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Fragen und Antworten zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach dem EntgeltFG

Antworten auf Fragen aus der Rechtspraxis
Fragen und Antworten zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach dem EntgeltFG
Aktuelles
20.06.2024

Fragen und Antworten zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach dem EntgeltFG

Antworten auf Fragen aus der Rechtspraxis

In diesem Beitrag beantworten wir Fragen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Dabei wird die aktuelle Rechtsprechung berücksichtigt.

Stand des Beitrags: 19. Juni 2024

 

Frage 1: Wo finden sich die wesentlichen gesetzlichen Regelungen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall?

Die wesentlichen gesetzlichen Regelungen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall finden sich im Entgeltfortzahlungsgesetz, üblicherweise abgekürzt EntgeltFG.

Frage 2: Sind die gesetzlichen Regelungen des EntgeltFG zwingend?

Ja, grundsätzlich sind die Bestimmungen des EntgeltFG zugunsten des Arbeitnehmers zwingend. Eine Ausnahme findet sich in § 4 Abs. 4 EntgeltFG (Abweichungen vom Gesetz durch einen Tarifvertrag, siehe auch § 12 EntgeltFG).

  • 12 EntgeltFG lautet:

„Abgesehen von § 4 Abs. 4 kann von den Vorschriften dieses Gesetzes nicht zuungunsten des Arbeitnehmers oder der nach § 10 berechtigten Personen abgewichen werden.“

Zugunsten des Arbeitnehmers darf von den Regelegungen des EntgeltFG abgewichen werden.

Frage 3: Wo ist der Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gegenüber seinem Arbeitgeber im Kern gesetzlich geregelt?

Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ergibt sich im Wesentlichen aus § 3 Abs. 1 Satz 1 EntgeltFG.

Frage 4: Wie hoch ist der Anspruch auf Entgeltfortzahlung?

Die Anspruchshöhe beträgt 100 % der „normalen“ Vergütung (§ 4 Abs. 1 EntgeltFG).

Die konkret vom Arbeitgeber geschuldete Entgeltfortzahlung orientiert sich an der durch Krankheit ausgefallenen Arbeitszeit und dem, was für diese Arbeitszeit durch den Arbeitgeber geschuldet wird. Es gibt also – ähnlich dem Urlaubsrecht – einen Zeitfaktor und einen Geldfaktor.

Frage 5: Was ist für Überstunden zu beachten?

Siehe dazu § 4 Abs. 1a EntgeltFG. Demnach sind Überstunden bei der Feststellung des Zeitfaktors nicht zu beachten. Das kann zu einer im Einzelfall schwierigen Abgrenzung zwischen Überstunden einerseits und der vertraglich vereinbarten und/oder „gelebten“ regelmäßigen Arbeitszeit führen (siehe dazu Erfurter Kommentar/Reinhard, 23. Aufl. 2023, § 4 EntgeltFG, Rn. 7).

Frage 6: Inwieweit können sich im Falle der Erkrankung Ansprüche des Arbeitnehmers gegenüber seiner Krankenversicherung bzw. Krankenkasse ergeben?

Nach den §§ 44 ff. SGB V steht dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Krankengeld zu. Dieser Anspruch ist auf 78 Wochen begrenzt.

Frage 7: Was hat es mit dem AAG auf sich?

Nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) steht Arbeitgebern unter Umständen ein Anspruch auf Ersatz eines Teils der von ihnen an den Arbeitnehmer gezahlten Entgeltfortzahlung gegenüber der Krankenkasse des Arbeitnehmers zu. Die dafür benötigen finanziellen Mittel werden durch ein Umlageverfahren aufgebracht.

Frage 8: Wer gehört zu den durch das EntgeltFG erfassten Personen?

Das ergibt sich aus § 1 Abs. 2 EntgeltFG. Danach sind alle Arbeitnehmer grundsätzlich anspruchsberechtigt. Zu den Arbeitnehmern zählen Arbeiter, Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten.

Zur wirtschaftlichen Sicherung für den Fall der Krankheit im Bereich der Heimarbeit siehe § 10 EntgeltFG.

Frage 9: Was versteht man im Zusammenhang mit dem EntgeltFG unter einer Anlasskündigung?

Siehe dazu § 8 Abs. 1 Satz 1 EntgeltFG und LAG Nürnberg, Urt. v. 04.07.2019 – 5 Sa 115/19 [aus den Entscheidungsgründen]:

„(…) Die klägerische Krankenkasse hat gegenüber der Beklagten aus übergegangenem Recht gemäß § 115 Abs. 1 SGB X i.V.m. §§ 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 und 3 Abs. 3 EFZG Anspruch auf Erstattung des an die Arbeitnehmerin für den Zeitraum vom 10.03.2018 bis 18.04.2018 gezahlten Krankengeldes.

