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Zivilrecht/Zivilprozessrecht

AGG

AGG steht für das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vom 14.08.2006 (BGBl. I S. 1897), das zuletzt durch Art. 4 des Gesetzes v. 19.12.2022 (BGBl. I S. 2510) geändert worden ist.

Während die Rechtsprechung nach dem Inkrafttreten des AGG zunächst nur vereinzelt mit Fällen aus dem Bereich der Bekämpfung von Diskriminierungen konfrontiert wurde, ist eine deutliche Zunahme solcher Sachverhalte, die durch die Arbeitsgerichte zu entscheiden sind, zu verzeichnen. Aus der Rechtsprechung seien erwähnt:

BAG, Urt. v. 16.02.2023 – 8 AZR 450/21:

„Eine Frau hat Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit, wenn der Arbeitgeber männlichen Kollegen aufgrund des Geschlechts ein höheres Entgelt zahlt. Daran ändert es nichts, wenn der männliche Kollege ein höheres Entgelt fordert und der Arbeitgeber dieser Forderung nachgibt.“

BGH, Beschl. v. 18.06.2020 – IX ZB 11/19:

„Der Anspruch auf Entschädigung wegen eines immateriellen Schadens nach einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot kann abgetreten und gepfändet werden. Er fällt daher in die Insolvenzmasse.“

LAG Nürnberg, Urt. v. 27.05.2020 – 2 Sa 1/20:

„Bietet der Arbeitgeber in einer Stellenanzeige eine `zukunftsorientierte, kreative Mitarbeit in einem jungen, hochmotivierten Team`, so liegt hierin eine Tatsache, die eine Benachteiligung des nicht eingestellten 61-jährigen Bewerbers wegen des Alters nach § 22 AGG vermuten lässt.“

BAG, Urt. v. 23.01.2020 – 8 AZR 484/18, ZIP 2020, 1425 = NZA 2020, 851:

„1. Bewerber iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG ist, wer eine Bewerbung beim Arbeitgeber eingereicht hat. Eingereicht ist eine Bewerbung dann, wenn sie dem Arbeitgeber zugegangen ist iSv. § 130 BGB.

  1. Verstößt der öffentliche Arbeitgeber gegen seine Verpflichtung aus § 82 Satz 2 SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (aF), einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, kann dies lediglich die – vom Arbeitgeber widerlegbare – Vermutung iSv. § 22 AGG begründen, dass der erfolglose Bewerber die unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG wegen seiner (Schwer)Behinderung erfahren hat.

LAG Köln, Urt. v. 17.01.2020 – 4 Sa 862/17:

„Die Vermutungs- bzw. Indizwirkung des § 22 AGG greift bzgl. einer Diskriminierung wegen des Geschlechts ein, wenn ein Arbeitgeber (Rechtsanwalt) im Nachgang zu einer Kündigung der gekündigten Arbeitnehmerin, die zuvor eine Fehlgeburt hatte, schriftlich mitteilt, dass sie, wenn ihre Lebensplanung schon beim Einstellungsgespräch war, kurzfristig schwanger zu werden, für die zu besetzende Stelle (Dauerarbeitsplatz) nicht in Frage kommt. Eine derartige Äußerung belegt, dass die kurz zuvor ausgesprochene Kündigung wegen befürchteter Beeinträchtigungen des Arbeitsverhältnisses infolge einer zukünftigen Schwangerschaft ausgesprochen wurde. Damit ist das Geschlecht der gekündigten Arbeitnehmerin in diskriminierender Weise Teil des Motivbündels bzgl. des Kündigungsentschlusses. In konkreten Einzelfall gelang dem Arbeitgeber der `Entlastungsbeweis` nicht.“

BGH, Urt. v. 26.03.2019 – II ZR 244/17, NJW 2019, 2086 = ZIP 2019, 960 = MDR 2019, 684 = NZA 2019, 706 = WM 2019, 925 = NZG 2019, 705:

