Gibt es einen Anspruch des Arbeitnehmers auf vertragsgemäße Beschäftigung?
Grundsätzlich ja, das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (siehe etwa BAG, Urt. v. 01.06.2022 – 5 AZR 407/21, NJW-Spezial 2022, 658). In den Entscheidungsgründen heißt es:
„2. Im Arbeitsverhältnis besteht grundsätzlich ein von der Rechtsprechung im Wege der Rechtsfortbildung entwickelter Anspruch des Arbeitnehmers auf vertragsgemäße Beschäftigung und damit korrespondierend eine Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer vertragsgemäß zu beschäftigen, wenn dieser es verlangt. Rechtsgrundlage hierfür ist § 611a Abs. 1 Satz 1, § 613 BGB iVm. der Generalklausel des § 242 BGB, die durch die Wertentscheidungen der Art. 1 und 2 GG ausgefüllt wird (grundlegend BAG 27. Februar 1985 – GS 1/84 – zu C I 2 der Gründe, BAGE 48, 122; seither st. Rspr., vgl. nur BAG 24. Juni 2015 – 5 AZR 462/14 ua. – Rn. 34, BAGE 152, 65; 21. Februar 2017 – 1 AZR 367/15 – Rn. 19, BAGE 158, 148; 24. März 2021 – 10 AZR 16/20 – Rn. 33 – jeweils mwN; im Ergebnis ganz hM, vgl. – statt vieler – ErfK/Preis 22. Aufl. BGB § 611a Rn. 563 ff.; HWK/Thüsing 9. Aufl. § 611a BGB Rn. 321 ff.; MHdB ArbR/Reichold 5. Aufl. § 92 Rn. 4 ff.; Schaub ArbR-HdB/Ahrendt 19. Aufl. § 109 Rn. 5). Der Arbeitnehmer soll – als Ausdruck und in Achtung seiner Persönlichkeit und seines Entfaltungsrechts – tatsächlich arbeiten können (zum ideellen Beschäftigungsinteresse sh. auch BAG 27. Mai 2020 – 5 AZR 247/19 – Rn. 44, BAGE 170, 311). Weil – was rechtskräftig feststeht – sämtliche Kündigungen des beklagten Landes das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst haben, hat der Kläger einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung als Schulleiter der Ballettschule.
3. Die titulierte Beschäftigung ist dem beklagten Land nicht unmöglich (geworden) iSd. § 275 Abs. 1 BGB (vgl. zu einem solchen Einwand BAG 5. Februar 2020 – 10 AZB 31/19 – Rn. 18; 21. März 2018 – 10 AZR 560/16 – Rn. 20 ff., BAGE 162, 221). Seine Auffassung, § 71 Satz 1 Schulgesetz für das Land Berlin vom 26. Januar 2004 (iF SchulG) begründe „rechtliches Unvermögen zur Berufstätigkeit des Klägers als Schulleiter“, ist unzutreffend.
a) Bei der Frage eines „rechtlichen Unvermögens“ zur Ausübung der geschuldeten Tätigkeit ist zu differenzieren, ob es um das materielle, auf die Erlangung von Arbeitsentgelt gerichtete oder um das ideelle, auf tatsächliche Beschäftigung gerichtete Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers geht (zu diesen Interessen vgl. BAG 27. Mai 2020 – 5 AZR 247/19 – Rn. 23, 26 – jeweils mwN, BAGE 170, 311).
aa) Für die finanzielle Absicherung bei Nichtbeschäftigung sorgt § 615 Satz 1 BGB, der dem Arbeitnehmer unter den Voraussetzungen der §§ 293 ff. BGB den Entgeltanspruch trotz Nichtarbeit aufrechterhält (BAG 24. Juni 2015 – 5 AZR 462/14 ua. – Rn. 35, BAGE 152, 65; 27. Mai 2020 – 5 AZR 247/19 – Rn. 26, BAGE 170, 311 – jeweils mwN). Dabei kommt der Arbeitgeber nach § 297 BGB nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außer Stande ist, die Arbeitsleistung zu bewirken. Die Leistungsfähigkeit ist – neben dem Leistungswillen – eine vom Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzung, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen muss. Unerheblich ist dabei die Ursache für die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers. Das Unvermögen kann auf tatsächlichen Umständen (wie zB Arbeitsunfähigkeit) beruhen oder ihre Ursache im Rechtlichen haben, etwa wenn ein gesetzliches Beschäftigungsverbot besteht oder eine erforderliche Erlaubnis für das Ausüben der geschuldeten Tätigkeit fehlt (st. Rspr., vgl. nur – mit zahlreichen Beispielsfällen – BAG 21. Oktober 2015 – 5 AZR 843/14 – Rn. 23, BAGE 153, 85). In diesem Zusammenhang hat der Senat auch erkannt, dass ein zur Unmöglichkeit der Arbeitsleistung führendes gesetzliches oder behördliches Beschäftigungsverbot diese Rechtsfolge klar und deutlich zum Ausdruck bringen muss (BAG 18. März 2009 – 5 AZR 192/08 – Rn. 15, BAGE 130, 29; 21. Oktober 2015 – 5 AZR 843/14 – Rn. 31, aaO). Liegt ein Fall des § 297 BGB vor und scheidet damit Annahmeverzug des Arbeitgebers aus, bleibt dem Arbeitnehmer gleichwohl der Vergütungsanspruch aufrechterhalten, wenn der Arbeitgeber für die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers allein oder weit überwiegend verantwortlich ist (dazu BAG 19. August 2015 – 5 AZR 975/13 – Rn. 29, BAGE 152, 213) oder der Arbeitgeber den Arbeitnehmer trotz Kenntnis des Leistungshindernisses eingestellt und damit vertraglich das Vergütungsrisiko übernommen hat (BAG 28. September 2016 – 5 AZR 224/16 – Rn. 33, 35, BAGE 157, 34).
bb) Geht es wie im Streitfall ausschließlich um das ideelle Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers, kann die Frage des (Nicht-)Bestehens eines Anspruchs auf tatsächliche – vertragsgemäße – Beschäftigung nicht mit § 297 BGB beantwortet werden. Der von der Rechtsprechung entwickelte Beschäftigungsanspruch ist vielmehr gemäß § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, wenn die Beschäftigung dem Arbeitgeber unmöglich ist (vgl. – zur tatsächlichen Unmöglichkeit der Beschäftigung – BAG 5. Februar 2020 – 10 AZB 31/19 – Rn. 17 f. mwN). Das ist ua. dann der Fall, wenn die Rechtsordnung dem Arbeitgeber verbietet, den Arbeitnehmer mit der vereinbarten Tätigkeit (weiterhin) zu beschäftigen.“