(…) Ein Arbeitnehmer, der ohne eigenes Verschulden durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, hat während des Bestands des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen (§ 3 Abs. 1, Satz 1 EFZG). Voraussetzung ist, dass bei Beginn der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ein Arbeitsverhältnis besteht und gemäß § 3 Abs. 3 EFZG die vierwöchige Wartezeit erfüllt ist. Regelmäßig endet der Entgeltfortzahlungsanspruch mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses (§ 8 Abs. 2 EFZG). Dieser Grundsatz wird jedoch durch § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG durchbrochen. Ungeachtet des vorzeitigen, d.h., vor Ablauf des sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums liegenden Endes des Arbeitsverhältnisses, behält der Arbeitnehmer über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus den sechswöchigen Entgeltfortzahlungsanspruch, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit gekündigt hat.

Der Arbeitgeber kündigt dann aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit, wenn die Arbeitsunfähigkeit wesentliche Bedingung der Kündigung ist. Es kommt auf die objektive Ursache, nicht auf das Motiv der Kündigung an. Maßgebend sind die objektiven Umstände bei Ausspruch der Kündigung. Der Begriff ´aus Anlass´ ist weit auszulegen. Es genügt, wenn die Kündigung ihre objektive Ursache und wesentliche Bedingung in der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hat und den entscheidenden Anstoß für den Kündigungsentschluss gegeben hat (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BAG, Urteil vom 17.04.2008 – 5 AZR 2/01, zitiert nach juris). Darlegungs- und beweispflichtig für eine solche Anlasskündigung ist die Arbeitnehmerin bzw. im Falle des Forderungsübergangs die Krankenkasse. Indessen kommt ihr regelmäßig der Anscheinsbeweis zu Gute, wenn die Kündigung in zeitlich engem Zusammenhang zur angezeigten Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen worden ist. Eine Anlasskündigung ist mithin zu vermuten, wenn sie in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem zeitlichen Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erfolgt (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.03.2006 – 6 Sa 801/05, zitiert nach juris). Es ist dann zunächst Sache der Arbeitgeberin diesen Anschein durch Beweis dadurch zu erschüttern, dass nicht die angezeigte Arbeitsunfähigkeit, sondern andere Gründe zum Ausspruch der Kündigung führten. Dabei muss die Arbeitsunfähigkeit nicht alleiniger Grund für die Kündigung sein, sie muss nur Anlass zum Ausspruch der Kündigung gewesen sein. Sie muss mithin den Kündigungsentschluss als solchen wesentlich beeinflusst haben (BAG, Urteil vom 17.04.2002 – 5 AZR 2/01, zitiert nach juris).

(…) Diese Voraussetzungen des Fortbestandes des Entgeltfortzahlungsanspruchs über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus bis zur Dauer von insgesamt sechs Wochen liegen hier vor.

Die Klägerin hat den Anscheinsbeweis erbracht, dass die Kündigung der Arbeitnehmerin aus Anlass ihrer Erkrankung erfolgte. Die Kündigung und die Anzeige der Arbeitsunfähigkeit stehen bereits in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang. Darüber hinaus wird der Anscheinsbeweis auch noch durch den Umstand gestützt, dass bei Ausspruch der Kündigung der Ablauf der vierwöchigen Wartefrist gemäß § 3 Abs. 3 EFZG drohte und einen Tag nach Ablauf der Kündigungsfrist endete, so dass die Beklagte ab dem 10.03.2018 Entgeltfortzahlung hätte leisten müssen.

Die Beklagte vermochte diesen Anscheinsbeweis nicht zu erschüttern. Sie hat zwar vorgetragen, dass die Kündigung deswegen erfolgt sei, da die Klägerin bei der sogenannten Initialschulung (´Erstausbildung´), bestehend aus einem Basiskommunikationstraining und der Fachschulung hätte nicht teilnehmen können. Nehme ein Arbeitnehmer an der Schulung nicht teil, so könne er die Tätigkeit nicht ausführen, für die er eingestellt worden ist. Aus welchem Grund die Arbeitnehmerin der Schulung ferngeblieben sei, wäre für die Beklagte irrelevant gewesen. Hierbei verkennt die Beklagte, dass ursächlich für die Nichtteilnahme der Arbeitnehmerin deren Arbeitsunfähigkeit gewesen ist. Wie oben dargestellt, kommt es auf die objektive Ursache nicht auf das Motiv der Kündigung an. Die Arbeitsunfähigkeit und die damit verbundene Nichtteilnahme der Arbeitnehmerin an der Schulung war damit Anlass für den Ausspruch der Kündigung.

