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Wesentlicher Bestandteil
Siehe hierzu zunächst § 93 BGB [Wesentliche Bestandteile einer Sache]:
„Bestandteile einer Sache, die voneinander nicht getrennt werden können, ohne dass der eine oder der andere zerstört oder in seinem Wesen verändert wird (wesentliche Bestandteile), können nicht Gegenstand besonderer Rechte sein.“
Siehe auch § 94 BGB [Wesentliche Bestandteile eines Grundstücks oder Gebäudes]:
„(1) Zu den wesentlichen Bestandteilen eines Grundstücks gehören die mit dem Grund und Boden fest verbundenen Sachen, insbesondere Gebäude, sowie die Erzeugnisse des Grundstücks, solange sie mit dem Boden zusammenhängen. Samen wird mit dem Aussäen, eine Pflanze wird mit dem Einpflanzen wesentlicher Bestandteil des Grundstücks.
(2) Zu den wesentlichen Bestandteilen eines Gebäudes gehören die zur Herstellung des Gebäudes eingefügten Sachen.“
BGH, Urt. v. 22.10.2021 – V ZR 225/19 u.a., L&L 2022, 145 [Solarmodule als wesentliche Bestandteile einer Photovoltaikanlage; aus den Entscheidungsgründen]:
„2. Rechtsfehlerhaft ist aber die Ansicht des Berufungsgerichts, die Module seien nicht als wesentliche Bestandteile der Photovoltaikanlage nach § 93 BGB, sondern als Scheinbestandteile nach § 95 BGB anzusehen, weil sie nur zu einem vorübergehenden Zweck mit der Anlage verbunden worden seien.
a) Das Berufungsgericht legt seiner Entscheidung allerdings noch rechtsfehlerfrei zugrunde, dass die Photovoltaikanlage kein wesentlicher Bestandteil des Grundstücks nach § 94 Abs. 1 BGB ist.
aa) Nach § 94 Abs. 1 Satz 1 BGB gehören zu den wesentlichen Bestandteilen eines Grundstücks die mit dem Grund und Boden fest verbundenen Sachen, insbesondere Gebäude, sowie die Erzeugnisse eines Grundstücks, solange sie mit dem Boden fest zusammenhängen. Zu den Bestandteilen eines Grundstücks gehören aber nach § 95 Abs. 1 Satz 1 BGB solche Sachen nicht, die nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden sind. Verbindet ein Mieter, Pächter oder sonst schuldrechtlich Berechtigter eine Sache mit dem ihm nicht gehörenden Grundstück, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass er dabei nur in seinem eigenen Interesse handelt und nicht zugleich in der Absicht, die Sache nach Beendigung des Vertragsverhältnisses dem Grundstückseigentümer zufallen zu lassen, also dafür, dass die Verbindung nur vorübergehend – für die Dauer des Vertragsverhältnisses – im Sinne des § 95 Abs. 1 BGB hergestellt ist (Senat, Urteil vom 7. April 2017 – V ZR 52/16, ZfIR 2017, 541 Rn. 8 mwN; Beschluss vom 21. November 2019 – V ZB 75/19, WM 2020, 938 Rn. 7). Eine Verbindung zu einem vorübergehenden Zweck ist auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Sache für ihre gesamte (wirtschaftliche) Lebensdauer auf dem Grundstück verbleiben soll (Senat, Urteil vom 7. April 2017 – V ZR 52/16, ZfIR 2017, 541 Rn. 14 f.).
bb) Nach diesem Maßstab nimmt das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei an, dass die Photovoltaikanlage ein Scheinbestandteil des Grundstücks ist, weil sie auf der Grundlage eines mit dem Grundstückseigentümer geschlossenen schuldrechtlichen Nutzungsvertrages errichtet wurde und nur für einen begrenzten Zeitraum auf fremdem Grund betrieben werden sollte. Sind demnach die Voraussetzungen des § 95 BGB zu bejahen, kann offenbleiben, ob die Tatbestandsmerkmale des § 94 BGB erfüllt sind, namentlich ob die Photovoltaikanlage im Sinne des § 94 Abs. 1 BGB fest mit Grund und Boden verbunden ist (vgl. zu den Voraussetzungen Senat, Beschluss vom 21. November 2019 – V ZB 75/19, WM 2020, 938 Rn. 10 f.), weil es hierauf nicht mehr ankommt (vgl. Senat, Urteil vom 23. September 2016 – V ZR 110/15, GE 2017, 825 Rn. 15).
b) Daraus folgt jedoch, dass es sich bei der Photovoltaikanlage – die kein Gebäude i.S.v. § 94 BGB ist (vgl. dazu noch unter Rn. 23) – um eine bewegliche Sache im Rechtssinne handelt. Dann können die einzelnen Module nicht Scheinbestandteile dieser Anlage sein, denn § 95 Abs. 1 BGB ist auf Bestandteile einer beweglichen Sache i.S.v. § 93 BGB nicht entsprechend anwendbar (hierzu ausführlich Senat, Urteil vom 22. Oktober 2021 – V ZR 69/20, Rn. 39 ff., zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt). Die Sonderrechtsfähigkeit der Module und Komponenten der Unterkonstruktion kann daher entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht auf § 95 Abs. 1 BGB gestützt werden.