„Der Fremdgeschäftsführer einer GmbH ist bei europarechtskonformer Auslegung jedenfalls insoweit als Arbeitnehmer im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGG anzusehen, wie bei einer Kündigung seines Geschäftsführerdienstvertrags der sachliche Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes über § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG eröffnet ist.“

BAG, Urt. v. 25.10.2018 – 8 AZR 562/16, NZA 2019, 527:

„§ 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG ist dahin auszulegen, dass es in dem Fall, dass eine Religionsgemeinschaft, kirchliche Einrichtung oder Vereinigung ihr Selbstbestimmungsrecht ausgeübt und die Zugehörigkeit zu einer Kirche als berufliche Anforderung bestimmt hat, für die Rechtfertigung einer Benachteiligung wegen der Religion weder auf die Art der Tätigkeit noch die Umstände ihrer Ausübung ankommt. In dieser Auslegung ist die Bestimmung mit den unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG nicht vereinbar. Da § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG einer unionsrechtskonformen Auslegung im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG nicht zugänglich ist, muss die Bestimmung unangewendet bleiben (zu dieser Folge: vgl. EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 71 ff.; 11. September 2018 – C-68/17 – [IR] Rn. 63 ff.).“

(…)

Sowohl ein Entschädigungsverlangen eines/einer erfolglosen Bewerbers/Bewerberin nach § 15 Abs. 2 AGG als auch sein/ihr Verlangen nach Ersatz des materiellen Schadens nach § 15 Abs. 1 AGG können dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sein. Rechtsmissbrauch ist anzunehmen, sofern diese Person sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum ging, nur den formalen Status als Bewerber/in iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen (vgl. ua. BAG 26. Januar 2017 – 8 AZR 848/13 – Rn. 123 ff.; 11. August 2016 – 8 AZR 406/14 – Rn. 48 ff.; 19. Mai 2016 – 8 AZR 470/14 – Rn. 32 ff., BAGE 155, 149).“

LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 08.01.2018 – 4 Ta 1489/17:

„Sind sehr gute Sprachkenntnisse einer oder mehrerer bestimmter Sprachen Inhalt des Anforderungsprofils einer Stelle, so sind Bewerber, die diese Sprachkenntnisse nicht aufweisen, bereits offensichtlich fachlich ungeeignet i.S.d. § 164 Satz 4 SGB IX (ehem. § 82 Satz 3 SGB IX).

Werden diese Sprachkenntnisse im Rahmen eines Eignungstests ermittelt, handelt es sich nicht um einen von dem Stellenprofil unabhängigen Eignungstest, sondern um eine Feststellung der Erfüllung des Anforderungsprofils (Abgrenzung zu LAG Schleswig-Holstein 09.09.2015 – 3 Sa 36/15).“

LAG Hamburg, Urt. v. 30.11.2017 – 7 Sa 90/17:

„Enthält ein Arbeitsvertragsformular, das dem Bewerber nach einem Einstellungsgespräch zur Unterzeichnung vorgelegt wird, die Formulierung „Der Mitarbeiter erklärt, dass er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses den Bestimmungen des Schwerbehindertengesetzes nicht unterliegt.“, so liegt allein hierin eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung nach § 3 S. 1 AGG. Das gilt jedenfalls in den Fällen, in denen die Schwerbehinderung keinerlei Auswirkungen auf die auszuübende Tätigkeit haben kann.“

BAG, Urt. v. 21.11.2017 – 9 AZR 141/17:

„1. Die Regelung über die Laufzeit eines Vorruhestandsverhältnisses in einer Vorruhestandsvereinbarung ist insoweit unwirksam (§ 81 Abs. 2 SGB IX, § 7 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AGG), als sie für den schwerbehinderten Arbeitnehmer, der nach § 236a Abs. 1 S 2 SGB 6 vorzeitige Altersrente in Anspruch nehmen kann, zu einer gegenüber nicht schwerbehinderten Menschen kürzeren Laufzeit führt. Die Rechtsfolge der unzulässigen Ungleichbehandlung besteht darin, dass das Vorruhestandsverhältnis wie bei einem vergleichbaren nicht schwerbehinderten Arbeitnehmer fortbesteht.