Soweit die Beklagte im Rahmen der Berufung nochmals darauf hingewiesen habe, dass die Arbeitnehmerin darüber hinaus auch während der Teilnahme an der Schulung desinteressiert gewirkt habe und dies auch in der Betriebsratsanhörung deutlich werde, folgt die erkennende Kammer dieser Argumentation nicht. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass in der Betriebsratsanhörung vom 15.02.2018 (Anlage B1) ein solcher Hinweis für den Leser der Betriebsratsanhörung gerade nicht ersichtlich wird. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Arbeitnehmerin aufgrund der Aussage ihres Ansprechpartners Herrn G… trotz Arbeitsunfähigkeit noch zwei Tage an der Schulung teilgenommen hat. Wenn die arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmerin daraufhin in der Schulung nicht leistungsfähig gewesen ist, liegt eine mögliche Erklärung hierfür in der der Beklagten bekannten Arbeitsunfähigkeit. Es erscheint damit treuwidrig, wenn sich die Beklagte auf ein solches Verhalten der Arbeitnehmerin während ihr Arbeitsunfähigkeit beruft. Weiter wäre zu berücksichtigen, dass die Beklagte ihren Kündigungsentschluss wegen eines mutmaßlichen Desinteresses der Arbeitnehmerin an der Schulung schon vor der Mitteilung der Arbeitsunfähigkeit gefasst haben müsste. Hierzu liegt kein nachvollziehbarer Sachvortrag durch die Beklagte vor. Insbesondere hat sich die Beklagte auch nicht mit dem Sachvortrag der Klägerin auseinandergesetzt, dass Herr G… anlässlich des Telefonats bezüglich der Mitteilung einer Arbeitsunfähigkeit gegenüber der Arbeitnehmerin geäußert habe, dass es ihm leid tue, dass die Arbeitnehmerin jetzt erkrankt sei, sie aber nun einmal in der Einarbeitung sei und dass daher das Beschäftigungsverhältnis beendet werden müsse. Auch dass Herr G… im weiteren Verlauf geäußert habe, dass Frau B… sich gerne nach erfolgter Genesung wieder melden könne, spricht gegen ein festgestelltes angebliches Desinteresse der Arbeitnehmerin.“

LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 22.07.2021 – 5 Sa 93/21 [Orientierungssätze zu 1.) und 2.)]:

„Grundsätzlich endet der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§§ 3 Abs. 1 S. 1, 8 Abs. 2 EntgFG). Jedoch wird der Anspruch gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 EntgFG nicht dadurch berührt, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt. Soweit der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers nicht erfüllt und deshalb Krankengeld gewährt wird, geht der Anspruch gemäß § 115 Abs. 1 SGB 10 auf die Krankenkasse über.

Die Darlegungs- und Beweislast für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 8 Abs. 1 S. 1 EntgFG trägt der Arbeitnehmer. Kündigt der Arbeitgeber im zeitlichen Zusammenhang mit der Erlangung der Kenntnis von der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, so spricht ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass er aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit gekündigt hat. Diesen Anscheinsbeweis kann der Arbeitgeber nur dadurch erschüttern, dass er Tatsachen vorträgt und gegebenenfalls beweist, aus denen sich ergibt, dass andere Gründe seinen Kündigungsentschluss bestimmt haben.“

Frage 10: Was meint man, wenn im Zusammenhang mit Ansprüchen des Arbeitnehmers nach dem EntgeltFG von einer „Wartezeit“ gesprochen wird?

Siehe dazu § 3 Abs. 3 EntgeltFG. Demnach beträgt die Wartezeit vier Wochen. Danach besteht ein (ungekürzter) Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

Frage 11: Was hat es mit der eAU auf sich?

Hier geht es um die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die es seit 01.01.2023 gibt. Siehe dazu unsere gesonderte FAQ-Liste eAU.

Frage 12: In welchem Umfang liefert ein (zahn-)ärztliches Attest den Beweis für eine tatsächlich vorhandene, durch Krankheit ausgelöste Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers?

Siehe dazu etwa BAG, Urt. v. 08.09.2021 – 5 AZR 149/21 [aus den Entscheidungsgründen]:

„a) Nach allgemeinen Grundsätzen trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG (BAG 11. Dezember 2019 – 5 AZR 505/18 – Rn. 16, BAGE 169, 117).