3. Auch mit der Hilfsbegründung des Berufungsgerichts lässt sich nicht ausschließen, dass die Module zum Zeitpunkt der Übereignung als wesentliche Bestandteile der Photovoltaikanlage i.S.v. § 93 BGB anzusehen waren.
a) Die Module sind, wovon auch das Berufungsgericht ersichtlich ausgeht, jedenfalls einfache Bestandteile der Photovoltaikanlage.
aa) Bestandteile einer Sache sind diejenigen körperlichen Gegenstände, die entweder von Natur aus eine Einheit bilden oder die durch die Verbindung miteinander ihre Selbständigkeit dergestalt verloren haben, dass sie fortan, solange die Verbindung dauert, als eine einzige Sache erscheinen. Maßgebend dafür ist die Verkehrsanschauung und – wenn diese fehlt oder nicht festgestellt werden kann – die natürliche Betrachtungsweise eines verständigen Beobachters, wobei Zweck und Wesen der Sache und ihrer Bestandteile vom technischwirtschaftlichen Standpunkt aus zu beurteilen sind (Senat, Urteil vom 11. November 2011 – V ZR 231/10, BGHZ 191, 285 Rn. 11 mwN).
bb) Nach diesem Maßstab ist nach den getroffenen Feststellungen zugrunde zu legen, dass die Module jedenfalls einfache Bestandteile der Photovoltaikanlage sind, weil sie dazu ausgelegt sind, gemeinsam mit den anderen Teilen der Anlage verbunden zu werden, und nur so ihren Zweck der Stromerzeugung erfüllen könnten (vgl. auch Senat, Urteil vom 11. November 2011 – V ZR 231/10, BGHZ 191, 285 Rn. 12).
b) Die Annahme des Berufungsgerichts, bei den Modulen und den Elementen der Unterkonstruktion handele es sich jedoch deshalb nicht um wesentliche Bestandteile der Photovoltaikanlage, weil diese Bauteile entfernt und ausgetauscht werden könnten, ohne dass die Anlage im Übrigen Schaden nähme, in ihrem Wesen verändert oder nach Einbau eines neuen Moduls nicht wirtschaftlich weiter genutzt werden könne, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
aa) Wesentliche Bestandteile einer Sache sind nach § 93 BGB solche, die voneinander nicht getrennt werden können, ohne dass der eine oder der andere zerstört oder in seinem Wesen verändert wird. Wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend sieht, bestimmt sich die Wesentlichkeit der einzelnen Bestandteile einer Sache nach den Wirkungen ihres (gedachten) Ausbaus. Eine Zerstörung oder Wesensveränderung des abzutrennenden Teils ist daher anzunehmen, wenn dieses durch die Trennung wertlos wird oder nur noch Schrottwert hat, nicht aber, wenn es nach dem Ausbau in gleicher oder in ähnlicher Weise in eine andere Anlage integriert werden und damit wieder seine Funktion erfüllen kann. Ebenso wird die Restsache durch die Trennung nicht zerstört oder in ihrem Wesen verändert, wenn sie nach der Abtrennung des Bestandteils noch in der bisherigen Weise benutzt werden kann, sei es auch erst, nachdem sie zu diesem Zweck wieder mit anderen Sachen verbunden wird (vgl. zum Ganzen Senat, Urteil vom 11. November 2011 – V ZR 231/10, BGHZ 191, 285 Rn. 14 ff.; BGH, Urteil vom 3. März 1956 – IV ZR 334/55, BGHZ 20, 159, 161 f.). Somit wären die einzelnen Module in der Tat nicht als wesentliche Bestandteile der Gesamtanlage anzusehen, wenn sie durch ein gleiches oder ähnliches Bauteil ersetzt und wenn sie zudem ihrerseits wieder in eine andere Anlage eingebaut werden und dort Strom erzeugen könnten.
bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es aber insoweit nicht auf die die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Errichtung der Anlage an, sondern auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Übereignung. Ob ein Bestandteil im Sinne des § 93 BGB wesentlich ist, bestimmt sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Verbindung, wenn es darauf ankommt, ob an dem Bestandteil bestehende Rechte Dritter infolge der Verbindung untergegangen sind. Ist dagegen zu beurteilen, ob Rechte Dritter an einem Bestandteil begründet werden können, der bereits in eine zusammengesetzte Sache eingefügt ist, kommt es auf die Verhältnisse bei Entstehung des Rechts an (hierzu ausführlich Senat, Urteil vom 22. Oktober 2021 – V ZR 69/20, Rn. 28 ff., zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).
cc) Folglich kommt es für die hier zu entscheidende Frage, ob die Beklagte das Eigentum an den Modulen erwerben konnte oder ob diese als wesentliche Bestandteile der Photovoltaikanlage nach § 93 BGB nicht Gegenstand gesonderter Rechte sein konnten, auf die Verhältnisse bei der Übereignung der Module durch die Insolvenzschuldnerin an. Die Übereignung an die Beklagte ist frühestens im Juli 2011 erfolgt. Zu den Auswirkungen eines (gedachten) Ausbaus der Module zu diesem Zeitpunkt hat das Berufungsgericht jedoch keine ausreichenden Feststellungen getroffen.“
Siehe auch den Beitrag von Wietfeld in NJW 2022, 1273 ff. [„Der maßgebliche Zeitpunkt zur Beurteilung der Wesentlichkeit von Bestandteilen“].
(Letzte Aktualisierung: 09.06.2022)
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