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Ehebedingter Nachteil
Sog. ehebedingte Nachteile stehen einer Begrenzung oder Befristung von Unterhaltsansprüchen gem. § 1578b BGB grundsätzlich entgegen.
Der ehebedingte Nachteil äußert sich in der Regel darin, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte nachehelich nicht die Einkünfte erzielt, die er ohne Ehe und Kinderbetreuung erzielen würde (BGH, Beschl. v. 08.06.2016 – XII ZB 84/15). Dieser Nachteil ist durch die geschuldete Unterhaltszahlung vollständig zu kompensieren (so BGH, a.a.O.).
Siehe auch den Beitrag von Born in NJW 2018, S. 497 ff.
Nachfolgend ein kurzer Überblick über die jüngere Rechtsprechung:
OLG Brandenburg, Beschl. v. 14.05.2020 – 9 UF 240/19:
„Ehebedingte Nachteile sind vor allem Erwerbsnachteile, die durch die von den Ehegatten praktizierte Rollenverteilung während der Ehe entstanden sind. Dazu genügt es, wenn ein Ehegatte sich entschließt, seinen Arbeitsplatz aufzugeben, um die Haushaltsführung und Kinderbetreuung zu übernehmen. Ob die Aufgabe des Arbeitsplatzes gegen den Willen des Unterhaltspflichtigen erfolgte, ist grundsätzlich nicht von Bedeutung. Wie sich aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt, ist auf die tatsächliche Gestaltung von Kinderbetreuung und/oder Haushaltsführung abzustellen. Bei den in § 1578 b BGB aufgeführten Kriterien handelt es sich zudem um objektive Umstände, denen kein Unwerturteil und keine subjektive Vorwerfbarkeit anhaften, weshalb im Rahmen der Abwägung nach § 1578 b BGB nicht etwa eine Aufarbeitung ehelichen Fehlverhaltens stattfindet. Daher kann der unterhaltspflichtige Ehegatte auch nicht einwenden, dass er den Unterhaltsberechtigten während der Ehe zur Berufstätigkeit angehalten habe (BGH FamRZ 2020, 171 – Rdnr. 46 ff. bei juris; FamRZ 2014, 1007 – Rdnr. 19 ff. bei juris – jeweils mit weiteren Nachweisen zur höchstrichterlichen Rechtsprechung). Ein ehebedingter Nachteil liegt bei einer solchen Fallgestaltung nur dann nicht vor, wenn die Ehegestaltung für den Erwerbsnachteil nicht ursächlich geworden ist. Das wäre der Fall, wenn der Unterhaltsberechtigte seinen Arbeitsplatz ausschließlich aus Gründen aufgegeben oder verloren hätte, die außerhalb der Ehegestaltung liegen.
Liegen ehebedingte Nachteile vor, steht dieser Umstand einer Begrenzung oder Befristung von Unterhaltsansprüchen grundsätzlich entgegen (BGH FamRZ 2015, 824; OLG Hamm, FamRZ 2017, 1306).
Die Möglichkeit der Herabsetzung und Befristung des Ehegattenunterhalts nach § 1578b BGB ist als rechtsvernichtende bzw. rechtsbeschränkende Einwendung bei entsprechendem Vortrag des Pflichtigen von Amts wegen zu berücksichtigen; die dem Pflichtigen obliegende Beweislast wird im Falle eines zu erbringenden Negativbeweises (Fehlen ehebedingter Nachteile) dadurch erleichtert, dass der Berechtigte substantiiert zu Umständen vorzutragen hat, die in seiner Sphäre liegen (BGH FamRZ 2014, 1276; FamRZ 2012, 93; FamRZ 2010, 875; OLG Hamm FamRZ 2019, 110). Die Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast des Berechtigten dürfen zwar nicht überspannt werden. Dieser muss aber konkret seine beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten darlegen und seine entsprechende Bereitschaft und Eignung darlegen. Die Darlegung muss dabei so konkret sein, dass die Entwicklungsmöglichkeiten und persönlichen Fähigkeiten vom Gericht auf Plausibilität überprüft werden können und der Widerlegung durch den Pflichtigen zugänglich sind (BGH, FamRZ 2012, 93; BGH, FamRZ 2012, 1483; OLG Hamm, a.a.O.).