  1. aa) Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG reicht die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen. Diese gesetzgeberische Wertentscheidung strahlt auch auf die beweisrechtliche Würdigung aus (Staudinger/Oetker [2019] § 616 Rn. 540). Der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt daher aufgrund der normativen Vorgaben im Entgeltfortzahlungsgesetz ein hoher Beweiswert zu. Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt (so die st. Rspr. vgl. BAG 26. Oktober 2016 – 5 AZR 167/16 – Rn. 17, BAGE 157, 102; 15. Juli 1992 – 5 AZR 312/91 – zu II 1 der Gründe, BAGE 71, 9; ebenso MHdB ArbR/Greiner 5. Aufl. Bd. 1 § 82 Rn. 28; MüKoBGB/Müller-Glöge 8. Aufl. EFZG § 3 Rn. 79; Reinecke DB 1989, 2069 (unter 5.1.2); ErfK/Reinhard 21. Aufl. EFZG § 5 Rn. 14; Schmitt/Küfner-Schmitt in Schmitt EFZG 8. Aufl. § 5 EFZG Rn. 111; NK-GA/Sievers EFZG § 5 Rn. 66 f., jeweils mwN).
  2. bb) Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründet jedoch keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit iSd. § 292 ZPO mit der Folge, dass nur der Beweis des Gegenteils zulässig wäre (st. Rspr. BAG 11. August 1976 – 5 AZR 422/75 – zu 2 c der Gründe, BAGE 28, 144; 11. Oktober 2006 – 5 AZR 755/05 – Rn. 35; BGH 16. Oktober 2001 – VI ZR 408/00 – zu II der Gründe, BGHZ 149, 63; zust. MHdB ArbR/Greiner 5. Aufl. Bd. 1 § 82 Rn. 28; MüKoBGB/Müller-Glöge 8. Aufl. EFZG § 3 Rn. 79; ErfK/Reinhard 21. Aufl. EFZG § 5 Rn. 14; Schmitt/Küfner-Schmitt in Schmitt EFZG 8. Aufl. § 5 EFZG Rn. 111). Aufgrund des normativ vorgegebenen hohen Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt jedoch ein ´bloßes Bestreiten´ der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit mit einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen hat. Vielmehr kann der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Der Arbeitgeber ist dabei nicht auf die in § 275 Abs. 1a SGB V aufgeführten Regelbeispiele ernsthafter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beschränkt (MHdB ArbR/Greiner aaO Rn. 30; Staudinger/Oetker [2019] § 616 Rn. 367; ErfK/Reinhard aaO Rn. 17; Schmitt/Küfner-Schmitt in Schmitt aaO Rn. 124). Hierfür gibt es weder nach Wortlaut, Systematik und Zweck der Regelung, der in der Bekämpfung eines Missbrauchs der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall liegt (vgl. BT-Drs. 12/5263 S. 10), hinreichende Anhaltspunkte. Diese Bestimmung gibt ihm lediglich ein zusätzliches Instrument zur Erschütterung des Beweiswerts an die Hand, um einem missbräuchlichen Verhalten des Arbeitnehmers begegnen zu können. Den Beweiswert erschütternde Tatsachen können sich auch aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers (dazu bspw. BAG 26. Oktober 2016 – 5 AZR 167/16 – Rn. 18, BAGE 157, 102) oder aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst ergeben.
  3. cc) Bei der näheren Bestimmung der Anforderungen an die wechselseitige Darlegungslast der Parteien ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen hat und nur in eingeschränktem Maß in der Lage ist, Indiztatsachen zur Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzutragen. In Anbetracht dieser Schwierigkeiten hat das Bundesarbeitsgericht bereits erkannt, dass dem Arbeitgeber, der sich auf eine Fortsetzungserkrankung iSd. § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG beruft, hinsichtlich der ihn insoweit treffenden Darlegungs- und Beweislast Erleichterungen zuzubilligen sind (vgl. BAG 13. Juli 2005 – 5 AZR 389/04 – zu I 6 der Gründe, BAGE 115, 206; im Anschluss hieran BAG 10. September 2014 – 10 AZR 651/12 – Rn. 27, BAGE 149, 101). Ebenso hat es entschieden, dass in Bezug auf die vom Arbeitgeber im Rahmen von § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG vorzutragenden Indizien für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls der Unkenntnis des Arbeitgebers von den Krankheitsursachen angemessen Rechnung zu tragen ist (vgl. BAG 11. Dezember 2019 – 5 AZR 505/18 – Rn. 20, BAGE 169, 117). Da die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine gesetzliche Vermutung oder eine Beweislastumkehr auslöst, dürfen an den Vortrag des Arbeitsgebers, der ihren Beweiswert erschüttern will, keine – unter Berücksichtigung seiner eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten – überhöhten Anforderungen gestellt werden. Der Arbeitgeber muss gerade nicht, wie bei einer gesetzlichen Vermutung, Tatsachen darlegen, die dem Beweis des Gegenteils zugänglich sind.“

Im Übrigen heißt es im Leitsatz der Entscheidung des BAG (a.a.O.):

„Wird ein Arbeitnehmer, der sein Arbeitsverhältnis kündigt, am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben, kann dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung insbesondere dann erschüttern, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst.“

Siehe auch ArbG Neumünster, Urt. v. Urt. v. 23.09.2022 – 1 Ca 20 b/22:

„Ernsthafte Zweifel am Vorliegen einer Erkrankung können sich daraus ergeben, dass eine am Folgetag der Eigenkündigung des Arbeitnehmers ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung passgenau die nach der Kündigung noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdeckt. Das gilt auch dann, wenn die gesamte Dauer der verbliebenen Kündigungsfrist durch eine Erst- und mehrere Folgebescheinigungen abgedeckt werden (…).“

BAG, Urt. v. 28.06.2023 – 5 AZR 335/22 [aus den Entscheidungsgründen]:

„Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG kann nach den Umständen des Einzelfalls auch wegen Verstößen des ausstellenden Arztes gegen bestimmte Vorgaben der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie erschüttert sein.

