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Zivilrecht/Zivilprozessrecht

Ordre Public

Siehe dazu zunächst Art. 6 EGBGB:

„Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.“

Siehe auch OLG Hamburg, Beschl. v. 16.03.2021 – 2 W 17/20, NJW-Spezial 2021, 583:

„Die oben dargestellte und sich aus dem Schulchan Aruch ergebende Rechtslage verstößt gegen den Grundsatz des ordre public nach Art. 6 EGBGB. Ein Verstoß gegen den Ordre-public Grundsatz liegt vor, wenn die Anwendung des ausländischen Rechts zu einem Ergebnis führt, das mit einem wesentlichen Rechtsgrundsatz des deutschen Rechts nicht zu vereinbaren ist und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur deutschen Rechtsordnung steht. Es muss sich um eine offensichtliche Verletzung einer in der deutschen Rechtsordnung als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln (BGHZ 123, 268, 270 = NJW 1993, 3269, 3270; BGHZ 118, 312, 330 = NJW 1992, 3096; BGHZ 104, 240, 243 = NJW 1988, 2173).

Hier liegt ein Verstoß gegen den ordre public Grundsatz vor, weil der Schulchan Aruch die Testierfreiheit praktisch ausschließt und dort, wo er sie ausnahmsweise anerkennt, nur in engen Grenzen und unter Verstoß gegen Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau zulässt.

Es ist in Rechtsprechung und Literatur einhellig anerkannt, dass die Gewährleistung der Testierfreiheit einen wesentlichen Grundgedanken der deutschen Rechtsordnung enthält. Nach dem BVerfG genießt die Testierfreiheit als Bestandteil der Erbrechtsgarantie nach Art. 14 GG Grundrechtsschutz. Ihr Kernbereich umfasst die Befugnis des Erblassers, zu Lebzeiten einen von der gesetzlichen Erbfolge abweichenden Übergang seines Vermögens nach seinem Tode an einen oder mehrere Rechtsnachfolger anzuordnen, insbesondere einen gesetzlichen Erben von der Nachlaßbeteiligung auszuschließen und wertmäßig auf den gesetzlichen Pflichtteil zu beschränken (BVerfG vom 19. 1. 1999, NJW 199, 1853 unter C. II. 1; BVerfG vom 03.11.1981, NJW 1982, 565 unter II. 2.). Ein im ausländischen Recht vorgesehener Ausschluss der Testierfreiheit verstößt daher gegen den ordre public Grundsatz (Staudinger/Dörner, 2007, EGBGB Art. 25 Rn. 726; BeckOGK/Schmidt, Art. 35 ErbVO Rn. 23.1).

Auch die Gleichbehandlung von Mann und Frau ist ein tragender und unabdingbarer Grundsatz der deutschen Rechtsordnung, dessen Fehlen einen Verstoß gegen den ordre public Grundsatz nach sich zieht. Dies gilt auch und gerade im erbrechtlichen Bereich (z.B. OLG Düsseldorf, NJW-RR 2009, 732 (733 f.); OLG München, NJW-RR 2012, 1096; OLG Frankfurt, ZEV 2011, 135; Staudinger/Dörner, 2007, EGBGB Art. 25 Rn. 727).

Mit beiden Grundsätzen ist das Ergebnis der Anwendung des Schulchan Aruch auf den vorliegenden Fall nicht zu vereinbaren. Da der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung beider Testamente nicht erkrankt war, sind diese als Verfügungen von Todes wegen nach dem Schulchan Aruch unwirksam. Selbst wenn der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung der Testamente erkrankt gewesen wäre, hätte er seine Ehefrau dennoch nicht als Alleinerbin einsetzen können. Denn er hätte auch im Krankheitsfall seine Kinder als gesetzliche Erben nicht zugunsten seiner Ehefrau von der Erbfolge ausschließen können. Möglich gewesen wäre allenfalls eine Schenkung seines gesamten Vermögens an die Antragsgegnerin. Dies stellt sich aber nicht als adäquater Ausgleich für die nach dem Schulchan Aruch fehlende Testierfreiheit dar. Sowohl rechtlich als auch tatsächlich stellt die Übertragung des Vermögens schon zu Lebzeiten etwas gänzlich anderes dar als eine Verfügung von Todes wegen. Im Rahmen einer Schenkung begibt sich der Erblasser schon zu Lebzeiten seines Vermögens. Ihm bleibt allenfalls ein Nießbrauchsrecht, wenn er sich ein solches hat einräumen lassen. Dies beeinträchtigt die grundrechtlich geschützte Erbrechtsfreiheit als Teil der Eigentumsfreiheit des Erblassers aber ganz massiv. Die Regelungen des Schulchan Aruch stellen sich insoweit auch nicht als eine dem deutschen Pflichtteilsrecht ähnliche Regelung dar, sondern gehen über die mit dem Pflichtteilsrecht bezweckte Mindestbeteiligung der Verwandten am Nachlass weit hinaus. Das im Schulchan Aruch verankerte Testierverbot sichert den Verwandten nicht nur eine Mindestbeteiligung am Nachlass, sondern gewährt ihnen eine vom Willen des Erblassers unabhängige volle Teilhabe am gesamten Vermögen des Erblassers. Daher vermag auch die im Schulchan Aruch vorgesehene Möglichkeit, zumindest im Krankheitsfalle ein Testament zu errichten, den ordre public Verstoß nicht auszuschließen. Denn auch im Krankheitsfall ist es dem Erblasser gerade nicht erlaubt, eine beliebige Person als Erben einzusetzen, sondern er darf nur eine ohnehin schon als gesetzlichen Erben vorgesehene Person zum (Allein-)Erben berufen. Da gesetzlicher Erbe nach dem Schulchan Aruch bis auf wenige Ausnahmefälle nur männliche Verwandte sind, schränkt auch diese Regelung die Testierfreiheit des Erblassers erheblich ein und stellt zudem als Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau dar. Dies gilt auch und gerade für den vorliegenden Fall. Da der Erblasser drei Söhne als Abkömmlinge hinterlassen hat, schließt deren gesetzliches Erbrecht das Erbrecht der Tochter aus. Die Antragsgegnerin ist als Ehefrau überdies in keiner Konstellation erbberechtigt. Das fehlende Erbrecht der Ehefrau wird letztlich auch nicht mit der sogn. „Ketuba“ hinreichend ausgeglichen. Die „Ketuba“ gewährt der Witwe einen Anspruch auf Sicherstellung ihres laufenden Lebensbedarfs gegenüber den Erben (vgl. Insoweit Schulchan Aruch Erstes Buch, „Alle Gesetze über die Ehe“, 93. Abschnitt: Über die Verpflichtung für die Pflege der Witwe sowie Assan/Margalith in: Ferid/Firsching, Internationales Erbrecht, Israel (Stand Herbst 1999) Abschnitt I. Rn. 94). Ein solcher schuldrechtlich zu verstehender Versorgungsanspruch, strukturell vergleichbar dem Unterhaltsanspruch des § 1933 S. 2 BGB, ist schon im Ansatz nicht geeignet, das fehlende Erbrecht der Ehefrau zu kompensieren. Der Versorgungsanspruch der Witwe gegenüber den Erben zwingt diese in ein dauerhaftes Abhängigkeitsverhältnis zu den Erben. Der Anspruch läuft zudem leer, wenn sich der Erbe seiner Leistungspflicht entzieht oder nicht leistungsfähig ist. Er scheitert zudem dann, wenn die Witwe aufgrund eigenen Einkommens oder Vermögens nicht bedürftig ist.“

(Letzte Aktualisierung: 11.10.2021)

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