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Sozialrecht

Rentenversicherungspflicht (Selbständige)

I. Einleitung

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass bei Selbständigkeit keine Sozialbeiträge zu zahlen sind. Der Gesetzgeber hat in § 2 Sozialgesetzbuch (SGB) VI eine Reihe von Selbständigen der Rentenversicherungspflicht unterworfen, wenn keine  Arbeitnehmer mit einer Lohnsumme von über 450 EUR beschäftigt werden (auch „Soloselbständige“ genannt)

Dazu hat es in der jüngsten Zeit weitere Gerichtsentscheidungen gegeben, die in der täglichen Praxis bekannt sein müssen. Nur so kann die bestehende Gefahr von Nachforderungen von Rentenversicherungsbeiträgen erkannt werden.

Dass Personen, die in die Handwerksrolle eingetragen sind,  rentenversicherungspflichtig sein können, ist weitestgehend bekannt. Da die Eintragung in die Handwerksrolle  automatisch an die Rentenversicherung gemeldet wird, ist die Gefahr von Nachforderungen in der Praxis gering.

II. Selbständigkeit

Die Prüfungen der Deutschen Rentenversicherung beginnen nicht erst bei der Frage der Beitragspflicht nach § 2 SGB VI. Bei den Soloselbständigen wird zunächst die Frage nach dem sozialrechtlichen Status gestellt. Zu verweisen ist aktuell z. B. auf:

1. Nurse to rent (Honorarkrankenschwester u. ä.)

Für Honorarkrankenschwestern im Krankenhaus dürfte eine Selbständigkeit kaum in Betracht zu ziehen sein.

„Dies schließt die ständige ärztliche Verantwortung eines im Krankenhaus tätigen Arztes für jede einzelne Behandlung ein, die nach einem ärztlichen Behandlungsplan durchgeführt werden muss.“

LSG Hessen, Urt. v. 7.7.2016 – L 8 KR 297/15.

2. Paketfahrer

„Ein (…) als „Sub-Subunternehmer“ tätiger Paketfahrer ist als abhängig Beschäftigter anzusehen, wenn er durch einzuhaltende detaillierte Vorgaben des Vertragspartners (…) in die Arbeitsorganisation des Subunternehmers eng eingebunden ist.“

LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 15.7.2015 – L 6 R 23/14.

3. Vertriebsmitarbeiter

„Nach Maßgabe dieser Grundsätze steht fest, dass der Kläger vom 1.11.2010 bis zum 31.1.2013 für die Beigeladene zu 1) im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses gegen Entgelt tätig geworden ist.“

LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 13.7.2016 – L 8 R 423/14.

Wir möchten in diesem Zusammenhang darauf verweisen, dass die ETL-Rechtsanwälte mit dem Produkt der Statusprüfstelle (https://www.etl-rechtsanwaelte.de/statuspruefstelle) eine rechtssichere Prüfung des sozialrechtlichen Status zum Pauschalpreis anbieten.

III. Soloselbständige

1. Lohnsumme von über 450 EUR / keine Geringfügigkeit

Die Gefahr einer Rentenversicherungspflicht besteht in der Praxis allein dann, wenn

a) die Lohnsumme von 451 EUR nicht erreicht und

b) die Geringfügigkeitsgrenze von 450 EUR/Monat überschritten wird.

a) Lohnsumme von 451 EUR nicht erreicht

Wie die Lohnsumme erreicht wird, ist unerheblich. Es kann ein Arbeitnehmer mit einem Entgelt von über 451  EUR beschäftigt werden. Es genügt z. B. aber auch, wenn mehrere geringfüge Beschäftigte vorhanden sind, die in der Addition die Lohnsumme von 450 EUR überschreiten.

b) Geringfügigkeitsgrenze von 450 EUR/Monat

Die Geringfügigkeitsgrenze wird regelmäßig dann überschritten, wenn der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit durchschnittlich über 450 EUR/Monat liegt.

Sollten mehrere geringfügig selbständige Tätigkeiten bestehen, kann eventuell eine Zusammenrechnung erfolgen.

2. Soloselbständige

Es besteht insbesondere für folgende Berufsgruppen die Gefahr einer Rentenversicherungspflicht:

a) Lehrer

Als Lehrer gelten z. B. Dozenten und Ausbilder, aber auch Trainer im Fitness- und Sportbereich (Nachhilfe- und Sprachlehrer, Aerobic- und Golftrainer; Kommunikationstrainer u. ä.).

b) Pflegepersonen

Typische „Pflegepersonen“ im Sinne des SGB VI sind:

Krankenschwestern, Krankenpfleger, Altenpfleger, Masseure, medizinische Bademeister, Krankengymnasten, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten/Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten

In neuster Zeit sind Logopäden (BSG, Urt. v. 23.7.2015 – B 5 RE 17/14 R), akademische Sprachtherapeuten, Atem-, Stimm- und Sprechlehrer hinzugekommen.

Nicht unter „Pflegepersonen“ fallen Heilpraktiker oder Psychologen.

c) Selbständige mit nur einem Auftraggeber

Die größte Gruppe der Soloselbständigen sind solche, die nur über einen Auftraggeber verfügen.