(…)

Soweit der Senat in seiner Rechtsprechung darauf abgestellt hat, dass die ´ordnungsgemäß‘ iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel des Arbeitnehmers für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ist (BAG 8. September 2021 – 5 AZR 149/21 – Rn. 12 mwN, BAGE 175, 358), sind bei der Prüfung, ob der Beweiswert einer Bescheinigung erschüttert wurde, nicht alle Bestimmungen der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie relevant. Formale Vorgaben, die in erster Linie kassenrechtliche Bedeutung haben und das Verhältnis zwischen Vertragsarzt und Krankenkasse betreffen, wie Formulare und Angaben für die Abrechnung, sind hierfür grundsätzlich ohne Belang (vgl. BeckOK ArbR/Ricken Stand 1. März 2023 EFZG § 5 Rn. 18; Schmitt EFZG/Küfner-Schmitt 9. Aufl. EFZG § 5 Rn. 111 ff.; im Ergebnis auch Fuhlrott/Mai NZA 2022, 97, 99 ff.). Damit wird berücksichtigt, dass diese Richtlinienbestimmungen für Ärzte, die nicht Vertragsärzte sind oder als Privatarzt gegenüber nicht gesetzlich versicherten Arbeitnehmern tätig werden, ohne rechtliche Bedeutung sind.

Anders zu beurteilen sind hingegen die Regelungen in § 4 und § 5 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie, die sich auf medizinische Erkenntnisse zur sicheren Feststellbarkeit der Arbeitsunfähigkeit beziehen. Hierzu gehören beispielsweise die Bestimmungen zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit aufgrund persönlicher ärztlicher Untersuchung und zur Dauer der zu bescheinigenden Arbeitsunfähigkeit. Es handelt sich dabei zwar bereits von Gesetzes wegen nicht um zwingende Vorgaben, die die Arbeitsvertragsparteien und Arbeitsgerichte binden. Solche Bestimmungen enthalten aber eine Zusammenfassung allgemeiner medizinischer Erfahrungsregeln und Grundregeln zur validen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (vgl. Hahn ZMGR 2018, 279, 281; Braun GesR 2018, 409, 410). Sie bilden den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse ab (Ricken RdA 2022, 235, 243). So verstanden können Verstöße hiergegen nach der Lebenserfahrung und der Expertise des Normgebers der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie geeignet sein, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Rahmen der nach § 286 ZPO vorzunehmenden Beweiswürdigung zu erschüttern.

(…) Dieses Verständnis des Beweiswerts einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entspricht weitgehend dem des Bundessozialgerichts zum Krankengeldbezug (vgl. zB zur Verwendung der Mustervordrucke BSG 29. Oktober 2020 – B 3 KR 6/20 R – Rn. 15; 14. August 2018 – B 3 KR 5/18 B – Rn. 9). Der Bescheinigung mit der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit wird hierin die Bedeutung einer gutachterlichen Stellungnahme beigemessen. Sie bilde eine Grundlage für den über den Krankengeldbezug zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse, ohne dass Krankenkasse und Gerichte an den Inhalt der ärztlichen Bescheinigung gebunden seien (BSG 29. Oktober 2020 – B 3 KR 6/20 R – Rn. 15; 16. Dezember 2014 – B 1 KR 37/14 R – Rn. 16, BSGE 118, 52; 8. November 2005 – B 1 KR 18/04 R – Rn. 20). Im sozialgerichtlichen Verfahren sei eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein Beweismittel wie jedes andere, so dass der durch sie bescheinigte Inhalt durch andere Beweismittel widerlegt werden könne (BSG 8. November 2005 – B 1 KR 18/04 R – aaO). Sowohl bei der Erstfeststellung der Arbeitsunfähigkeit als auch bei nachfolgenden Feststellungen besteht nach dieser Rechtsprechung ein Krankengeldanspruch aus § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V nur nach einer persönlichen Untersuchung des Versicherten durch einen Arzt. Eine telefonische Befragung genüge nicht (BSG 16. Dezember 2014 – B 1 KR 25/14 R – Rn. 13). Zur Begründung hat das Bundessozialgericht auf die Regelungen zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit in § 4 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie und auf das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V Bezug genommen. Hieraus hat es die Notwendigkeit hergeleitet, dass Krankengeld nur auf der Grundlage einer bestmöglich fundierten ärztlichen Einschätzung gewährt werden darf. Im neueren sozialrechtlichen Schrifttum wird ergänzend die Auffassung vertreten, eine mittelbare persönliche Untersuchung im Rahmen einer Videosprechstunde stehe der unmittelbaren persönlichen Untersuchung im Sinne dieser Rechtsprechung gleich (BeckOGK/Schifferdecker Stand 1. März 2022 SGB V § 46 Rn. 56; Krauskopf/Rieke Stand September 2022 SGB V § 44 Rn. 27; dazu auch instruktiv Ricken RdA 2022, 235, 242 ff.). Ein weitgehend einheitliches Verständnis der Verbindlichkeit der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und den damit in Zusammenhang stehenden beweisrechtlichen Fragen ist bedeutsam, weil das Krankengeld eine Entgeltersatzfunktion hat (§ 47 Abs. 3 SGB V). Nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ruht der Anspruch auf Krankengeld, soweit und solange Versicherte beitragspflichtiges Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erhalten. Hierdurch soll einen Doppelbezug von Entgelt und Entgeltersatzleistungen verhindert werden (ErfK/Rolfs 23. Aufl. SGB V § 49 Rn. 1). Hauptanwendungsfall des § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ist die Entgeltfortzahlung nach §§ 3 und 4 EFZG (NK-ArbR/Lang 2. Aufl. SGB V § 49 Rn. 3; BeckOGK/Schifferdecker Stand 1. August 2022 SGB V § 49 Rn. 14).