  1. Der finanzielle Vorteil, der einem schwerbehinderten Arbeitnehmer aus dem früheren Rentenbeginn erwächst, hat nicht zur Folge, dass seine Situation eine andere ist, als die eines nicht schwerbehinderten Arbeitnehmers.“

LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 21.11.2017 – 1 Sa 312/17:

„Verstößt eine Stellenausschreibung aus mehreren Gründen und ganz offensichtlich gegen das Verbot der Altersdiskriminierung, sind die Anforderungen an den Vortrag des Arbeitgebers dazu, dass das Alter des/der Bewerbers/-in bei der Besetzungsentscheidung überhaupt keine Rolle gespielt habe und nicht einmal mit-ursächlich für die Absage gewesen sei, gegenüber den an sich schon strengen Anforderungen des BAG noch einmal verschärft.“

BAG, Urt. v. 14.11.2017 – 3 AZR 781/16:

„Regelungen in Versorgungsordnungen, die eine Hinterbliebenenversorgung ausschließen, wenn der versorgungsberechtigte Arbeitnehmer bei der Eheschließung ein bestimmtes Alter überschritten hatte, unterfallen § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG jedenfalls dann, wenn dem versorgungsberechtigten Arbeitnehmer eine Altersversorgung zugesagt wird und sich die Höhe der Hinterbliebenenversorgung an der Höhe der betrieblichen Altersrente oder – sofern versprochen – der Invaliditätsrente orientiert. Die Hinterbliebenenversorgung steht dann regelmäßig in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Alters- oder Invaliditätsrente.“

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 28.09.2017 – 4 Sa 93/17:

„Ein Bewerber im öffentlichen Dienst, der das Anforderungsprofil der ausgeschriebenen Stelle nicht erfüllt, muss nicht zu einem Vorstellungsgespräch nach § 82 S. 3 SGB IX eingeladen werden.“

BAG, Urt. v. 18.07.2017 – 9 AZR 259/16:

„1. Berücksichtigt ein Arbeitgeber einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer, der ihm den Wunsch nach einer Verlängerung seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit angezeigt hat, trotz dessen Eignung nicht bei der Besetzung eines entsprechenden freien Arbeitsplatzes, geht der Anspruch des Arbeitnehmers auf Verlängerung seiner Arbeitszeit gemäß § 275 Abs. 1 BGB unter, sobald der Arbeitgeber den Arbeitsplatz mit einem anderen Arbeitnehmer besetzt.

  1. Hat der Arbeitgeber den Untergang des Anspruchs des Arbeitnehmers zu vertreten, hat dieser Anspruch auf Schadensersatz (§ 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 281 Abs. 2, § 283 Satz 1 BGB). § 249 Abs. 1 BGB, dem zufolge der Zustand herzustellen ist, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre, führt jedoch nicht dazu, dass der Arbeitgeber verpflichtet wird, mit dem Arbeitnehmer die Verlängerung der Arbeitszeit zu vereinbaren. Die Wertung des Gesetzgebers in § 15 Abs. 6 AGG, wonach der Arbeitnehmer selbst bei einem Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG grundsätzlich keinen Anspruch auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg hat, steht einem solchen Anspruch entgegen.“

BAG, Urt. v. 29.06.2017 – 8 AZR 402/15:

„Eine „Ablehnung durch den Arbeitgeber“ i.S.v. § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG setzt eine auf den Beschäftigten bezogene ausdrückliche oder konkludente Erklärung des Arbeitgebers voraus, aus der sich für den Beschäftigten aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers eindeutig ergibt, dass seine Bewerbung keine Aussicht (mehr) auf Erfolg hat. Ein Schweigen oder sonstiges Untätigbleiben des Arbeitgebers reicht grundsätzlich nicht aus, um die Frist des § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG in Lauf zu setzen.