„Das Erfordernis, dass der selbstständig Tätige auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist, umfasst nicht nur den Fall, dass der Betreffende rechtlich (vertraglich) im Wesentlichen an einen Auftraggeber gebunden ist, sondern auch den Fall, dass er tatsächlich (wirtschaftlich) im Wesentlichen von einem einzigen Auftraggeber abhängig ist (BT-Drucks 14/45 S. 46).“

KassKomm/Gürtner, SGB VI § 2 Rn. 37-39.

Die Tatsache, dass bereits eine wirtschaftliche Abhängigkeit seit dem 1.1.1999 (Gesetz vom 19.12.1998, BGBl I 3843) ausreichend ist, wird in der Praxis weitestgehend ignoriert. Dies kann existenzgefährdende Auswirkungen haben.

Dabei gilt es zu beachten, dass sich Selbständige mit nur einem Auftraggeber in den ersten drei Jahren von der Rentenversicherung befreien lassen können.

a) Franchise-Nehmer

Wenn der Wille des Gesetzgebers bekannt ist, kann das Urteil des BSG zur Rentenversicherungspflicht von Franchise-Nehmern nicht überraschen.

„Ausgehend hiervon war die Klägerin, die als Systempartner/Franchise-Nehmer durch den mit den typischen Merkmalen eines Franchise-Vertrags ausgestatteten „Partner- und Systemvertrag“ an ihren Systemgeber/Franchise-Geber gebunden war, i.S. des § 2 Satz 1 Nr. 9 Buchst b SGB VI dessen „Auftragnehmer“, im Hinblick darauf, dass sie auch die Voraussetzung des § 2 Satz 1 Nr. 9 Buchst a SGB VI erfüllte, typischerweise (von diesem) wirtschaftlich abhängig und damit typischerweise des Schutzes durch die Rentenversicherung bedürftig.“

BSG, Urt. v. 4.11.2009 – B 12 R 3/08 R.

b) Online Vertrieb (hier Empfehlungsmarketing)

Auch alle sonstigen Systeme, die eine Arbeitsplattform bieten, werden als „Auftraggeber“ im Sinne des SGB VI angesehen.  Darunter dürften insbesondere auch viele der neuen Startups des Internets zu verstehen sein.

„Nach den Feststellungen des LSG handelt es sich bei dem Unternehmen um einen Hersteller von Nahrungsergänzungs- und Körperpflegemitteln mit Hauptsitz in B. , USA, der weltweit nach einem einheitlichen Netzwerk-Marketing-System arbeitet, welches auf dem sog Empfehlungsmarketing basiert und anderen Personen die Vermarktung der Unternehmensprodukte nach einem bestimmten Marketingkonzept überlässt.

Ob es sich um vertragliche oder sonstige, insbesondere tatsächliche Beziehungen zwischen der Firma L. und ihren „Partnern“ handelt, kann dahinstehen. Der Schutzzweck des § 2 S 1 Nr. 9 SGB VI gebietet es jedenfalls bei einer Geschäftsbeziehung wie der vorliegenden, in der der das Handeln Veranlassende das Marketingsystem und die Produkte vorgibt sowie die Voraussetzungen für die Auszahlung einer Provision und deren Höhe festlegt, Personen wie den Kläger in den Versicherungspflichttatbestand einzubeziehen.“

BSG, Urt. v. 23.4.2015 – B 5 RE 21/14 R.

c) andere Vertriebswege (hier Maklerpool)

Das LSG Bayern hat entschieden, dass ein an einen so genannten Maklerpool angebundener selbstständiger Versicherungsmakler der Rentenversicherungspflicht unterliegt.

„Als Auftraggeber im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 9 b) SGB VI sind damit nicht die einzelnen Maklerkunden des Klägers anzusehen, sondern die AG. Diese werden nur deshalb Kunden des Klägers, weil dieser selbst Kunde der AG ist. So sind etwa auch die einzelnen Kunden eines Franchiseunternehmers, die bei diesem Produkte erwerben, nach der Rechtsprechung des BSG nicht dessen Auftraggeber. Ein Franchiseunternehmer ist vielmehr auch nur für einen einzelnen Auftraggeber, nämlich den Franchisegeber als „Absatzherren“, tätig (BSG vom 4. November 2009, BSGE 105, 46). „Absatzherr“ in diesem Sinne ist für den Kläger die AG. Ohne deren geschäftliche Verbindung zu den einzelnen Versicherungsgesellschaften, ohne die durch die Marktmacht der AG bedingten und dem Kläger durch seine Anbindung an die AG zu Gute kommenden Wettbewerbsvorteile und ohne die Erledigung administrativer Arbeiten des Klägers durch die AG im Rahmen des „back-office-managements“ könnte der Kläger seine derzeitige Tätigkeit als Versicherungsmakler in der ausgeübten Art und Weise nicht betreiben und würde keine Einkünfte aus selbstständiger Arbeit in nennenswertem Umfang erzielen.“

LSG Bayern, Urt. v. 3.6.2016 – L 1 R 679/14.

IV. Fazit

Bei allen Personen, die sich als selbständig sehen und über keine Arbeitnehmer mit einer Lohnsumme von über 450 EUR verfügen, sollte die Frage

1. des sozialrechtlichen Status und

2. der Rentenversicherungspflicht

durch einen Sozialrechtsanwalt geprüft werden.

Die ETL Rechtsanwälte helfen Ihnen gerne.

(Letzte Aktualisierung: 10.01.2017)