(…) Nach diesen Grundsätzen kann ein Verstoß gegen die Regelungen in § 5 Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (in der im September 2020 geltenden Fassung, entspricht § 5 Abs. 1 Satz 4 und Satz 5 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie in der seit April 2023 geltenden Fassung), auf den die Beklagte sich vorliegend beruft, grundsätzlich zu einer Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung führen.“

*§ 4 und § 5 der Richtlinie über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung (in Kraft seit 01.04.2023) lauten:

„§ 4 Verfahren zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit

(1) Bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit sind körperlicher, geistiger und seelischer Gesundheitszustand der oder des Versicherten gleichermaßen zu berücksichtigen.

(2) Die ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit ist Voraussetzung für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung und für den Anspruch auf Krankengeld.

(3) Die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt teilt der Krankenkasse auf Anforderung in der Regel innerhalb von drei Werktagen weitere Informationen auf den vereinbarten Vordrucken mit. Derartige Anfragen seitens der Krankenkasse sind in der Regel frühestens nach einer kumulativen Zeitdauer der Arbeitsunfähigkeit von 21 Tagen zulässig. In begründeten Fällen

sind auch weitergehende Anfragen der Krankenkasse möglich.

(4) Sofern – abweichend von der Feststellung im Entlassungsbericht der Rehabilitations-einrichtung – weiterhin Arbeitsunfähigkeit attestiert wird, ist dies zu begründen.

(5) Die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit darf nur auf Grund einer ärztlichen Untersuchung erfolgen. Diese erfolgt unmittelbar persönlich oder mittelbar persönlich im Rahmen einer Videosprechstunde. Eine Feststellung der Arbeitsunfähigkeit auf Grund einer mittelbar persönlichen Untersuchung im Rahmen einer Videosprechstunde kann nur erfolgen, wenn die Erkrankung dies nicht ausschließt. Im Fall einer Videosprechstunde soll die erstmalige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit für Versicherte, die der Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt oder einer anderen Vertragsärztin oder einem anderen Vertragsarzt derselben Berufsausübungsgemeinschaft aufgrund früherer Behandlung nicht unmittelbar persönlich bekannt sind, über einen Zeitraum von bis zu drei Kalendertagen nicht hinausgehen. Sind Versicherte der Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt oder einer anderen Vertragsärztin oder einem anderen Vertragsarzt derselben Berufsausübungsgemeinschaft aufgrund früherer Behandlung hingegen unmittelbar persönlich bekannt, kann eine erstmalige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen einer Videosprechstunde für einen Zeitraum von bis zu sieben Kalendertagen erfolgen. Die Feststellung des Fortbestehens der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der Videosprechstunde soll nur erfolgen, wenn bei der oder dem Versicherten bereits zuvor aufgrund unmittelbar persönlicher Untersuchung durch die Vertragsärztin oder den Vertragsarzt Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit festgestellt worden ist. Sofern der Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt eine hinreichend sichere Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der Videosprechstunde nicht möglich ist, ist von einer Feststellung der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der Videosprechstunde abzusehen und auf die Erforderlichkeit einer unmittelbar persönlichen Untersuchung durch eine Vertragsärztin oder einen Vertragsarzt zu verweisen. Die oder der Versicherte ist im Vorfeld der Videosprechstunde über die eingeschränkten Möglichkeiten der Befunderhebung zum Zweck der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der Videosprechstunde aufzuklären. Ein Anspruch auf die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der Videosprechstunde besteht nicht.

(6) Unterliegen Beschäftigte einer öffentlich-rechtlichen Pflicht zur Absonderung oder besteht eine öffentlich-rechtliche Empfehlung zur Absonderung, gilt Absatz 5 mit der Maßgabe, dass sowohl die erstmalige Feststellung als auch die Feststellung des Fortbestehens der Arbeitsunfähigkeit auf Grundlage einer eingehenden telefonischen Befragung jeweils für Zeiträume von bis zu sieben Kalendertagen erfolgen kann, längstens jedoch bis zum Ablauf des Zeitraums der öffentlich-rechtlichen Pflicht oder Empfehlung zur Absonderung.

