Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – Neues zum Beweiswert ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
Für die Frage der Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nicht entscheidend, ob es sich um eine Eigenkündigung des Arbeitnehmers oder um eine Kündigung des Arbeitgebers handelt. Bei der Kündigung durch den Arbeitnehmer kann der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert werden, wenn der Arbeitnehmer unmittelbar nach dem Zugang der Kündigung erkrankt und nach den Gesamtumständen des zu würdigenden Einzelfalls Indizien vorliegen, die Zweifel am Bestehen der Arbeitsunfähigkeit begründen. Hierauf deutet insbesondere eine zeitliche Koinzidenz zwischen Kündigungsfrist und Dauer der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit hin. Es ist auch nicht entscheidend, ob für die Dauer der Kündigungsfrist eine oder mehrere Bescheinigungen vorgelegt werden. Das hat das Bundesarbeitsgericht in dem jetzt veröffentlichten Urteil vom 18.09.2024 (- 5 AZR 29/24 -) klargestellt.
Das Bundesarbeitsgericht hat die anderslautenden Entscheidungen des Arbeits- und des Landesarbeitsgerichts aufgehoben. Der Beweiswert der vom Kläger vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wurde durch die Beklagte erschüttert.
In den Entscheidungsgründen hat das BAG ausgeführt, dass der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geführt wird. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung reicht aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen.
Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründet aber keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit mit der Folge, dass nur der Beweis des Gegenteils zulässig wäre. Es ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen hat und nur in eingeschränktem Maß in der Lage ist, Indiz-Tatsachen zur Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzutragen. Der Arbeitgeber muss gerade nicht, wie bei einer gesetzlichen Vermutung, Tatsachen darlegen, die dem Beweis des Gegenteils zugänglich sind.
Für die Frage der Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist es daher nicht entscheidend, ob es sich um eine Eigenkündigung des Arbeitnehmers oder um eine Kündigung des Arbeitgebers handelt. Bei der Kündigung durch den Arbeitnehmer kann der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits dadurch erschüttert sein, dass der Arbeitnehmer unmittelbar nach dem Zugang der Kündigung erkrankt und nach den Gesamtumständen des zu würdigenden Einzelfalls Indizien vorliegen, die Zweifel am Bestehen der Arbeitsunfähigkeit begründen. Hierauf deutet insbesondere eine zeitliche Koinzidenz zwischen Kündigungsfrist und Dauer der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit hin. Es ist auch nicht entscheidend, ob für die Dauer der Kündigungsfrist eine oder mehrere Bescheinigungen vorgelegt werden. Die ernsthaften Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit gründen darin, dass der Arbeitnehmer zu einem Zeitpunkt, zu dem feststeht, dass das Arbeitsverhältnis enden soll, arbeitsunfähig wird und bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bleibt.
Das Bundesarbeitsgericht weist aber auch darauf hin, dass mit der Erschütterung des Beweiswertes der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand eintritt, wie er vor Vorlage der Bescheinigung bestand. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen. Hierzu ist substantiierter Vortrag zum Beispiel dazu erforderlich, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden. Der Arbeitnehmer muss also zumindest laienhaft bezogen auf den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum schildern, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben.
Das BAG sah ein weiteres Indiz für die Erschütterung des Beweiswertes der AU-Bescheinigung darin, dass die Bestätigung der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit abweichend von § 5 Abs. 4 Satz 1 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie über die Zweiwochenfrist hinaus erfolgte und der Kläger unmittelbar im Anschluss eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Die Annahme des Berufungsgerichts, „der mit einem Arbeitgeberwechsel verbundene Neustart könne insbesondere bei psychosomatischen Beschwerden für eine Genesung durchaus hilfreich sein“, verwarf das BAG als rein spekulativ und nicht durch unstreitige oder bewiesene tatsächliche Umstände begründet.
Das BAG hat die Sache an das Landesarbeitsgericht zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zurückverwiesen.