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Gesundheit / Medizinrecht

Wirtschaftlichkeitsprüfung / Richtgrößenprüfung

Gemäß § 106 SGB V haben die Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen (KV / KZV) und die Verbände der Krankenkassen Wirtschaftlichkeitsprüfungen durchzuführen. Sie tun dies mittels so genannter Prüfstellen, also eigenständiger Behörden, die – i.d.R. nach nur schriftlichen Anhörungen der Ärzte und Zahnärzte – Prüfbescheide erlassen und Regresse festsetzen. Regelprüfmethode im Arzneimittel- und Heilmittelbereich ist hierbei die sog. Richtgrößenprüfung, mit der grundsätzlich jede Überschreitung von Verordnungen über die festgesetzten Richtgrößen von mehr als 25 % regressiert werden kann.

Im zahnärztlichen Bereich wird i.d.R. die sog. statistische Vergleichsprüfung oder Prüfung nach Durchschnittswerten oder (im Bereich IP 5 oder PARO) auch die sog. Einzelfallprüfung angewendet. Neben diesen sog. Auffälligkeitsprüfungen führt die Prüfstelle auch noch sog. Zufälligkeitsprüfungen durch.

Im Rahmen der ärztlichen Richtgrößenprüfung darf ein Regress bei Ärzten, die erstmalig einer derartigen Prüfung unterliegen nur festgesetzt werden, wenn der Arzt vorher beraten wurde. Insbesondere durch Richtgrößenprüfungen entstehen nicht selten existenzbedrohende Regresshöhen mit hohen sechsstelligen Regressbeträgen.

Die Wirtschaftlichkeitsprüfung ist vielfach unter schärfster Kritik, weil sie wegen der recht theoretischen und sturen Systematik eine rein statistische Betrachtungsweise von „Wirtschaftlichkeit“ postuliert, die sich gegen die ärztliche Berufsausübungs- und Therapiefreiheit und sogar nicht selten gegen die lege artis Leistungserbringung von Ärzten richtet. Sie ist ungerecht, nicht selten medizinisch absurd und mathematisch in höchstem Maße fehlerbehaftet. Zudem gefährdet sie, weil Ärzte bis zu 16 Quartalen rückwirkend geprüft und regressiert werden können, in eklatanter Weise die wirtschaftliche Existenz vieler Arztpraxen.

Zur Wirtschaftlichkeitsprüfung hat sich ein nahezu eigenständiges und äußerst kompliziertes eigenes Rechtssystem entwickelt, das bundesweit nur noch von verhältnismäßig wenigen Medizinrechtsanwälten bearbeitet wird.

Angriffsmöglichkeit der Praxis gegen einen Prüfbescheid der Prüfstelle ist die Einlegung des Widerspruchs zum sog. Beschwerdeausschuss binnen eines Monats nach Bekanntgabe. Vor dem Beschwerdeausschuss findet dann, i.d.R. erstmalig, eine mündliche Anhörung des betroffenen Arztes statt. Der Ausschuss ist (anders als die Prüfstelle) zum Teil mit Ärzten besetzt. Der Widerspruch zum Beschwerdeausschuss hat aufschiebende Wirkung. Die Durchsetzung des Regresses durch Einbehaltung der Regresssumme von der nächsten Quartalsabrechnung (siehe unsere Ausführungen zum Begriff Honorarbescheid) kann also bis zur Beendigung des Widerspruchverfahrens nicht erfolgen. Gegen den Widerspruchsbescheid des Beschwerdeausschusses ist Klage zum Sozialgericht möglich. Die i.d.R. medizinischen Begründungen zu sog. Praxisbesonderheiten und anderen Einwendungen (z.B. sog. „kompensatorische Einsparungen“) können dort aber nicht mehr wirksam vorgebracht werden, wenn sie nicht bereits vorher dem Beschwerdeausschuss mitgeteilt wurden. Zentrale Veranstaltung im Regressschutzverfahren ist somit das Beschwerdeausschussverfahren.

Hochkompliziert gestalten sich auch die gegen Apotheker gerichteten Regressierungen durch die Kranken­kassen, die sog. Retaxationen.

Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Wirtschaftlichkeitsprüfungsregressen gehören zu den kompliziertesten Rechtsmaterien, die das deutsche Recht überhaupt zu bieten hat. Von einer „Waffengleichheit“ zwischen den betroffenen Arztpraxen und den „hochgerüsteten“ Prüfungsorganen mit ihren EDV- und Rechtsabteilungen kann keine Rede sein.

Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Retaxationen werden bei den ETL-Rechtsanwälten bundesweit von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Jörg Brochnow bearbeitet.

(Letzte Aktualisierung: 29.07.2013)