  • 5 Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit

(1) Die Attestierung der Arbeitsunfähigkeit erfolgt auf dem dafür vorgesehenen Vordruck (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung). Die Übermittlung der Ausfertigung für die Krankenkassen erfolgt ab dem 1. Januar 2021 durch ein elektronisches Verfahren. Die Attestierung einer Arbeitsunfähigkeit (Erst- und Folgebescheinigung) darf nur von Vertragsärztinnen und Vertragsärzten oder deren persönlicher Vertretung vorgenommen werden sowie in den Fällen des § 4a auch von Krankenhausärztinnen und Krankenhausärzten oder Ärztinnen und Ärzten in Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation. Auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sind alle die Diagnosen anzugeben, die aktuell vorliegen und die attestierte Dauer der Arbeitsunfähigkeit begründen (§ 295 SGB V). Symptome (z. B.

Fieber, Übelkeit) sind nach spätestens sieben Tagen durch eine Diagnose oder Verdachtsdiagnose auszutauschen. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung muss erkennen lassen, ob es sich um eine Erst- oder Folgebescheinigung handelt. Eine Erstbescheinigung ist auszustellen, wenn die Arbeitsunfähigkeit erstmalig festgestellt wird.

(2) Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als in der Erstbescheinigung angegeben, ist nach Prüfung der aktuellen Verhältnisse eine Folgebescheinigung auszustellen. Folgen zwei getrennte Arbeitsunfähigkeitszeiten mit unterschiedlichen Diagnosen unmittelbar aufeinander, dann ist für die zweite Arbeitsunfähigkeit eine Erstbescheinigung auszustellen. Hat nach dem Ende einer Arbeitsunfähigkeit Arbeitsfähigkeit bestanden, wenn auch nur kurzfristig, ist eine Erstbescheinigung auszustellen. Dies gilt auch dann, wenn eine neue Arbeitsunfähigkeit am Tag nach dem Ende der vorherigen Arbeitsunfähigkeit beginnt.

(3) Die Arbeitsunfähigkeit soll für eine vor der ersten ärztlichen Inanspruchnahme liegende Zeit grundsätzlich nicht bescheinigt werden. Eine Rückdatierung des Beginns der Arbeitsunfähigkeit auf einen vor dem Behandlungsbeginn liegenden Tag ist ebenso wie eine rückwirkende Bescheinigung über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit nur ausnahmsweise und nur nach gewissenhafter Prüfung und in der Regel nur bis zu drei Tagen zulässig. Erscheinen Versicherte entgegen ärztlicher Aufforderung ohne triftigen Grund nicht zum vereinbarten Folgetermin oder nehmen einen Termin für eine erneute Videosprechstunde nicht wie vereinbart wahr, kann eine rückwirkende Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit versagt werden. In diesem Fall ist von einer erneuten Arbeitsunfähigkeit auszugehen, die durch eine Erstbescheinigung zu attestieren ist. Die Voraussetzung für das Fortbestehen einer lückenlosen Arbeitsunfähigkeit für die Beurteilung eines Anspruchs auf Krankengeld ist, dass die ärztliche Feststellung der weiteren Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt; Samstage gelten insoweit nicht als Werktage.

(4) Die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit soll nicht für einen mehr als zwei Wochen im Voraus liegenden Zeitraum bescheinigt werden. Ist es auf Grund der Erkrankung oder eines besonderen Krankheitsverlaufs sachgerecht, kann die Arbeitsunfähigkeit bis zur voraussichtlichen Dauer von einem Monat bescheinigt werden. Kann zum Zeitpunkt der Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit bereits eingeschätzt werden, dass die Arbeitsunfähigkeit mit Ablauf des bescheinigten Zeitraums enden wird oder tatsächlich geendet hat, ist die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Endbescheinigung zu kennzeichnen.

(5) Besteht an arbeitsfreien Tagen Arbeitsunfähigkeit, z. B. an Samstagen, Sonntagen, Feiertagen, Urlaubstagen oder an arbeitsfreien Tagen auf Grund einer flexiblen Arbeitszeitregelung (sogenannte Brückentage), ist sie auch für diese Tage zu bescheinigen.

(6) Bei einer nicht durch Krankheit erforderlichen Sterilisation ist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausschließlich für Zwecke der Entgeltfortzahlung erforderlich.

(7) Liegen ärztlicherseits Hinweise auf (z. B. arbeitsplatzbezogene) Schwierigkeiten für die weitere Beschäftigung der oder des Versicherten vor, sind diese der Krankenkasse in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mitzuteilen (Verweis auf § 6 Absatz 4 der Richtlinie). Bei Feststellung oder Verdacht des Vorliegens eines Versicherungsfalles nach § 7 SGB VII (Arbeitsunfall, Berufskrankheit oder Gesundheitsschaden z. B. im Zusammenhang mit der Spende von Organen oder Geweben i.S.v. 3 § 12a SGB VII), eines Versorgungsleidens, eines sonstigen Unfalls oder bei Vorliegen von Hinweisen auf Gewaltanwendung oder dritt verursachte Gesundheitsschäden ist gemäß § 294a SGB V auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein entsprechender Vermerk anzubringen.“

Siehe auch BAG, Urt. v. 13.12.2023 – 5 AZR 137/23 [Leitsatz]:

„Der Beweiswert von (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt.“

Frage 13: Ist der Arbeitgeber berechtigt, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, wenn der Arbeitnehmer die krankheitsbedingte Kündigung lediglich vortäuscht?