2.
Gemessen an diesen Grundsätzen ist im Streitfall davon auszugehen, dass die unterhaltsberechtigte Antragstellerin durch die Ehe Nachteile in ihrem beruflichen Fortkommen erlitten hat.
Die Antragsgegnerin hat zu ihrer Erwerbsbiografie – unwidersprochen – ausgeführt, sie habe in ihrem erlernten Beruf als Wirtschaftskauffrau zuletzt von Dezember 2001 bis November 2003 in Vollzeit gearbeitet und daraus 2.190 EUR brutto erwirtschaftet. Danach habe sie zeitweise gar nicht, und zeitweise in Teilzeit gearbeitet. Längerfristig war sie mit 25 Wochenstunden von März 2007 bis Dezember 2013 als Schreibkraft bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt. Seit Januar 2014 ist sie bei ihrem jetzigen Arbeitgeber recht selbständig in der Rechnungsführung tätig, zunächst erneut in Teilzeit und hier mit einem Bruttofestgehalt von zuletzt 2.205 EUR. Diese Erwerbstätigkeit hat sie kurz nach Rechtshängigkeit der Scheidung zum 1. Mai 2018 auf eine Vollzeittätigkeit aufstocken können, aus der sie nun ein Bruttofestgehalt von 2.520 EUR bezieht. Die Antragstellerin macht geltend, die langjährige Ausübung einer Teilzeittätigkeit bei der Zeitarbeitsfirma unterhalb ihrer beruflichen Qualifikation und ohne berufliche Entwicklungschancen habe einer einvernehmlichen Absprache der Eheleute entsprochen. Hintergrund sei die Schichttätigkeit des Antragstellers gewesen, die die Ehegatten dazu veranlasst habe, dass die Ehefrau beruflich ohne eigene Schichtdienste und Überstunden tätig sein sollte, um sich um den Haushalt und den Schrebergarten der Beteiligten zu kümmern; sie habe dadurch dem – zudem durch sein Engagement als Vereinsvorsitzender – stark beanspruchten Antragsteller den Rücken frei gehalten.
Die Antragsgegnerin macht weiter unter Rückgriff auf das Tarifregister Berlin-Brandenburg und dort die Höhe der Gehälter für kaufmännische Angestellte geltend, aufgrund ihrer Berufserfahrung, den absolvierten Fortbildungsmaßnahmen und ihrer Fähigkeit zum selbständigen Arbeiten auch bei fordernder Arbeitsplatzgestaltung hätte sie – eine durchgehende Vollzeittätigkeit während der Ehe unterstellt – heute rund 3.565 EUR brutto (= 2.264,91 EUR netto; statt der heute tatsächlich erzielten 2.520 EUR brutto = 1.740 EUR netto) erwirtschaften können (kaufmännische Angestellte, die auf allgemeine Anweisung schwierige Aufgaben erledigen kann; oberste Berufsgruppe K 3, je nach Berufsjahr 3.009 – 3.565 EUR).
Der Ansatz eines hypothetischen Bruttoeinkommens von gut 3.500 EUR mag angesichts der in (Berlin und) Brandenburg bestehenden geringen Tarifbindung der Unternehmen tatsächlich zu hoch gegriffen sein. Gleichwohl lassen diese Ausführungen im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung den belastbaren Schluss zu, dass die Rollenverteilung in der Ehe – Zurückstecken eigener beruflicher Ziele zugunsten der Haushaltsführung für den im Schichtdienst tätigen Ehemann – zu Nachteilen in der beruflichen Entwicklungsmöglichkeit der Antragsgegnerin geführt hat, weil sie dadurch heute spürbar weniger verdienen kann als dies bei anhaltender Vollzeittätigkeit in ihrem erlernten Beruf der Fall gewesen wäre. Selbst bei einem hypothetischen Bruttoerwerbseinkommen am unteren Rand der oben aufgezeigten Gehaltsskala, etwa 3.000 EUR, ergäbe sich mit 1.968,81 EUR ein spürbar höheres Nettoeinkommen als der tatsächliche Verdienst von 1.740 EUR netto.
