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Freundschaft schließt bedingten Tötungsvorsatz nicht aus!

Freundschaft schließt bedingten Tötungsvorsatz nicht aus!
Aktuelles
15.08.2024

Freundschaft schließt bedingten Tötungsvorsatz nicht aus!

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich zu den Anforderungen an einen bedingten Tötungsvorsatz geäußert (BGH, Urt. v. 26.06.2024 – 6 StR 71/24). In den Entscheidungsgründen heißt es:

„Die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte im Hinblick auf die Geschädigten D.        und H.       nicht mit (bedingtem) Tötungsvorsatz handelte, entbehrt einer tragfähigen Beweiswürdigung.

(…) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder weil an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung insbesondere dann, wenn eine nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerung nicht gezogen worden ist, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können. Das Tatgericht darf bei der Überzeugungsbildung Zweifeln keinen Raum geben, die lediglich auf einer abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 9. Januar 2020 – 3 StR 288/19, Rn. 19; vom 28. Mai 2024 – 6 StR 479/23, Rn. 10, jeweils mwN).

(…) Daran gemessen erweist sich die der Verneinung des Tötungsvorsatzes zugrundeliegende Beweiswürdigung des Landgerichts als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Es ist bei seiner Überzeugungsbildung zugunsten des Angeklagten von Annahmen ausgegangen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte ergeben hat; zudem sind die Beweiserwägungen des Landgerichts insoweit lückenhaft.

(…) Dies gilt zunächst für die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte den Geschädigten D.        und H.       wegen der nach seinem Empfinden unzureichenden Unterstützung bei den Auseinandersetzungen mit dem Generalmusikdirektor und dem 2. Konzertmeister lediglich einen „Denkzettel“ habe erteilen wollen, um sie durch Zufügung schmerzhafter und potentiell lebensgefährlicher Symptome zu bestrafen, aber nicht zu töten. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte dieses Vorstellungsbild hatte, lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Sie ergeben sich insbesondere nicht aus den Angaben des den Tatvorwurf bestreitenden Angeklagten. Unabhängig davon, ob aus dem Aussageverhalten des Angeklagten ansonsten Schlüsse gezogen werden dürfen, bedeutet dies nicht, dass zu seinen Gunsten von Annahmen auszugehen ist, für die es keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 11. Januar 2005 – 1 StR 478/04, NStZ-RR 2005, 147, 148). Im Übrigen erweisen sich die Beweiserwägungen des Landgerichts zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten insoweit als lückenhaft, als es nicht in den Blick genommen hat, dass die Auseinandersetzungen des Angeklagten mit dem Generalmusikdirektor und dem 2. Konzertmeister, bei denen er sich von D.      und H.       nicht ausreichend unterstützt gefühlt hatte, im Tatzeitpunkt bereits Jahre zurücklagen.

(…) Gleiches gilt für die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe in Kenntnis seines potentiell lebensgefährlichen Vorgehens im Hinblick auf die im Vergleich mit seiner Mutter deutlich jüngeren Kollegen und deren ´vergleichsweise gute körperliche Fitness´ darauf vertraut, dass sich die Gefahr nicht realisieren werde. Zu dem Gesundheitszustand der Geschädigten D.     und H.       vor der Vergiftung hat das Landgericht keine Feststellungen getroffen, und den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass diese oder der Angeklagte dazu Angaben gemacht haben.

In diesem Zusammenhang hat es zudem nicht erkennbar bedacht, dass der Angeklagte hinsichtlich der ursprünglich beabsichtigten Vergiftung des 2. Konzertmeisters mit dem Rattengift einen tödlichen Verlauf billigend in Kauf genommen hätte. Den Urteilsfeststellungen lässt sich nicht entnehmen, dass der 2. Konzertmeister deutlich älter oder aus anderen Gründen vulnerabler war als D.       und H.       . Warum der Angeklagte bei ihnen dennoch ernsthaft auf einen nicht tödlichen Verlauf vertraut haben soll, erschließt sich nicht und hätte näherer Erörterung bedurft.

Die unterschiedliche Bewertung ergibt sich nicht ohne Weiteres daraus, dass der Angeklagte gegen den 2. Konzertmeister eine tiefe Abneigung entwickelt hatte, während er mit D.      und H.       befreundet war. Dieser Umstand ist für sich genommen nicht geeignet, einen bedingten Tötungsvorsatz zu verneinen. Zwar ist bei der Würdigung des Willenselements des Tötungsvorsatzes regelmäßig auch die Motivation des Täters in die Betrachtung miteinzubeziehen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2000 – 3 StR 321/00, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51). Da aber mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter regelmäßig über kein Tötungsmotiv verfügen (vgl. BGH, Urteile vom 26. März 2015 – 4 StR 442/14, Rn. 10; vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, Rn. 20; vom 30. November 2005 – 5 StR 344/05, Rn. 21), kommt dem jeweiligen Handlungsantrieb nur insoweit Bedeutung zu, als dieser Rückschlüsse auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen zulässt (vgl. BGH, Urteile vom 14. Februar 2024 – 5 StR 215/23, Rn. 14; vom 19. Dezember 2013 − 4 StR 347/13, Rn. 29, NStZ 2014, 147; vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, Rn. 20).

(…) Auch die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe darauf vertraut, dass D.      und H.       sich bei wahrnehmbaren Symptomen selbständig in ärztliche Behandlung begeben würden und ihnen rechtzeitig Vitamin K verabreicht werde, entbehrt einer tatsächlichen Grundlage. Sie ergibt sich insbesondere nicht aus den Angaben des Angeklagten. Er hat sich vielmehr dahin eingelassen, zwar gewusst zu haben, dass es Gegenmittel gegen Brodifacoum gebe, Vitamin K sei ihm in diesem Zusammenhang aber ´nicht geläufig´ gewesen. Im Übrigen sind die Beweiserwägungen des Landgerichts auch in diesem Punkt lückenhaft. Denn es hat sich insoweit nicht mit den von ihm als zutreffend bewerteten Ausführungen der toxikologischen und rechtsmedizinischen Sachverständigen auseinandergesetzt, wonach die durch Rattengift hervorgerufene Einschränkung der Blutgerinnungsfähigkeit schon deutlich vor nach außen erkennbaren Symptomen zu inneren Blutungen führen und ´das geringste alltägliche Bagatelltrauma´ eine tödliche Blutung zur Folge haben kann.“

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Autor(en)

Dr. Uwe P. Schlegel
Rechtsanwalt

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