Ja, das ist – einzelfallabhängig – denkbar. Siehe dazu etwa ArbG Siegburg, Urt. v. 16.12.2022 – 5 Ca 1200/22 [aus der Presseerklärung v. 10.01.2023]:

„Meldet sich eine Arbeitnehmerin bei ihrem Arbeitgeber für 2 Tage krank und nimmt an einer ´Wild Night Ibiza Party´ teil, ist von einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Eine fristlose Kündigung kann dann gerechtfertigt sein.

Die Klägerin war bei der Beklagten seit 2017 als Pflegeassistentin beschäftigt. Sie war für Samstag, den 02.07.2022, und Sonntag, den 03.07.2022, zum Spätdienst eingeteilt. Für die Dienste meldete sie sich bei der Beklagten krank. In dieser Nacht fand im sog. Schaukelkeller in Hennef die White Night Ibiza Party statt, auf der Fotos von der feiernden Klägerin entstanden. Diese fanden sich beim WhatsApp-Status der Klägerin und auf der Homepage des Partyveranstalters. Die Beklagte kündigte ihr daraufhin fristlos. Hiergegen erhob sie Kündigungsschutzklage.

Mit Urteil vom 16.12.2022 wies das Arbeitsgericht Siegburg die Klage ab. Die fristlose Kündigung hielt es für gerechtfertigt. Der wichtige Kündigungsgrund liege darin, dass die Klägerin über ihre Erkrankung getäuscht und damit das Vertrauen in ihre Redlichkeit zerstört habe. Für die Kammer stand aufgrund der Fotos fest, dass sie am Tage ihrer angeblich bestehenden Arbeitsunfähigkeit bester Laune und ersichtlich bei bester Gesundheit an der White Night Ibiza Party teilgenommen habe, während sie sich für die Dienste am 02.07. und 03.07.2022 gegenüber der Beklagten arbeitsunfähig meldete. Der Beweiswert der AU-Bescheinigung sei damit erschüttert. Die Erklärung der Klägerin sie habe an einer 2-tägigen psychischen Erkrankung gelitten, die vom Arzt nachträglich festgestellt worden sei, glaubte das Gericht der Klägerin nicht. Die Kammer ging davon aus, dass die Klägerin die Neigung habe, die Unwahrheit zu sagen. Dies ergebe sich bereits aus ihren Einlassungen im Verfahren. So habe sie eingeräumt, dass sie dem Arbeitgeber gegenüber am 05.07.2022 mitgeteilt hat, sich wegen Grippesymptomen unwohl und fiebrig gefühlt zu haben. Im Verfahren habe sie dann eine 2-tägige psychische Erkrankung vorgetragen, die nach genau einem Wochenende ohne weitere therapeutische Maßnahmen ausgeheilt gewesen sei. Dies sei schlicht unglaubhaft.

(…).

Frage 14: Was gilt, wenn Erholungsurlaub und Krankheit i.S.d. EntgeltFG zusammentreffen?

Dann geht grundsätzlich die Krankheit bzw. das EntgeltFG dem BUrlG vor (§ 9 BUrlG). Es erfolgt also im Ergebnis eine Art „Urlaubsgutschrift“.

Siehe im Übrigen auch unsere FAQ-Liste zum Urlaubsrecht.

Frage 15: Was gilt im Falle von Maßnahmen der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation

Siehe hierzu § 9 EntgeltFG:

„(1) Die Vorschriften der §§ 3 bis 4a und 6 bis 8 gelten entsprechend für die Arbeitsverhinderung infolge einer Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation, die ein Träger der gesetzlichen Renten-, Kranken- oder Unfallversicherung, eine Verwaltungsbehörde der Kriegsopferversorgung oder ein sonstiger Sozialleistungsträger bewilligt hat und die in einer Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation durchgeführt wird. Ist der Arbeitnehmer nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse oder nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert, gelten die §§ 3 bis 4a und 6 bis 8 entsprechend, wenn eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation ärztlich verordnet worden ist und in einer Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation oder einer vergleichbaren Einrichtung durchgeführt wird.

(2) Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber den Zeitpunkt des Antritts der Maßnahme, die voraussichtliche Dauer und die Verlängerung der Maßnahme im Sinne des Absatzes 1 unverzüglich mitzuteilen und ihm

  1. a) eine Bescheinigung über die Bewilligung der Maßnahme durch einen Sozialleistungsträger nach Absatz 1 Satz 1 oder
  2. b) eine ärztliche Bescheinigung über die Erforderlichkeit der Maßnahme im Sinne des Absatzes 1 Satz 2“
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Katrin-C. Beyer, LL.M.
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht

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