Dieser ausreichend fundierten Schätzgrundlage für die Verdienstmöglichkeiten der Antragstellerin ohne die Rollenverteilung in der Ehe vermochte der – jetzt mit dem Beweis des Gegenteils belastete – Antragsteller nichts entgegenzusetzen.
Auf dieser Grundlage ist davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin (fortdauernde) eheliche Nachteile erlitten hat, deren Kompensation bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze im Juli 2028 nicht – jedenfalls nicht hinreichend sicher – erwartet werden kann. Dies gilt erst recht für den hier vom Antragsteller – bestritten, ohne nähere Substantiierung und nicht überprüfbar – in den Raum gestellten Fall, dass in der Person der Antragsgegnerin die Voraussetzungen für eine vorzeitige (abschlagsfreie) Inanspruchnahme der Altersrente für langjährig Versicherte bereits im Juli 2026 erfüllt sein sollten.
Liegen danach im Streitfall ehebedingte Nachteile auf Seiten der Antragstellerin vor, scheidet nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Befristung des Unterhaltsanspruchs regelmäßig aus (vgl. BGH FamRZ 2015, 824 – Rdnr. 24 bei juris; FamRZ 2012, 525 – Rdnr. 50 bei juris; FamRZ 2010, 538 – Rdnr. 36 bei juris).“
BGH, Beschl. v. 04.07.2018 – XII ZB 122/17, NJW-Spezial 2018, 581 f.:
„1. Ehebedingte Nachteile im Sinne des § 1578 b Abs. 1 Satz 2 BGB können nicht mit den durch die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit während der Ehe verursachten geringeren Rentenanwartschaften begründet werden, wenn für diese Zeit ein Versorgungsausgleich stattgefunden hat. Nachteile in der Versorgungsbilanz sind dann in gleichem Umfang von beiden Ehegatten zu tragen und somit vollständig ausgeglichen (im Anschluss an Senatsurteil vom 7. März 2012, XII ZR 179/09, FamRZ 2012, 772).
- Ein ehebedingter Nachteil, der darin besteht, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte auch nachehelich geringere Versorgungsanrechte erwirbt, als dies bei hinweggedachter Ehe der Fall wäre, ist grundsätzlich als ausgeglichen anzusehen, wenn er für diese Zeit Altersvorsorgeunterhalt zugesprochen erhält oder jedenfalls erlangen kann (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 14. Mai 2014, XII ZB 301/12, FamRZ 2014, 1276).“
BGH, Beschl. v. 04.07.2018 – XII ZB 448/17, NJW-Spezial 2018, 581:
„1. Leistungen nach § 16 Abs. 1 HIVHG bleiben bei der Unterhaltsbemessung stets unberücksichtigt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 16. Juli 2014, XII ZB 164/14, FamRZ 2014, 1619 – zur Conterganrente).
- Auch wenn eine abschließende Entscheidung über die Folgen des § 1578b BGB noch nicht möglich ist, darf eine Entscheidung darüber nicht vollständig zurückgestellt werden. Vielmehr muss das Gericht insoweit entscheiden, als eine Entscheidung aufgrund der gegebenen Sachlage und der zuverlässig voraussehbaren Umstände möglich ist. Das gilt insbesondere für eine bereits mögliche Entscheidung über die Herabsetzung nach § 1578b Abs. 1 BGB (…).“
BGH, Beschl. v. 20.06.2018 – XII ZB 84/17:
„Mit der Anpassung von Eheverträgen unter dem Gesichtspunkt der Rechtsmissbrauchskontrolle (§ 242 BGB) sollen ehebedingte Nachteile ausgeglichen werden; sind solche Nachteile nicht vorhanden oder bereits vollständig kompensiert, dient die richterliche Ausübungskontrolle nicht dazu, dem durch den Ehevertrag belasteten Ehegatten zusätzlich entgangene ehebedingte Vorteile zu gewähren und ihn dadurch besser zu stellen, als hätte es die Ehe und die mit der ehelichen Rollenverteilung einhergehenden Dispositionen über Art und Umfang seiner Erwerbstätigkeit nicht gegeben (Fortführung von Senatsbeschlüssen vom 8. Oktober 2014, XII ZB 318/11, FamRZ 2014, 1978 und vom 27. Februar 2013, XII ZB 90/11, FamRZ 2013, 770).“
OLG Hamm, Beschl. v. 13.03.2017 – II-13 UF 190/16, 13 UF 190/16:
„1. Bei der Prüfung, ob der Unterhaltsberechtigte einen ehebedingten Nachteil erlitten hat, trifft ihn eine sekundäre Darlegungslast. Der Unterhaltsberechtigte muss konkret seine beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten ohne die Ehe und seine entsprechende Bereitschaft und Eignung darlegen.
