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Diebstahl
Ein Diebstahl zum Schaden des Arbeitgebers, begangen durch einen Arbeitnehmer, reicht in der Regel für eine außerordentliche und fristlose Kündigung aus. So hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) beispielsweise im Jahr 2014 zur Frage einer außerordentlichen und fristlosen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses entschieden (BAG, Urt. v. 31.07.2014 – 2 AZR 407/13, veröffentlicht, NJW 2015, 1628). Hintergrund des Falles ist ein dem Arbeitnehmer vorgeworfener und letztlich auch nachgewiesener Diebstahl von mehreren hundert Litern Abfalldieselöls. Das Öl hatte der Arbeitnehmer (= Kläger), der bei der Bundewehr (= Beklagter) beschäftigt war, bei einem Kooperationsbetrieb der Bundeswehr, dem der Kläger „beigestellt“ war, entwendet. Darin sieht das BAG eine erhebliche Pflichtverletzung im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB und – unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falles – einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB, so dass der Arbeitgeber zur außerordentlichen Kündigung berechtigt war.
In den Entscheidungsgründen heißt es:
„a) Gemäß dieser Vorschrift [§ 626 Abs. 1 BGB] kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht).
- b) Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein (…). Nach 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (…).
- c) Begeht ein Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche – ggf. strafbare – Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme ( 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Dies gilt auch dann, wenn die rechtswidrige Handlung Gegenstände von geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat (…). Maßgebend ist der mit der Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch (…).
- d) Im Streitfall liegt eine in diesem Sinne erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor.“
Zum Diebstahl von Sachen mit einem geringen Wert siehe u.a. BAG, Urt. v. 10.06.2010 – 2 AZR 541/09, NJW 2011, 167 [Fall „Emmely“]:
„Leitsatz:
- Rechtswidrige und vorsätzliche Handlungen des Arbeitnehmers, die sich unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers richten, können auch dann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein, wenn die Pflichtverletzung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder nur zu einem geringfügigen, möglicherweise gar keinem Schaden geführt hat.
- Das Gesetz kennt auch im Zusammenhang mit strafbaren Handlungen des Arbeitnehmers keine absoluten Kündigungsgründe. Es bedarf stets einer umfassenden, auf den Einzelfall bezogenen Prüfung und Interessenabwägung dahingehend, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trotz der eingetretenen Vertrauensstörung – zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht.
Orientierungssatz:
- Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt – wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse – auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.
- Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich. Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab.
- Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen.
- Nachträglich eingetretene Umstände können für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen. Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde. Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden. Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen gilt nichts anderes.“
LAG Düsseldorf, Urt. v. 14.01.2021 – 5 Sa 483/20 [Entwendung von einem Liter Desinfektionsmittel – Kündigung, Pressemitteilung]:
„Der Kläger war seit dem Jahr 2004 bei einem Paketzustellunternehmen, der Beklagten, als Be- und Entlader sowie Wäscher für die Fahrzeuge beschäftigt. Die Wäsche der Wagen erfolgte in Nachtschicht mit sechs bis sieben Kollegen, wobei der Kläger seinen Wagen in der Nähe des Arbeitsplatzes abstellen konnte. Bei der stichprobenartigen Ausfahrtkontrolle am 23.03.2020 gegen 07.50 Uhr fand der Werkschutz im Kofferraum des Klägers eine nicht angebrochene Plastikflasche mit einem Liter Desinfektionsmittel und eine Handtuchrolle. Der Wert des Desinfektionsmittels betrug zum damaligen Zeitpunkt ca. 40,00 Euro. Es kam damals bei der Beklagten immer wieder vor, dass Desinfektionsmittel aus den Waschräumen entwendet wurde. Der Personalausschuss des Betriebsrats stimmte am 24.03.2020 der fristlosen Kündigung des Klägers nach Befragung von Zeugen abschließend zu, welche die Beklagte am 25.03.2020 aussprach.
Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner Klage. Er habe sich während der Arbeit jede Stunde zu seinem Fahrzeug begeben, um die Hände zu desinfizieren und abzutrocknen. Er habe das Mittel für sich und eventuell seine Kollegen verwenden wollen, zumal dieses in den Waschräumen nicht immer verfügbar gewesen sei. Bei der Ausfahrt habe er an die Sachen im Kofferraum nicht mehr gedacht. Er müsse kein Desinfektionsmittel stehlen, weil seine Frau in der Pflege arbeite und die Familie über sie ausreichend versorgt sei. Die Arbeitgeberin hat behauptet, dass der Kläger dem Werkschutz gesagt habe, dass er das Desinfektionsmittel habe mitnehmen dürfen, um sich unterwegs die Hände zu desinfizieren. Sie habe mit Aushängen im Sanitärbereich darauf hingewiesen, dass das Mitnehmen von Desinfektionsmitteln eine fristlose Kündigung und Anzeige zur Folge habe.
Die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts hat wie bereits das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Es liegt ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vor. Die Einlassungen des Klägers sind nicht glaubhaft. Die Kammer geht davon aus, dass der Kläger sich das Desinfektionsmittel zugeignet hat, um es selbst zu verbrauchen. Wenn er es während der Schicht habe benutzen wollen, hätte es nahe gelegen, das Desinfektionsmittel auf den Materialwagen am Arbeitsplatz zu stellen, zumal in der Nacht nur sechs bis sieben Kollegen arbeiteten. Es ist zudem nicht nachvollziehbar, dass er das Desinfektionsmittel auch für die Kollegen verwenden wollte, denn weder hatte er ihnen gesagt, wo er das Desinfektionsmittel aufbewahrt noch ihnen den Autoschlüssel gegeben, damit sie es benutzen können. Schließlich war die aufgefundene Flasche nicht angebrochen. Auch in Ansehung der langen Beschäftigungszeit war keine vorherige Abmahnung erforderlich. Der Kläger hat in einer Zeit der Pandemie, als Desinfektionsmittel Mangelware war und in Kenntnis davon, dass auch die Beklagte mit Versorgungsengpässen zu kämpfen hatte, eine nicht geringe Menge Desinfektionsmittel entwendet. Damit hat er zugleich in Kauf genommen, dass seine Kollegen leer ausgingen. In Ansehung dieser Umstände musste ihm klar sein, dass er mit der Entwendung von einem Liter Desinfektionsmittel den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährdete. Auch die Interessenabwägung fiel angesichts dieser Umstände zu Lasten des Klägers aus.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht zugelassen.“
Arbeitsgericht Mönchengladbach, Urteil vom 01.07.2020 – 6 Ca 632/20
ArbG Düsseldorf, Urt. v. 30.01.2020 – 10 Ca 4450/19 [Schlüsseldiebstahl]
LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 29.12.2015 – 10 Sa 32/15:
„Auch wenn ein Arbeitnehmer Backwaren des Arbeitgebers ohne Bezahlung verzehrt, kann eine außerordentliche Kündigung unwirksam sein, wenn nicht feststeht, dass der Arbeitnehmer bewusst und so schwerwiegend gegen bestehende Regeln verstoßen hat, dass eine Klarstellung und gegebenenfalls Abmahnung nicht zur Einstellung des Verzehrs geführt hätte.“
(Letzte Aktualisierung: 15.02.2021)
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Dr. Uwe P. Schlegel
Rechtsanwalt