747; Schmitt JR 2019, 1 ff.; anders OLG Schleswig Urt. v. 18.12.2015 – 1 U 125/14 = NZBau 2016, 298, Rz. 50 f. = NJW 2016, 1744; Buchwitz NJW 2017, 1777). Dem schließt sich der Senat aus folgenden Gründen an:
(1) Der Wortlaut des § 640 Abs. 3 BGB ist eindeutig, wenn es dort heißt, dass dem Besteller bei einer Werkabnahme in Kenntnis von Mängeln, ´die in § 634 Nr. 1 bis 3 bezeichneten Rechte nur zu[stehen], wenn er sich seine Rechte … vorbehält´. Der in § 634 Nr. 4 BGB geregelte Schadensersatzanspruch ist also ausdrücklich von einem Verlust ausgenommen.
(2) Diese Fassung des § 640 Abs. 3 BGB entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. Während bezüglich der Vorgängerregelung des § 640 Abs. 2 BGB a.F. noch im Streit stand, ob die dort enthaltene Verweisung unter Ausschluss des in § 635 BGB a.F. geregelten Schadensersatzanspruches auf einem Redaktionsversehen beruhte, ist ein solches nach der Neufassung der Regelung in § 640 Abs. 3 BGB im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes vom 26.11.2001 auszuschließen, da der genannte Streit zu diesem Zeitpunkt bekannt war und der Gesetzgeber den Fortbestand des Schadensersatzanspruches nach § 634 Nr. 4 BGB somit in seinen Willen aufgenommen hat (vgl. Busch in MüKo, a.a.O., Rz. 40).
(3) Die in § 640 Abs. 3 BGB statuierte Unterscheidung zwischen den verschuldensunabhängigen Rechten nach § 634 Nr. 1 bis 3 BGB und dem verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruch nach § 634 Nr. 4 BGB ist auch – dies gerade entgegen der Wertung der Berufung und des OLG Schleswig (Urt. v. 18.12.2015 – 1 U 125/14 = NZBau 2016, 298, Rz. 50 f. = NJW 2016, 1744) – interessengerecht, denn es besteht kein Anlass, den Unternehmer im Fall einer rügelosen Abnahme auch von den Folgen schuldhafter Vertragsverletzung freizustellen (BGH, Urt. v. 12.05.1980, a.a.O., Rz. 12).
(4) Die genannte Differenzierung fügt sich auch zu den übrigen Gewährleistungsregelungen des Werkvertragsrechts. Soweit dem widersprechend das OLG Schleswig (a.a.O., Rz. 52) meint, bei einer rügelosen Abnahme ließen sich die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches gar nicht mehr erfüllen, weil der Besteller aufgrund des verlorenen Anspruchs auf Nacherfüllung dem Unternehmer nicht mehr die gemäß § 281 Abs. 1 BGB gebotene Frist zur Mangelbeseitigung setzen könne, verkennt es, dass eine Fristsetzung weiterhin möglich ist. Denn der Unternehmer verliert seine Mängelbeseitigungsbefugnis nicht zwingend dadurch, dass der Besteller seinen Mängelbeseitigungsanspruch verliert (vgl. Pause/Vogel in Kniffka, a.a.O.).“