- Auch wenn eine psychische Erkrankung in einer Ehekrise aufgetreten oder durch diese sogar ausgelöst worden ist, begründet dies für sich genommen keinen ehebedingten Nachteil im Sinne von § 1578b Abs. 1 Satz 2 BGB.
- Liegen keine ehebedingten Nachteile vor, ist eine umfassende Billigkeitsabwägung vorzunehmen. Insbesondere sind die Dauer der Pflege oder Erziehung gemeinschaftlicher Kinder, die Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der Ehe sowie der Dauer der Ehe zu würdigen und hiernach der Umfang einer geschuldeten nachehelichen Solidarität zu bemessen. Bei der Beurteilung der Unbilligkeit der fortwährenden Unterhaltszahlung sind ferner die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien sowie Umfang und Dauer der vom Unterhaltspflichtigen bis zur Scheidung erbrachten Trennungsunterhaltsleistungen von Bedeutung.
- Nicht in die Abwägung einzustellen sind mögliche ehebedingte Nachteile des Unterhaltspflichtigen. Denn das Institut der ehebedingten Nachteile dient im Rahmen des § 1578b BGB dazu zu überprüfen, ob nacheheliche Unterhaltsansprüche, die sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen richten (§ 1578 BGB), begrenzt oder befristet werden können.“
OLG Hamm, Beschl. v. 04.11.2016 – II-13 UF 34/15:
„Bei der Berechnung des ehebedingten Nachteils sind ehebedingte Vorteile – vorliegend ein Wohnvorteil – zu berücksichtigen.“
BGH, Beschl. v. 08.06.2016 – XII ZB 84/15:
„Der ehebedingte Erwerbsnachteil des unterhaltsberechtigten Ehegatten begrenzt regelmäßig die Herabsetzung seines nachehelichen Unterhaltsanspruchs gemäß § 1578b Abs. 1 BGB. Dieser Nachteil ist nicht hälftig auf beide geschiedenen Ehegatten zu verteilen, sondern in voller Höhe zugunsten des Unterhaltsberechtigten zu berücksichtigen.“
KG, Beschl. v. 10.05.2016 – 13 UF 100/15:
„Der Gedanke der nachehelichen Solidarität ist keine „Einbahnstraße“, der sich allein zu Lasten des unterhaltsverpflichteten, geschiedenen Ehegatten auswirkt. Deshalb kann im Einzelfall eine Herabsetzung und zeitliche Begrenzung des Unterhaltsanspruchs des geschiedenen Ehegatten in Betracht kommen, wenn es sich zwar um eine Ehe von langer Dauer gehandelt hat, aber keine fortwirkenden ehebedingten Nachteile zu Lasten des unterhaltsberechtigten, geschiedenen Ehegatten vorliegen und der unterhaltsberechtigte Ehegatte die ihm obliegende Erwerbsobliegenheit über Jahre hinweg vernachlässigt und sich in keiner Weise darum bemüht hat, die Unterhaltslast des Pflichtigen gering zu halten.“
OLG Celle, Beschl. v. 12.04.2016 – 10 UF 313/15:
„Ein fortwirkender ehebedingter Nachteil kann auch darin bestehen, dass der Unterhaltsberechtigte bei Bezug von Lohnersatzleistungen (hier: befristete Erwerbsunfähigkeitsrente, die wesentlich auch auf den Verhältnissen des Arbeitsmarktes beruht) nicht wie bei einem entsprechend hohen Erwerbseinkommen zugleich auch Altersversorgungsansprüche aufbauen kann. Die Bemessung eines solchen ehebedingten Nachteils kann an einem entsprechenden Altersvorsorgeunterhalt orientiert werden.“
(Letzte Aktualisierung: 20.08.2021)
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