Im Orientierungssatz heißt es weiter:

Die Formulierung in einer Stellenausschreibung, mit der eine Person gesucht wird, die „Deutsch als Muttersprache“ beherrscht, kann Personen wegen der ethnischen Herkunft gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen i.S.v. § 3 Abs. 2 AGG. Sie bewirkt, soweit es an einer Rechtfertigung i.S.v. § 3 Abs. 2 AGG fehlt, eine mittelbare Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft.“

LAG Hamm, Urt. v. 13.06.2017 – 14 Sa 1427/16 m. Bespr. Vossen in DB 2017, 2868:

„1. Die in der Stellenanzeige enthaltene Suche nach einer „Verstärkung unseres jungen Teams“ mit einer Person, welche gerade das Studium erfolgreich abgeschlossen hat und nach einem Einstieg sucht, indiziert eine unmittelbare Altersdiskriminierung.

  1. Dasselbe gilt für die Suche nach einer „Verstärkung unseres jungen Teams“ mit einem „frisch gebackenen Juristen.
  2. Der in einem Lebenslauf an dessen Ende unter der Überschrift „Besondere persönliche Merkmale“ allein enthaltene Vermerk „zu 80 % schwerbehindert“ ist ein ausreichender Hinweis auf eine bestehende Schwerbehinderung.
  3. Die Verletzung der Förderpflicht nach § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX, die fehlende Bestellung eines Schwerbehindertenbeauftragten nach § 98 SGB IX sowie die Nichterfüllung der Mindestbeschäftigungsquote nach § 71 Abs. 1 SGB IX indizieren eine Diskriminierung wegen Behinderung.“

BAG, Urt. v. 15.12.2016 – 8 AZR 454/15:

Die Darlegungs- und Beweislast für die die Rechtfertigung i.S.v. § 3 Abs. 2 Halbs. 2 AGG begründenden Tatsachen trägt der Arbeitgeber.

BAG, Urt. v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12 (aus Pressemitteilung des Gerichts):

„Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) untersagt Diskriminierungen u. a. wegen einer Behinderung. Eine Behinderung liegt vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch in Wechselwirkung mit verschiedenen sozialen Kontextfaktoren (Barrieren) seine Teilhabe an der Gesellschaft, wozu auch die Teilhabe am Berufsleben gehört, beeinträchtigt sein kann. Ein Arbeitnehmer, der an einer symptomlosen HIV-Infektion erkrankt ist, ist in diesem Sinn behindert. Auch chronische Erkrankungen können zu einer Behinderung führen. Die gesellschaftliche Teilhabe von HIV-Infizierten ist typischerweise durch Stigmatisierung und soziales Vermeidungsverhalten beeinträchtigt, die auf die Furcht vor einer Infektion zurückzuführen sind. Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis eines solchen Arbeitnehmers in der gesetzlichen Wartezeit des § 1 KSchG wegen der HIV-Infektion, ist die Kündigung im Regelfall diskriminierend und damit unwirksam, wenn der Arbeitgeber durch angemessene Vorkehrungen den Einsatz des Arbeitnehmers trotz seiner Behinderung ermöglichen kann.“

BAG, Urt. v. 12.12.2013 – 8 AZR 838/12:

„Wird unter Verstoß gegen das Mutterschutzgesetz einer schwangeren Arbeitnehmerin eine Kündigung erklärt, stellt dies eine Benachteiligung wegen des Geschlechts dar und kann einen Anspruch auf Entschädigung auslösen.“

Beachten Sie auch den Beitrag von Dzida/Groh zur Diskriminierung nach dem AGG beim Einsatz von Algorithmen im Bewerbungsverfahren in NJW 2018, 1917 und den Aufsatz von Schneedorf in NJW 2019, 177 ff. („Diskriminierungsschutz nach dem EuGH – Bröckelt das Fundament des kirchlichen Arbeitsrechts?“).

Zum Arbeitnehmerstatus des GmbH-Fremdgeschäftsführers siehe den Aufsatz von Löw, DB 2019, 1268 ff.

Siehe auch unsere Ausführungen zum Stichwort Diskriminierung.

(Letzte Aktualisierung: 18.04.2023)

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